Vorbericht zum Christopher-Street-Day in Mannheim - Im Rathaus kümmern sich zwei Beauftragte um die Belange von homosexuellen Menschen - sie sehen viel Zustimmung, aber auch Misstrauen in der Bevölkerung

Auf dem Weg zur bunten Stadt

Von 
Helga Boschitz
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Heute wollen Homosexuelle mit der CSD-Parade wieder auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Im vergangenen Jahre brachte der Umzug rund 70 000 Besucher in die Innenstadt.

© Tröster/Boschitz

Das vierte Stockwerk im Mannheimer Rathaus ist ebenso wenig bunt wie der Rest der Rathausflure, doch hinter den Türen geht es um alle Farben dieser Welt. Hier sitzen die Beauftragten für Integration und Migration und für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Und seit gut einem Jahr haben hier auch Sören Landmann und Grace Proch ihr Büro, die beiden Beauftragten für Menschen, die unter dem Kürzel "LSBTI" zusammengefasst sind: lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen.

"Wir hatten von Anfang an gut zu tun - mehr als wir stemmen können", sagen die beiden, die sich bisher eine Stelle teilen müssen. Ihr Büro soll nicht nur eine Anlaufstelle für alle Anliegen von LSBTI-Menschen sein. Ihre Aufgabe ist es auch, gemeinsam mit Vertretern der Stadtverwaltung, Initiativen und Aktivisten ein wirksames Antidiskriminierungs-Netzwerk aufzubauen.

"Mannheim möchte eine Stadt sein, die auch LSBTI-Menschen mit Offenheit und Wertschätzung begegnet", heißt es auf der Webseite, auch in vielen weiteren Publikationen wird betont, dass Vielfalt hier geschätzt und gefördert wird. Klingt gut. Zeigt Mannheim tatsächlich (Regenbogen-)Flagge?

In mancherlei Hinsicht bejahen Grace Proch und Sören Landmann das: "Wir hatten hier in der Verwaltung noch nie das Gefühl, dass jemand unsere Arbeit nicht ernst nimmt", sagen sie. Nicht zu vergessen alltägliche Beobachtungen wie die Monnemer Marktfrau, die ihren schwulen Stammkunden herzlich zur "Verpartnerung" gratuliert, oder die vielen "Straight allies", also heterosexuelle Unterstützer der LSBTI-Community aus der Bevölkerung wie aus der Politik.

Doch "Vielfalt heißt natürlich auch immer Vielfalt der Einstellungen", meinen die beiden vorsichtig. Das heißt: Hier wie auch anderswo gehen weder die Bürger noch die Stadtverwaltung durchgehend tolerant mit "von der Norm abweichenden" Identitäten und Verhaltensweisen um. Wo Vielfalt ist, ist auch Misstrauen, Unverständnis und Ablehnung bis hin zu gewalttätigen Reaktionen. Entsprechend gebe es auch hier Menschen, die aus Angst vor Ablehnung vor einem Coming-out zurückschrecken. Selbst die LSBTI-Community ist keine "glückliche Familie", wie der 53-jährige Axel Schäfer betont: "Da haben sich längst nicht alle lieb. Die Zugehörigkeit zur LSBTI-Gruppe ist oft das einzig verbindende Glied, ansonsten gibt es auch hier Ausgrenzungen und unsolidarisches Verhalten." Schäfer, der "sehr entspannt" mit seinem Mann mitten im Herzogenried lebt und die bunte Szene der Stadt schätzt und nutzt, spürt die Grenzen der viel besungenen Mannheimer Toleranz immer wieder: "Erst wenn ich meinen Mann auf der Straße küssen kann, ohne dass es hochgezogene Augenbrauen und giftige Blicke gibt, kann ich von wirklicher Offenheit und Respekt sprechen."

Je weiter eine Person sich von der "Norm" entfernt, je mehr sie sich von ihrem kulturellen oder gesellschaftlichen Hintergrund abhebt, desto schwerer hat sie es. "Inzwischen machen sich mehr und mehr trans- und intergeschlechtliche Personen auf den Weg nach draußen", weiß Ulli Biechele von PLUS, der psychologischen Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar. Wie auch die beiden Stadtbeauftragten sieht Biechele in dieser Gruppe und in der wachsenden Zahl von geflüchteten Menschen mit LSBTI-Hintergrund neue Schwerpunkte der Beratungsarbeit. "Trans- und intergeschlechtliche Personen stoßen oft auf besonders großes Unverständnis, da die 'Normalgesellschaft' sehr wenig von ihnen weiß", sagen die Experten.

"Wenn sie beginnen, ihre Identität offen zu zeigen, brauchen sie besondere Unterstützung - und die Gesellschaft noch entsprechende Aufklärung." Vergleichbar hart sei die Situation der vielen jungen schwulen Männer aus homophob geprägten Kulturen, die sich nicht selten von Zwangsehen und sogar Ehrenmorden bedroht sähen.

Es bleibt also für alle Beteiligten, die Bürger eingeschlossen, viel zu tun - selbst in einer Stadt wie Mannheim, die anscheinend um einiges "bunter" und offener ist als andere Städte in Deutschland. Von ihrem eigentlichen Ziel, das sie augenzwinkernd formulieren, sind Grace Proch und Sören Landmann jedenfalls noch weit entfernt: "Wir arbeiten jeden Tag daran, uns selbst abzuschaffen!"

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