Beim Thema Zeit liegen bei vielen Menschen im Augenblick die Nerven blank. Viele leiden darunter, dass sie keine Zeit haben. Sie sind nicht mehr Herr ihrer Zeit: Sie müssen Überstunden machen, sich um die Kinder kümmern und sonstige Aufgaben übernehmen, die sie normalerweise nicht erledigen müssten. Sie fühlen sich ausgeliefert. Auf der anderen Seite erleben auch viele Menschen gerade das Gegenteil. Sie haben viel Zeit. Für manche ist es sogar zu viel Zeit. Zeit, mit der sie nichts anzufangen wissen. Beide Situationen können zu dem Gefühl der inneren Leere führen.
Auf die Frage, was eigentlich Zeit ist, gibt es unterschiedliche Antworten. Vereinfachend kann man sagen, dass Zeit der Ablauf wiederkehrender Ereignisse ist. So wird es auch im ersten Buch Mose beschrieben. Gott erschafft durch die Schöpfung die Zeit. Sonne und Mond strukturieren Tag und Nacht, die Schöpfungstage bilden die Woche. Zeit ist etwas, das Gott gibt und von einem Ursprung auf ein Ziel hinstrebt: dem Reich Gottes. Zeit besteht aus drei Teilen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese drei bilden eine Einheit. Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit.
Die Vergangenheit prägt uns
Doch Zeit erschöpft sich nicht darin, eine Abfolge wiederkehrender Ereignisse zu sein. Zeit ist immer auch erlebte Zeit. Wir werten die Zeit, die wir erleben, als langweilig, schwierig, mühevoll, und so weiter. Das Erleben der Zeit ist nichts Neutrales. Es ist nichts, was nichts mit uns zu tun hat. Im Gegenteil: Wir sind diejenigen, die die Zeit deuten und ihr einen Sinn verleihen. Ohne einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, wird der Blick in die Zukunft schwierig. Denn das, was wir in der Vergangenheit erlebt haben, prägt unsere gegenwärtige Deutung. Um die positive Kraft der Vergangenheit zu spüren, stellen Sie sich ein Ereignis oder eine Situation vor, in der Sie sich wohlgefühlt haben. Bleiben Sie ein paar Minuten bei dieser Erinnerung. Stellen Sie sich die Frage: Was muss ich tun, damit ich dieses Gefühl heute wieder spüre?
So gibt mir die Vergangenheit Kraft, um die Zukunft zu gestalten. Es ist Zeit, die mir bleibt. Zeit, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet. Zum einen ist es meine Vergangenheit, die mich prägt, im Positiven wie im Negativen. Zum anderen ist es meine Zukunft, die Zeit, die mir noch bleibt, um mich dem zu widmen, was ich noch machen möchte. Auch diese Orientierung an der Zukunft gibt mir Kraft, denn sie gibt meinem Leben ein Ziel. Ein Ziel, das ich erreichen möchte, auch wenn es vielleicht nicht leicht ist.
Kraft, Hoffnung und Freude
Genau so wird es auch im ersten Buch Mose beschrieben. Der Mensch ist eingebettet in Gottes Schöpfung. Gott gibt dem Menschen die Grundlage zum Leben und die Möglichkeit, dieses Leben zu gestalten. „Meine Zeit steht in deinen Händen“ – mit diesen Worten wird im 31. Psalm diese Erkenntnis beschrieben. Vergangenheit und Zukunft liegen in Gottes Hand. Es ist Zeit, die bleibt.
Und die Zeit, die bleibt, spendet mir Trost, weil sie die schöne Zeit ist, die ich in meinem Leben erlebt habe. Die Zeit, die bleibt, gibt mir aber auch Kraft, Hoffnung und Freude, denn es ist auch die Zeit, die mir noch bleibt, um das zu tun, was ich will. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Zeit, die bleibt.
Gerold Stein, Evangelischer Pfarrer im Schuldienst in Hemsbach
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