Debatte - Drei starke Frauen, die schon lange aus Afghanistan geflüchtet sind, geben die Hoffnung auch nach dem Machtwechsel in Kabul noch nicht auf

„Die Taliban rauben uns die Seele“

Von 
Walter Serif
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Gruppenbild mit Mann: Rona Yussof-Mansury, Shikiba Babori, Nahid Shahalimi und Christian Holtzhauer. © Christoph Blüthner

Mannheim. Fünf Minuten vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung im Nationaltheater überfällt den Reporter ein leichter Anflug von Unruhe, weil außer ihm keiner auf den Zuschauerrängen sitzt. Interessieren sich die Mannheimer schon vier Monate nach dem Machtwechsel in Kabul nicht mehr für Afghanistan? Gemach, so schlimm ist es doch nicht. Langsam laufen die Leute grüppchenweise in den Saal und nehmen Platz. 120 sind es, das ist für eine solche Veranstaltung nicht schlecht - erst recht bei 3Gplus.

„Schweigen ist keine Option!“

Christian Holtzhauer betritt dann doch recht pünktlich die Bühne. Der Schauspiel-Intendant räumt gleich beim Einführungsstatement mit dem alten Klischee auf, dass Kunst und Politik nicht zusammenpassen. „Mich hat tatsächlich jemand gefragt: ,Warum machen Sie etwas so politisches, wäre es nicht besser, einfach nur Kunst zu machen?’ Ich persönlich weiß gar nicht genau, wo da der Unterschied ist. Schön, dass Sie alle gekommen sind“, sagt er.

Deshalb ist es kein Wunder, dass der Titel der Benefizveranstaltung „Schweigen ist keine Option!“ lautet. Die Schirmherrschaft hat Oberbürgermeister Peter Kurz übernommen. Der Erlös kommt Projekten für Frauen und Kinder zugute. Leider ist der OB an diesem Abend nicht dabei, das Grußwort lässt er SPD-Stadträtin Claudia Schöning-Kalender sprechen. Die Politikerin würde am liebsten selbst einen Vortrag halten, als geschäftsführende Vorsitzende des Mannheimer Frauenhauses kennt sie natürlich die Probleme von Frauen besonders gut, die nicht nur 6000 Kilometer von Mannheim entfernt unter Diskriminierung und Gewalt leiden muss.

Doch an diesem Abend stehen drei andere Frauen im Mittelpunkt: die Künstlerin und Autorin Nahid Shahalimi, die mit ihren zwei Töchtern in München lebt. Shikiba Babori, die als Ethnologin und freie Journalistin in Köln arbeitet. Und Rona Yussof-Mansory, Vorstandsmitglied des Afghanischen Frauenvereins, der seit 1992 von der Hamburger Zentrale aus für den Wiederaufbau und Frieden am Hindukusch arbeitet. Schirmherr ist der Musiker Herbert Grönemeyer. Dass die drei starken Frauen auf der Bühne sitzen, ist für die Zuschauer ein Gewinn, denn die Expertinnen können viel über die Stimmung am Hindukusch erzählen: „Es ist eine sehr dunkle Zeit. Die Taliban rauben uns die Seele. Die Mädchen dürfen schon ab der 6. Klasse nicht mehr in die Schule. Und die Frauen dürfen nicht auf die Straße oder zur Arbeit. Nur als Lehrerinnen und Gynäkologinnen sind sie noch willkommen, denn die Taliban wollen ja Kinder haben“, sagt Nahid Shahalimi.

Sie hat jetzt ein Buch mit dem Titel „Wir sind noch da!“ veröffentlicht, eine Liebeserklärung an die mutigen Frauen aus Afghanistan. Nach der Veranstaltung signiert Shahalimi die verkauften Exemplare. Das geht nur, weil sie wie Shikiba Babori und Rona Yussof-Mansory lange in Deutschland lebt. „2018 war ich zum letzten Mal in Afghanistan, dreimal musste ich seitdem mein Ticket stornieren, weil es Drohungen gegen mich gab“, sagt die Autorin, die in der deutschen Kulturszene gegenwärtig sehr angesagt ist. „Dieses Buch war meine Rettung. Ich bin nicht gebrochen“, sagt Shahalimi, die ein neues Projekt für Hebammen in Afghanistan gestartet hat.

Auch Babori will nicht aufgeben, obwohl ihre Tage nicht immer gut sind. „Ich bin manchmal so erschöpft, Afghanistan ist ja jetzt schon seit 50 Jahren im Krieg. Für die meisten Menschen dort geht es nur ums Überleben.“ Sie stellt eine Frage, die das Dilemma der drei Frauen auf den Punkt bringt: „Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn immer die Mittelschicht das Land verlässt, weil die Menschen sonst umgebracht werden?“ Oder verhungern. „Der Winter steht bevor. Es geht um Leben und Tod. Deshalb sind die Taliban um jeden froh, der das Land nicht verlässt“, sagt Babori.

Startkapital 1992: Fünf D-Mark

„Auch wir Frauen im Ausland können helfen. Die Menschen in Afghanistan brauchen Bildung. Auch die jungen Männer wollen etwas lernen“, sagt Rona Yussof-Mansury, die eine der Gründerinnen des Afghanischen Frauenvereins war. „Wir hatten damals fünf D-Mark als Startkapital. Jetzt haben wir 190 Mitarbeiter in Afghanistan“, sagt die gelernte Biologin. Der Verein unterstützt viele Projekte vor allem im Bildungsbereich. „Die Frauen und Mädchen haben aber auch Brunnen gebohrt, denn sauberes Wasser ist lebensnotwendig“, sagt sie.

Im Publikum meldet sich eine Frau, die aus einem kleinen Ort kommt, wie sie sagt. „Ich will auch helfen, und ich würde gerne eine kleine Informationsveranstaltung auf die Beine stellen, aber ich kenne ja keine Ansprechpartner“, sagt sie. „Aber wir. Melden Sie sich nachher unten im Foyer. Wir werden schon jemanden finden, der auch in ihren kleinen Ort kommt“, freut sich Nahid Shahalimi, dass sie helfen kann.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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