Mannheim. Unter dem Holzdach am Hans-Böckler-Platz nahe der Kurpfalzbrücke stehen alte Sessel und Sofas, umgeben von jeder Menge Taschen. Die Stelle scheint verlassen am Dienstag um die Mittagszeit. Doch auf einmal ist – unter Decken und Schlafsäcken – ein Husten zu hören. Auf unser „Hallo?“ streckt eine rothaarige Frau ihren Kopf hervor. Viel reden will sie aber nicht. Auf die Frage, ob sie bei diesen eisigen Temperaturen auch nachts hier sei, sagt sie nur „Ich will nicht“ – und vergräbt sich wieder in ihren Schlafsack.
Der Böckler-Platz ist einer der Orte in Mannheim, an denen Menschen auch in diesen Tagen, wo es nachts fast zehn Grad minus hat, noch draußen schlafen. In der Nacht zum Dienstag jedenfalls haben die Mitarbeiter des städtischen „Kältebusses“ dort vier Personen angetroffen. Das berichtet Hubert Ogon, der Leiter der städtischen Wohnungslosenhilfe, am Dienstagmorgen am Telefon. Wenn die Temperatur unter den Gefrierpunkt sinkt, fahren die „Kältebus“-Mitarbeiter zu möglichen Übernachtungsplätzen und bieten den Menschen dort Schlafsäcke, Thermomatten, Jacken und heiße Getränke an – und auch den Transport zur städtischen Übernachtungsstelle in der Bonadiesstraße in der Neckarstadt-West.
Corona-Test in der Unterkunft
Keiner müsse draußen bleiben, betont Ogon. Die Stadt habe genügend Schlafplätze. In der Übernachtungsstelle mussten die Kapazitäten zum Schutz vor Corona zwar etwas reduziert werden. Aber aktuell stehen immer noch 19 Betten bereit, die meisten in Einzel-, wenige in Doppelzimmern. Bislang waren Ogon zufolge in der Regel die Hälfte belegt. Den Gästen wird beim Eintritt Fieber gemessen, alle zwei Tage werden sie auf Corona getestet. Neben diesen Plätzen hält die Stadt noch 30 weitere in anderen Gebäuden vor – gebraucht wurden sie bislang noch nicht.
„Manche Obdachlose wollen nicht kommen, die wollen mit dem Staat und der Welt nichts zu tun haben“, sagt Ogon. In Mannheim sind das seiner Schätzung nach ungefähr die Hälfte. Ein Teil von ihnen übernachte am Böckler-Platz, andere hätten Schlafplätze in alten Gebäuden, in Tiefgaragen oder im Käfertaler oder Rheinauer Wald. Trotz nächtlicher Ausgangssperre durften sie an ihren Stellen bleiben, wenn Sozialarbeiter oder Polizisten sie angetroffen haben.
So mancher, der sonst eigentlich nicht in die Übernachtungsstelle geht, kommt bei dieser Kälte dann aber doch. In der Nacht zum Dienstag etwa hätten 14 Personen in der Einrichtung geschlafen, so Ogon. „Drei von ihnen sind sonst nie da.“ Die Übernachtungsstelle sei aber nur eine Notunterkunft, keine langfristige, betont er. Seine Abteilung prüft, ob die Betroffenen Ansprüche auf Sozialleistungen haben und so eine Wohnung bekommen können. Bei Menschen aus dem Ausland ist das meist nicht der Fall – sie werden dann zurückgeschickt in ihr Herkunftsland.
Zwischen 20 und 50 Personen leben nach Schätzungen des Rathaus-Abteilungsleiters in Mannheim derzeit auf der Straße. Das seien etwa halb so viele wie noch im Winter zuvor. „Corona hat auch in dieser Szene die Mobilität deutlich eingeschränkt.“ Vor Weihnachten seien etwa deutlich weniger Wohnsitzlose aus Bulgarien, Rumänien oder Polen nach Mannheim gekommen als noch ein Jahr davor.
Die Übernachtungsstelle in der Bonadiesstraße sei „super“, schwärmt ein Nutzer, der anonym bleiben möchte, am Telefon. Der 58-Jährige sitzt am Dienstagmorgen in der Obdachlosen-Tagesstätte der Caritas in D 6, wo es Frühstück und Mittagessen gibt. Die Mitarbeiter dort haben – coronakonform – ein Telefongespräch mit dem „MM“ vermittelt. Richtig obdachlos sei er aber gar nicht, gesteht der Mann, der auch von seinem Alkoholproblem erzählt. Er habe „Stress“ mit seiner Frau und übernachte deshalb in der Bonadiesstraße. „Ich warte auf einen Platz im betreuten Wohnen.“
Bis zu 40 Obdachlose sind jeden Vormittag in der Caritas-Tagesstätte, wie Leiterin Stefanie Schweda berichtet. Anders als Ogon findet sie nicht, dass es weniger Obdachlose gibt. Dass Menschen lieber draußen schlafen als in der Übernachtungsstelle, hat aus ihrer Sicht viele Gründe. „Sie haben Angst um ihr Hab und Gut, ihnen sind dort zu viele Menschen, sie fürchten ausländerrechtliche Probleme, oder sie wollen sich einfach nicht erklären müssen.“
Lockdown erschwert den Alltag
Der coronabedingte Lockdown mache das Leben von Obdachlosen schwieriger, in vielerlei Hinsicht, sagt Schweda. „Gerade jetzt, wenn es kalt ist, fehlen tagsüber Aufenthaltsmöglichkeiten.“ Beliebte Ziele wie Kaufhäuser und Bibliotheken seien schließlich geschlossen. Aber auch die Hürden für Hilfe sind höher. Viele Obdachlose zögen es vor, einfach irgendwo persönlich vorbeizuschauen statt anzurufen. „Auch das ist in Corona-Zeiten schwieriger.“
- Zentrale städtische Anlaufstelle für Obdachlose ist die Fachberatung in der Holzstraße 3 (Jungbusch). Sie ist unter der Telefonnummer 0621 2933426 erreichbar.
- In der Bonadiesstraße 2 (Neckarstadt-West) befindet sich eine Notübernachtungsstelle mit aktuell knapp 20 Plätzen, Telefonnummer 0621 3247327. Sie ist die ganze Woche von 17 bis 9 Uhr geöffnet. In U 5, 12 betreibt die Stadt außerdem eine Tagesstätte für Obdachlose.
- Der Caritasverband unterhält in D 6, 7 eine Tagesstätte. Zudem bietet er mit der Oase (H 5, 4) eine Einrichtung für wohnungslose Frauen.
- Freezone betreibt in J 7, 23 eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben.
- Auf dem Waldhof hat die Stadt in einem Haus zwölf Plätze eingerichtet – für den Fall, dass Obdachlose bei einer Corona-Infektion in Isolation müssen oder bei einem Verdacht in Quarantäne. Bislang gab es laut Hubert Ogon von der städtischen Wohnungslosenhilfe lediglich einen positiven Corona-Fall unter den Mannheimer Obdachlosen. imo
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