Mannheim. Wer ist Drahtzieher, wer lediglich Mitläufer? Das blieb zum Prozessauftakt wegen Verdachts auf besonders schweren Raub sowie Drogenhandel bei den beiden Hauptangeklagten unklar. Der 20-jährige Yüksel D. wirkt eher wie 15, unsicher, spricht verwaschen, trägt einen zwei Nummern zu großen Pullover und wurde nach eigener Aussage schon in der Grundschule wegen seiner fülligen Figur gemobbt. Der andere ist Cem B., nur zwei Jahre älter, aber deutlich reifer wirkend: mit rasierter Glatze, akkuratem Fünf-Tage-Bart, weißem Hemd und markantem Auftreten trotz seiner nur gut 1,60 Meter Körpergröße.
Die Vorwürfe: Yüksel D. soll zusammen mit einem weiteren Angeklagten, Cüneyt A., im April zwei mal einem Verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts Marihuana bei der Bar "Filmriss" verkauft haben, einen Monat später auch fünf Gramm Kokain. Im Juni wurden von Yüksel D. sogar 200 Gramm Marihuana in Mannheim an den Ermittler verkauft. Dann ging es ums ganz große Geschäft: D. bot zwei Kilogramm Kokain für 70000 Euro an, schließlich wurde der Kauf von 1,2 Kilogramm für 51000 Euro vereinbart.
In den darauffolgenden Tagen sollen sich Yüksel D., Cem B. und Veli A. verabredet haben, den Ermittler bei dem für den 22. Juni vereinbarten Treffen auszurauben. Doch bei der Übergabe schlug die Polizei zu, die erstgenannten sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Im Gerichtssaal war als weiterer Enis Y., er fuhr bei der Übergabe der 200 Gramm Marihuana und beim geplanten Überfall das Auto. Alle fünf sind in Ludwigshafen aufgewachsen, beschlagnahmt wurden bei ihnen Schreckschusswaffen, Taschenmesser, Schlagring, Messer, Dolch, Teleskopschlagstock und Pfefferspray.
Verdeckter Ermittler sollte ausgeraubt werden
Yüksel D. sagte aus, dass er regelmäßig Marihuana geraucht und von Cem B. gekauft habe. Dann sei die Idee entstanden, dass er Drogen verkaufe und einen Teil zum Eigenkonsum behalten kann, zum Beispiel bei zehn Gramm Marihuana sozusagen zwei als Lohn. B. soll offensiv geworben haben, damit er größere Mengen verkaufe. Cem B. habe auch die Idee gehabt, den verdeckten Ermittler auszurauben. Bei dem Verkauf der 200 Gramm Marihuana sei B. im Auto mitgefahren, um sicher zu gehen, dass alles gut läuft. B. habe auch die Drogen mitgebracht und in den Kofferraum gelegt. Er habe dabei 20 Gramm als "Lohn" erhalten.
Im Gegensatz zu Yüksel D. sagte Cem B. nicht aus, sein Anwalt verlas eine Erklärung. Bei den ersten beiden Drogendeals sei er gar nicht beteiligt und beim Verkauf der 200 Gramm Marihuana nur zufällig dabei gewesen: Er hatte den Fahrer Enis Y. gebeten, an einen anderen Ort in der Pfalz gebracht zu werden. Dass es dabei zuerst nach Mannheim ging, sei ihm egal gewesen. Nachdem Yüksel D. in Mannheim ausgestiegen war und eine Weile nicht zurückkam, sei er nur ausgestiegen, um nach dem Rechten zu sehen, habe D. aber nicht gefunden. "Ich habe kein Verständnis dafür, das er mir seine Geschäfte in die Schuhe schieben will", trägt der Anwalt im Namen seines Mandanten vor. Für die geplante Tat am 22. Juni entschuldigte er sich. Yüksel D. habe ihn ein, zwei Tage vorher angerufen und gefragt, ob er mitmachen möchte.
Er sei unsicher gewesen, ob er dies tun soll, aber dann zugesagt. Yüksel D. habe betont, dass er "kein Schisser sein und keinen Rückzieher machen soll". Nachfragen des Gerichts und der anderen Anwälte wollte Cem B. nicht beantworten. Bei ihm gibt es einige Ungereimtheiten: Nach der Übergabe der 200 Gramm Marihuana wurde er gar nicht dorthin gefahren, weswegen er angeblich überhaupt ins Auto gestiegen ist - die Gruppe fuhr wieder nach Ludwigshafen. Weiter wurden bei Cem B. 4700 Euro sichergestellt, große Summen Bargeld sind bei Drogendealern nicht ungewöhnlich. Seine Erklärung: Ein Onkel habe der Mutter Geld geschuldet und diese Summe an ihn übergeben.
Fahrer bricht Licht ins Dunkle
Sein Werdegang: Der 24-Jährige Cem B. lebt bei den Eltern. Nach Realschulabschluss war er zuerst in einer weiterführenden Schule und dann Kommisionierer, Nachwächter sowie in einem Corona-Testcenter tätig. Kurz vor der Verhaftung habe er eine Jobzusage gehabt. Der unscheinbare Yüksel D. ist das jüngste von fünf Geschwistern, hatte die zweite Klasse der Grundschule nicht geschafft und später auch nicht den Hauptschulabschluss, den er jedoch in einer anderen Schule nachholte. Auf Nachfrage des Richters erläutert D., dass er Aufgaben in Deutsch oft nicht habe folgen können. Danach arbeitete er in der Firma seines Vaters 10 Stunden die Woche als Aushilfe. Aus der Justizvollzugsanstalt liegt ein Bericht über ihm vor: Demnach sei D. zurückhaltend und "eher jemand, der sich unterordnet". Erst auf Nachfrage des Richters gab D. zu, dass er im Gefängnis von einem anderen Häftling geschlagen worden sei, weil er keinen Tabak abgeben. Die Folge: Aufgeplatzte Lippen und "so ungefähr fast blaue Augen mäßig". D. drückt sich fast immer in solch holprigen Sätzen aus.
Ein wenig Licht ins Dunkel brachte die Aussage von Enes Y., Fahrer beim Deal mit 200 Gramm Marihuana: Cem habe die Drogen bei der Abfahrt in Ludwigshafen im Kofferraum versteckt. D. habe sie in Mannheim herausgenommen und sei weggegangen. Das Geld habe Yüksel D. dann mit Cem B. aufteilen wollen.
Morgen, Donnerstag, werden im Landgericht voraussichtlich ab 9 Uhr Polizisten als Zeugen gehört.
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