Mannheim

Die Schattenseiten von mehr Sonnentagen in Mannheim

Der Klimawandel bedeutet für die Innenstädte mehr Hitzetage und damit auch Stress für die Bevölkerung. Im Vorfeld des Deutschen Präventionstages in Mannheim weisen zwei Experten auf mögliche Sicherheitsrisiken hin

Von 
Stefanie Ball
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Öffentliche Aufenthaltsorte wie der Alte Meßplatz in der Neckarstadt-West müssen laut Experten auch unter Klimagesichtspunkten neu gedacht werden. © Thomas Tröster

Mannheim. Hitzewellen, Dürren, Anstieg des Meeresspiegels - das sind die bekannten Folgen des Klimawandels. Zu den weniger diskutierten Risiken gehören die Auswirkungen auf die Sicherheit. Felix Munger, Geschäftsführer des Canadian Municipal Network on Crime Prevention (CMNPC), und Lawrence Schätzle vom Deutsch-Europäischen Forum für Urbane Sicherheit (DEFUS) sehen hier eine potenziell gefährliche Lücke in der Vorbereitung der Städte auf die Klimakrise.

Herr Schätzle, Herr Munger, lassen Sie uns über Klimawandel und Kriminalität reden. Was hat das miteinander zu tun?

Felix Munger: Viel! Wenn wir über Klimawandel reden, reden wir oft über Mobilität, Gesundheit und Grünflächen. Dass die Klimakrise auch Auswirkungen auf die Gewalt und Kriminalität in Städten haben wird, wird in der Diskussion leider oft übersehen.

Der Präventionstag

  •  Die Klimaexperten unter anderem vom vom Deutsch-Europäischen Forum für Urbane Sicherheit (DEFUS) stellen sich auch beim Deutschen Präventionstag vor. Am 12. und 13. Juni findet der im Rosengarten statt. Er ist der weltgrößte seiner Art. Gastgeber sind die Stadt Mannheim und das Land Baden-Württemberg.
  • Teilnehmen können alle ab 14 Jahren. Ein Ticket für beide Tage kostet 255 Euro. Damit gibt es Zugang zu allen Veranstaltungen inklusive einer Abendveranstaltung auf dem Buga-Gelände.
  • Am zweiten Kongresstag (Publikumstag) sind die Ausstellung, Panel-Diskussionen und das Bühnenprogramm für Bürgerinnen und Bürger kostenlos zugänglich.
  • Das vollständige Programm gibt es hier 

Warum?

Lawrence Schätzle: Die Verknüpfung ist für beide Seiten spannenderweise gar nicht so intuitiv wie man meinen sollte. Einerseits kommt die Klima- und Nachhaltigkeitsforschung aus Fachbereichen, die sich überhaupt nicht als Teil der Sicherheitsforschung verstehen, und die meisten Kollegen im Sicherheitsbereich sehen ihre Zuständigkeit dann umgekehrt auch bei wirklich ganz anderen Problemen. Das Thema sitzt da also noch ein wenig zwischen den Stühlen.

Lawrence Schätzle und Felix Munger

  • Lawrence Schätzle ist wissenschaft-licher Mitarbeiter beim Deutsch-Europäischen Forum für Urbane Sicherheit (DEFUS).
  • Felix Munger ist seit 2015 Geschäftsführer des CMNCP, eines kanadischen Städtenetzwerks zur Gewalt- und Kriminalprävention, das sich mit Fragen des sicheren Zusammenlebens und der kommunalen Zusammenarbeit befasst.
  • Unter dem Dach von DEFUS tauschen sich 18 deutsche Großstädte – darunter Mannheim – zu aktuellen Fragen rund um die Sicherheit im öffentlichen Raum und ein friedliches Zusammen-leben in Städten aus. Beim Deutschen Präventionstag, dem größten deutsch-sprachigen Kongress zur Kriminalprävention, sprechen Schätzle und Munger darüber, wie der Klimawandel Kriminalität und Gewalt beeinflusst. Die Tagung findet in diesem Jahr vom 12. und 13. Juni in Mannheim statt.

Wo konkret ist denn die Sicherheit in Städten durch den Klimawandel gefährdet?

Munger: Es gibt direkte Verbindungen zwischen Klimawandel und Gewalt. Nehmen wir Hitze als ein Beispiel. Bei steigenden Temperaturen tendiert die häusliche Gewalt nach oben. Das macht den Aufenthalt drinnen gefährlich. Wenn sich die Menschen dagegen mehr draußen aufhalten, steigt das Konfliktpotenzial dort. Sie trinken eher Alkohol, auch das kann aggressiv machen. Hitze kann dazu unsere Stressresistenz und Fähigkeit zur Selbstbeherrschung einschränken. Dabei ist es wichtig, dass die Hitze selbst nicht das Problem ist.

Inwiefern ist die Hitze selbst nicht das Problem?

Munger: Geografisch heiße Orte sind nicht automatisch gewaltbelasteter. Es geht eher um große Temperaturschwankungen und darum, ob eine Kommune entsprechend vorbereitet und angepasst ist. Neben den direkten Folgen gibt es dann die indirekten Folgen: Extremwetterereignisse erzeugen Stress, Unsicherheit und Angst, in der Folge leiden die Menschen unter Depressionen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Das lässt sich in Studien nachweisen. Schätzle: Und nicht nur der Klimawandel selbst hat Folgen für die Sicherheit. Auch die Anpassungsstrategien, um seine Auswirkungen abzumildern, können wiederum die Sicherheit beeinflussen.

Wie das?

Schätzle: Aufenthaltsqualität in den Städten kann durch gelungene Anpassung enorm steigen. Da drin steckt auf der positiven Seite großes Tourismus- und Standortpotenzial für Städte. Wir alle lieben gut angebundene, grüne, belüftete und schöne öffentliche Plätze, die bis in die späte Nacht für alles Mögliche genutzt werden können. Doch dieser öffentliche Raum ist ohnehin schon enorm begrenzt, auch ohne die weiterhin fortschreitende Urbanisierung. Und wenn dann immer mehr Menschen an immer mehr Tagen zu immer längeren Zeiten am selben schönen Ort sein wollen, und gleichzeitig die Wohnung unangenehm heiß ist, führt das zwangsläufig zu Nutzungs- und Nutzerkonflikten, auf die wir uns vorbereiten müssen. Munger: Auch die Stadtverwaltung, die dann für diese Räume zuständig ist, hat ein Problem. Sie muss diese Flächen warten. Wer zahlt dafür? Die Kosten für eine 20-jährige Pflege von Bäumen und Sträuchern ist im Gestaltungsaufruf eines öffentlichen Platzes nicht enthalten. Hinzu kommt, dass sich auch die individuellen Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Grünflächenamtes oder des Kommunalen Ordnungsdienstes verschlechtern, wenn sie ohne Schutz unter extremen Wetterbedingungen draußen arbeiten müssen. Schätzle: In Rotterdam sucht zum Beispiel das Grünflächenamt auf Bitte der Polizei regelmäßig Messer und Drogen in Blumentöpfen und Büschen, weil die sich dort gut verstecken lassen. Auch sollten Pflanzen besser keine Sichtachsen oder Lichtkegel von Lampen blockieren. Das sind Folgen, die mitbedacht werden müssen, wenn Flächen neu gestaltet werden sollen.

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Was noch muss mitbedacht werden?

Schätzle: Dass Menschen, die vom Auto aufs Rad umsteigen - und das sollen ja mehr werden - sich dabei sicher und angstfrei vor Autos und anderen Menschen in der Stadt bewegen können müssen, gerade nachts. Auch an Bahnhöfen können wir Sicherheitsprobleme bekommen, wenn künftig immer mehr Menschen Bahn fahren, was sie ja sollen. Aber die Bahnhöfe und ihre Vorplätze wachsen platzmäßig meist deshalb nicht mit. Oder denken wir an die Beleuchtung von Straßen und Plätzen, die aus Klimaschutzgründen oder wegen Lichtverschmutzung verändert wird. So entstehen womöglich dunkle Ecken und Angsträume, die Sicherheitsgefühle verschlechtern können. Munger: Auch Extremwetterereignisse werden die Städte zunehmend belasten. Durch den Klimawandel werden Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste in immer kürzeren Abständen ausrücken müssen, um Keller leer zu pumpen, umgestürzte Bäume zu beseitigen, Menschen, die wegen der Hitze kollabiert sind, ins Krankenhaus zu bringen.

Im globalen Kontext trifft der Klimawandel vor allem die vulnerablen Gruppen, Menschen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft leben. Trifft das auch auf die Städte zu?

Munger: Auf jeden Fall! Unter Hitzewellen leiden vor allem die ältere Bevölkerung und Menschen, die nicht das Geld haben, um sich eine Klimaanlage zu kaufen oder bei Überschwemmungen in andere Gegenden zu fahren. Auch Wohnungslose sind enorm gefährdet, wenn sie beispielsweise wegen der Witterung an Flüssen oder in U-Bahnhöfen schlafen und es dann eine plötzliche Überschwemmung gibt. Oder wenn sie auf versiegelten Bahnhofsvorplätzen ohne Schatten und Wasser ganze Tage in der Sommerhitze sitzen. Schätzle: Ein sehr wichtiger Punkt, der auch ein Kernproblem unserer Arbeit berührt: urbane Resilienz und Sicherheit - für wen eigentlich genau? Wenn wir diese neuen grünen, schönen, offenen und sicheren Räume entwickeln, wer darf dann am Ende unter welchen Bedingungen und für welche Nutzungen dort sein? Wenn wir aber als Gesellschaft tatsächlich entscheiden sollten, dass bestimmte Gruppen das aus irgendwelchen Gründen nicht dürfen, welche sicheren und lebenswerten Alternativen können wir denen stattdessen bieten? Und wie erreichen wir die Gruppen dann mit diesem Angebot überhaupt?

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