Medizin

Baden-Württembergs erstes Tageshospiz in Ilvesheim

Der Mannheimer Caritasverband hat in Ilvesheim ein Tageshospiz eingerichtet. Es ist das erste in Baden-Württemberg. St. Vincent bietet todkranken Menschen und ihren Angehörigen eine Auszeit vom oft mühevollen Alltag

Von 
Stefanie Ball
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Thomas Baro hat einen inoperablen Hirntumor. Als er die Diagnose erfuhr, hat es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen © Stefanie Ball

Ilvesheim. Thomas Baro möchte einfach aufstehen und fortlaufen. Doch das kann er nicht. Schon lange nicht mehr. Der 62-Jährige sitzt im Rollstuhl, seine linke Körperhälfte ist gelähmt. Baro hat ein Glioblastom, einen Hirntumor. Inoperabel. Die Diagnose hat der Mannheimer vor drei Jahren erhalten. „Da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt er. Erst hieß es, es sei Sklerose. „Zur Reha haben sie mich geschickt.“ Anfänglich ging es gesundheitlich aufwärts, aber bald konnte er die linke Körperhälfte immer schlechter steuern, zum Gehen musste einen Stock nehmen.

Die Ärzte entschieden, nun doch eine Biopsie zu machen. Vier Wochen später erhielt er die Diagnose: Tumor, bösartig. „Dabei hat man mir immer versichert, es sei kein Tumor.“ Im vergangenen Herbst hat sich Baro einer Chemotherapie unterzogen, seitdem wächst der Krebs nicht mehr. Immerhin. Baro sitzt in einem Stuhl des Tageshospiz St. Vincent in Ilvesheim. Sein Blick geht nach draußen in den Garten der Heinrich-Vetter-Stiftung, die nebenan ihren Sitz hat; ihr gehört der Neubau. Träger des Tageshospizes ist der Caritasverband Mannheim. Er betreibt auch das stationäre Hospiz, das direkt an die neue Einrichtung angrenzt.

Tageshospiz und die Unterschiede zum stationären Hospiz

Zurzeit ist Baro der einzige Gast. Bislang gibt es nur wenige Tageshospize in Deutschland. Laut Deutschem Hospiz- und Palliativverband sind es aktuell 14, ein weiteres soll im Laufe des Jahres bezogen werden, ein anderes wird gebaut. Die Einrichtung in Ilvesheim ist die erste in Baden-Württemberg, eingeweiht wurde das Haus im vergangenen Herbst. Petra Waßmer ist die Leiterin. „Es läuft langsam an“, sagt sie. Sterben und Tod sind keine Themen, über die Menschen gerne sprechen.

Selbst dann nicht, wenn sie schwer krank sind. „Das ist ein Problem, so kommen viele erst spät auf den Gedanken, sich helfen zu lassen.“ Dabei könne die Palliativmedizin heutzutage viel dazu beitragen, die Lebensqualität zu verbessern. „Wenn Heilung ausgeschlossen ist, heißt das nicht, dass es keine Therapiemöglichkeiten mehr gibt“, sagt Waßmer. Wie im stationären Hospiz geht es im Tageshospiz um die Gestaltung der noch verbleibenden Lebenszeit. Die Schwerpunkte sind jedoch andere, im stationären Hospiz steht oft die Behandlung körperlicher Symptome im Vordergrund, das Lindern von Schmerzen und das Nehmen von Angst. Die Zeit ist meist begrenzt. In einem Tageshospiz geht oft noch mehr.

Blick auf das Tageshospiz von außen. Der Garten gehört der Heinrich-Vetter-Stiftung, kann aber von Gästen mitbenutzt werden. © Torsten Gertkemper-Besse

Jeder kann so viele Tage kommen, wie er möchte, und so lange bleiben, wie die Kraft reicht. Am Morgen gibt es erst einmal einen Kaffee oder Tee, wer möchte, erhält auch ein kleines Frühstück. Waßmer und ihre Kolleginnen sitzen dann oft mit am Tisch. Der Rest des Tages entwickelt sich. Es gibt Sessel zum Ausruhen und verschiedene Angebote von Physiotherapie über Musiktherapie bis hin zu Aromapflege. Daneben kommen Ehrenamtliche und lesen vor oder bieten Gesellschaftsspiele an. „Wenn das Leben eine Zugfahrt wäre, dann ist die letzte Station, an der wir aussteigen, das stationäre Hospiz. Das Tageshospiz ist drei, vier Stationen vorher.“

Neben der Tagesstruktur bietet die Einrichtung Entlastung. „Die Krankheit kommt und nimmt allen ein Leben weg, wir können den Menschen hier ein kleines Stück vom Leben zurückgeben, auch den Angehörigen“, sagt Waßmer.

Das empfindet auch Thomas Baro so. „Ich fühle mich wohl hier, wie ein Mensch“, sagt er. Er könne sich mit anderen unterhalten, mache Gesellschaftsspiele, vor Weihnachten wurde gebacken, gebastelt und gesungen.

Vom gesunden Sportler zum Totkranken

Petra Waßmer sagt, dass es für Gesunde normal sei, Leute zu treffen und Kontakte zu haben. Kranke hätten das nicht mehr. „In einer Welt der Heilen ist es für sie oft schwer, sich auszudrücken.“ Das führe zu Einsamkeit und oft auch zu Konflikten mit Partnerin und Partner, die den alten Menschen vermissen, den es so nicht mehr gibt. Im Tageshospiz spielt das keine Rolle. „Wir begegnen den Menschen unvoreingenommen und lernen sie so kennen, wie sie gerade sind.“

Baro war Fleischer, mit 15 Jahren hat er eine Lehre gemacht, dann den Meister. Er hatte einen eigenen Laden in Dossenheim, danach war er Geschäftsführer in einem Betrieb in Sandhofen. Bis er krank wurde. Der letzte Arbeitstag war der 7. Dezember 2019. „Das weiß ich noch genau, wir hatten einen Partyserviceauftrag, und ich habe mich nicht wohl gefühlt, da hat der Chef gesagt, ,gehen Sie nach Hause, ruhen Sie sich aus, ich brauche Sie in den nächsten Wochen‘“.

Doch daraus wurde nichts. Später habe die Frau seines Chefs zu ihrem Mann gesagt: „Jetzt siehst du mal, was du an dem Herrn Baro hattest“. Baro sagt, er sei früher nie krank gewesen, er habe auch viel Sport getrieben, Fußball, dann Laufen. Mehrere Male macht er beim Heidelberger Halbmarathon mit, der über die Berge geht. Seine beste Zeit ist eine Stunde vierzig Minuten. Sein größter Wunsch ist noch einmal laufen zu können, seine Strecke von seinem Haus in Casterfeld Richtung SAP Arena durchs Feld. Demnächst wolle sein Bruder zu Besuch kommen und mit ihm im Rollstuhl die Strecke abgehen.

Die Frage, ob er etwas in seinem Leben falsch gemacht hat, dass jetzt der Tumor in seinem Gehirn wächst, treibt Baro um. Doch er weiß, dass es darauf keine Antwort gibt. „Es ist wie es ist, ich mache das Beste daraus.“ Und er hofft. Dass der Zustand, wie er gerade ist, anhält. Oder dass es noch einmal besser wird. Im Moment sei er zufrieden. „Es gibt andere, denen es schlechter geht.“

Fahrdienst bringt Baro zum Hospiz

Die finanziellen Angelegenheiten habe er geregelt, seine Söhne sind über 30, bald wird Baro Opa. Die 27 Jahre alte Tochter, die eine schwere Behinderung hat, seit sie ein Kind ist, ist gerade mit ihren beiden Freundinnen in eine betreute Wohngemeinschaft nach Neckarau gezogen. Also nichts mehr, weshalb er sich sorgen müsste.

Thomas Baro kommt drei Mal in der Woche nach Ilvesheim. Morgens bringt ihn ein Fahrdienst, nachmittags holt ihn seine Frau ab. Anita Baro sagt, sie genieße die „drei Worte“, die sie dann mit dem Pflegepersonal wechselt. „Privat, praktisch, gesellig, informativ, wie auch immer es sich gerade ergibt.“

Sie erzählt, dass ihr Leben nach der Diagnose völlig aus den Fugen geraten sei. „Die Erkenntnis, dass vieles nicht mehr so sein wird, wie es war und wohl eher nichts so werden wird, wie man das mal träumte, ist immer noch bitter.“ Mittlerweile sei der Alltag geregelt, doch die Pflege ihres Mannes fordere sie heraus. Dazu komme die seelische Belastung, die Frustration des Partners zu spüren, die Traurigkeit und häufig auch die Ängste zu sehen und nicht wirklich helfen zu können. Sie fühle sich zerrissen zwischen Pflichten, dem Bemühen, dem Partner einen lebenswerten Alltag zu bieten, und der leisen Sehnsucht auf ein „eigenes kleines Stückchen Leben“.

Tageshopiz - wie erfolgt Finanzierung?

Seit ihr Mann Gast im Tageshospiz ist, sei deutlich mehr „Licht im Alltag“. Es gebe neue Impulse, angeregte Gespräche, weil jeder etwas zu erzählen habe. „An diesen Tagen geht es mir gut, weil ich sicher sein kann, dass auch mein Partner sich wohlfühlt und seine Interessen wahrnehmen kann.“

Die Kosten für das Tageshospiz übernehmen zu 95 Prozent die Krankenkassen, der Rest wird über Spenden finanziert. Wer die Einrichtung ausprobieren möchte, sei herzlich eingeladen, sagt Petra Waßmer: „Das geht für einen Tag ganz unbürokratisch.“ Ist der richtige Zeitpunkt vielleicht noch nicht gekommen, könne man in Kontakt bleiben.

Freie Autorin

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