Justiz - Pilotprojekt zur elektronischen Aktenerfassung soll am 1. Mai in den Zivilkammern starten

Das Landgericht wird digital

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Angela Boll
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Vizepräsident Holger Radke an seinem neuen, bereits voll digitalen Arbeitsplatz in einem Sitzungszimmer der Zivilkammer.

© Proßwitz

Im Endspurt seiner Amtszeit hat Präsident Günter Zöbeley noch Großes vor. Ab 1. Mai startet am Landgericht ein Pilotprojekt zur elektronischen Aktenerfassung (E-Justice). "Ein Epochenumbruch in der Justiz", so bezeichnet es Zöbeley, der sich dann am 1. Februar 2017 nach mehreren Verlängerungen endgültig in den Ruhestand verabschiedet. Zuvor aber wird zumindest bei den Zivilkammern Tabula rasa gemacht. Aktenberge, Kopien, vielfach ausgedruckter Schriftverkehr zwischen den Verfahrensbeteiligten - das alles soll mit der Einführung von E-Justice der Vergangenheit angehören.

Chance für Mannheim

Beim Amtsgericht, genauer gesagt beim Grundbuchamt und beim Vereinsregister, läuft's schon lange papierlos, alle klassischen Verfahren sollen nun folgen. Ob das so funktioniert, wie das Programm verbessert werden kann und welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, wird nun stellvertretend für ganz Deutschland in Mannheim getestet. "Eine große Chance für uns", sagt Vizepräsident Holger Radke, "weil wir uns an einem wichtigen Prozess beteiligen können."

Aber der Zivilrichter, der selbst stark in das Projekt eingebunden sein wird, kennt auch die Bedenken im Kollegenkreis: "Im Grunde wird ja alles anders, ein komplett neues Arbeiten. Das erfordert viel Geduld und wird sicher nicht ganz einfach werden." Zöbeley, der offenbar weiß, wie es sich anfühlt, wenn in einem wichtigen Arbeitsschritt der PC abstürzt, drückt es so aus: "Ich hoffe, dass es so wenige Nervenzusammenbrüche wie möglich gibt."

Wie nah Fluch und Segen beieinanderliegen, zeigte sich bereits. Denn eigentlich hätte das Pilotprojekt schon am 1. Januar starten sollen. Aber, so führt Zöbeley aus, "die E-Akte war nicht mit unserem Betriebssystem kompatibel". Es muss also noch nachinstalliert werden. Nun steht der 1. Mai als Termin für den Startschuss, ab dann sollen auch Anwälte alle Schriftstücke für Zivilverfahren elektronisch einreichen. Erste Schritte der Vorbereitung sind übrigens schon sichtbar. In einigen Räumen der Zivilkammer hängen Bildschirme, auf die sich künftig der Fokus der Verfahrensbeteiligten richten soll. Neue Möbel gibt es ebenfalls: "Höhenverstellbare Schreibtische und ergonomische Stühle - ein Anreiz, um die Akzeptanz fördern", erklärt Radke. Ein Jahr lang läuft in Mannheim die Testphase, dann erfolgt die Auswertung.

Rückgang der Strafverfahren

Viele Fragen gibt es bei der jährlichen Pressekonferenz des Landgerichts aber auch zu anderen Dingen, zum Beispiel zu dem seit Juni 2013 laufenden Drogengroßverfahren. Aber da winkt Zöbeley ab: "Ich möchte zu dem unsäglichen Verfahren nichts sagen, so lange es läuft." Auch die Kritik eines Mannheimer Anwalts, der kürzlich die Sicherheitsvorkehrungen bei dem Prozess als "Machtdemonstration der Justiz" bezeichnet hatte, will er nicht kommentieren. "Ganz allgemein kann ich aber sagen: Wenn die Polizei nicht von einer ernsthaften Gefahrenlage ausgeht, würde sie so einen Aufwand kaum betreiben."

Bleibt noch die Personalsituation am Landgericht zu analysieren - und da wirkt der Präsident weit weniger aufgeregt als in den Vorjahren. Zwar sind die Eingänge der Zivilverfahren enorm gestiegen, von 2855 im Jahr 2014 auf 3258 im vergangenen Jahr, dafür sind die eingehenden Strafverfahren allerdings rückläufig, nur 76 zählte das Landgericht 2015 (2014: 91). Der stetige Rückgang seit Jahren - für Zöbeley kaum zu erklären: "Ich kann nur mutmaßen, dass möglicherweise weniger angeklagt wird oder es mehr Angeklagte in den einzelnen Verfahren gibt."

Jedenfalls: "Personell kommen wir mal wieder irgendwie hin", fügt er an. "Es ist allerdings ein Ritt auf der Rasierklinge", findet sein Vize Radke, "es reicht eben immer gerade so und nur, weil wir uns gegenseitig aushelfen."

Redaktion Lokalredakteurin, Gerichtsreporterin, Crime-Podcast "Verbrechen im Quadrat"

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