Justiz

Die „Stimme des Volkes“ - 300 Schöffen in Mannheim gesucht

Alle fünf Jahre werden neue ehrenamtliche Richterinnen und Richter gesucht, die sich für fünf Jahre verpflichten. Doch was machen Schöffen eigentlich und wie kann man sich bewerben?

Von 
Agnes Polewka
Lesedauer: 
Schöffin Anja Hofmann in einem Sitzungssaal des Mannheimer Amtsgerichts. © Christoph Blüthner

2017 keimt in Anja Hofmann der Wunsch nach einem Ehrenamt auf. Sie möchte auch neben der Arbeit etwas Sinnstiftendes tun. Eine Aufgabe übernehmen, die wichtig ist. Die 58-Jährige stöbert im Netz, liest Artikel. Und stößt auf das Schöffenamt. Hofmann informiert sich über die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, die neben Berufsrichtern sitzen, Urteile fällen - „als Stimme des Volkes“. Und weiß in diesem Augenblick, dass sie genau diese Aufgabe übernehmen will.

Fünf Jahre später blickt die 58-Jährige auf eine lehrreiche Zeit zurück. „Ich habe in viele menschliche Abgründe geschaut und hatte wirklich gute Erlebnisse“, sagt sie. „Ich kann jeden Interessierten nur ermuntern, sich zu bewerben.“ Denn in diesem Jahr steht wieder die Schöffenwahl an - ein Ereignis, das nur alle fünf Jahre stattfindet. Wer sich bewirbt und ausgewählt wird, verpflichtet sich für die Jahre 2024 bis 2028 als ehrenamtlicher Richter oder ehrenamtliche Richterin.

Schöffen - Bewerbung und Amt

  • Schöffen entscheiden gemeinsam und gleichberechtigt mit ausgebildeten hauptamtlichen Richterinnen und Richtern über Schuld und Strafmaß von Angeklagten.
  • Wer Interesse an einer Bewerbung als ehrenamtlicher Richter oder ehrenamtliche Richterin am Amts- oder Landgericht in Mannheim hat, kann sich bis 2. Mai für das Jugendschöffenamt und bis 31. Mai für das Schöffenamt bei der Stadt Mannheim bewerben.
  • Voraussetzungen: die deutsche Staatsbürgerschaft, Alter: zwischen 25 und 69 Jahre (Stichtag 01.01.2024), kein anhängiges Insolvenzverfahren, keine Vorstrafen, ausreichende Deutschkenntnisse, Wohnsitz in Mannheim und „Erfahrungen in der Erziehung“ bei Interesse am Jugendschöffenamt, heißt es in der Ausschreibung der Stadt. Außerdem sollten Anwärter auf das Ehrenamt gesund genug sein, um einen langen Verhandlungstag gut durchstehen zu können.
  • Für die Zeit im Gericht müssen Schöffinnen und Schöffen von ihrem Arbeitgeber freigestellt werden. Arbeitgeber können allerdings die Lohnfortzahlungspflicht bei vorübergehender Verhinderung wirksam im Tarif- oder Arbeitsvertrag ausschließen. Schöffen steht in diesem Fall eine Entschädigung für ihren Verdienstausfall zu. Hinzu kommen eventuell weitere Entschädigungen, zum Beispiel für Fahrtkosten, Aufwand und Aufwendungen.
  • Das Schöffenamt ist ein Ehrenamt, ehrenamtliche Richterinnen und Richter erhalten grundsätzlich keine Entlohnung dafür.
  • Weitere Infos unter Bewerbungsformulare auf der Seite der Stadt Mannheim finden sich hier 

In Mannheim wird die Wahl der Schöffen über das Amtsgericht koordiniert. Mehr als 300 Menschen werden laut Stadt gesucht, die sich auf die Jugend- und Erwachsenengerichtsbarkeit am Amts- und am Landgericht verteilen. Und auf der Richterbank die gleichen Stimmrechte wie Berufsrichter besitzen.

Die Wahl der Schöffen ist bis ins kleinste Detail geregelt. Wer Interesse am Amt hat, bewirbt sich und landet dann auf der Vorschlagsliste der Stadt, über die anschließend im Gemeinderat oder im Jugendhilfeausschuss beraten wird. Hier sei es aber nicht die Aufgabe der Verwaltung, eine Vorauswahl zu treffen, sagt ein Sprecher der Stadt. Die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber erfolge nach gesetzlich festgelegten Kriterien. Dazu gehören etwa die deutsche Staatsbürgerschaft, keine Vorstrafen, ein Mannheimer Wohnsitz und das passende Alter zwischen 25 und 69 Jahren.

Vorschlagsliste im Gemeinderat

Jede Person, die diese Kriterien erfülle, könne sich auch bewerben, sagt der Sprecher. Aber: „Der Gemeinderat oder der Jugendhilfeausschuss kann im Rahmen der Beratung über die Vorschlagsliste jedoch Personen streichen, die er für das Amt für ungeeignet hält.“

Und das hat einen guten Grund: In der Vergangenheit haben laut Medienberichten immer wieder auch radikale Systemgegner ihre Anhänger dazu aufgerufen, für das Schöffenamt zu kandidieren. „Der Rechtsstaat braucht uns - werdet Schöffen“ soll etwa die rechtsextreme NPD auf ihrer Website geschrieben haben.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Während der Gemeinderat über die Bewerber für die Erwachsenengerichtsbarkeit berät, wird im Jugendhilfeausschuss über die Jugendschöffen diskutiert, die ab 2024 auf der Richterbank in den Mannheimer Gerichten Platz nehmen könnten. Nach den Beratungen wandert die Liste ans Amtsgericht, wo die Schöffenwahl weiter koordiniert wird.

„Auf der Liste sollten sich mindestens doppelt so viele Bewerber befinden wie wir benötigen“, sagt Richterin Heike Langen-Brand, die am Amtsgericht für die Schöffenwahl zuständig ist. „Bisher haben wir das auch immer geschafft.“

Anschließend tagt ein Auswahlausschuss am Amtsgericht und wählt die neuen Schöffen aus. Der Ausschuss rekrutiert sich aus Verwaltungsbeamten der Stadt, aber auch aus Vertrauenspersonen aus dem Gemeinderat. „Bei den Schöffen ist uns ein Querschnitt der Bevölkerung wichtig“, sagt Langen-Brand. Zum Beispiel mit Blick auf das Alter der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, aber auch auf ihr Geschlecht.

Zwölf Verhandlungstage pro Jahr

Die Wahl muss - auch das ist gesetzlich geregelt - bis zum 23. September erfolgen. Und dann geht die Arbeit für die neuen Schöffen langsam los.

„Zunächst erwartet neue Schöffen eine Infoveranstaltung“, erinnert sich Schöffin Anja Hofmann. Dabei gehe es um pragmatische Dinge - Fehltage, Kleidung, Verhalten im Krankheitsfall. Aber auch um wichtige Details der neuen Aufgabe: Objektivität und den Eid, den die Schöffen schwören.

Anja Hofmann kann sich gut an ihre Vereidigung erinnern. An den Schwur, „die Pflichten eines ehrenamtlichen Richters getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz zu erfüllen, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.“

Hinter ihr liegen rund 35 Hauptverhandlungen als ehrenamtliche Richterin. Fälle von Vergewaltigung und Kinderpornografie, Drogendelikte. Prozesse, in denen sie sich stundenlang konzentriert und sich mit Richtern beraten hat. Über Wiederholungstäter und Menschen, die abgerutscht sind, dringend eine zweite Chance im Leben benötigten.

„Jede Verhandlung war sehr besonders“, sagt die Gartenstädterin. „Schöffe zu sein - das war eine große und wichtige Erfahrung für mich.“ Einmal im Monat fuhr Hofmann dafür ans Amtsgericht, von ihrem Job in der Buchhaltung eines Verlages war sie in dieser Zeit freigestellt.

Zehn bis zwölf Verhandlungstage pro Jahr sind pro Schöffe vorgesehen. Die Termine werden zugelost und Monate im Voraus bekanntgegeben, damit die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter alle ihre Termine bestmöglich planen können. Neben Hauptschöffen gibt es außerdem sogenannte Bereitschaftsschöffen, die im Krankheitsfall nachrücken.

„Um was es in der Verhandlung geht, weiß man im Vorfeld allerdings nicht. Das erfährt man erst am Verhandlungstag, beim Betreten des Gerichtsgebäudes“, sagt Hofmann. Damit die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter möglichst unvoreingenommen sind. Noch sieben Mal wird Anja Hofmann auf der Richterbank Platz nehmen. „Die Aufgabe erfordert viel Konzentration, man entscheidet hier über menschliche Schicksale“, sagt sie. Und man fälle ein Urteil über Taten, die manchmal nur schwer zu ertragen seien. „Anders als beim Fernsehen auf der Couch kann man nicht einfach wegschauen oder aufstehen und gehen, wenn bestimmte Beweisbilder gezeigt werden.“ Manchmal stundenlang.

Anja Hofmann hat es in den vergangenen Jahren nie bereut, sich als ehrenamtliche Richterin beworben zu haben. Auch wenn ihr so manches Verfahren einiges abverlangt habe. Das Schöffenamt sei eine wichtige Stütze unseres Rechtssystems, unserer Demokratie. „Aber nach fünf Jahren ist es auch gut“, sagt sie und lacht.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen