Versorgungsdefizit - ZI und Weißer Ring wehren sich gegen Vorwurf

Arzt kritisiert: Warteschleife statt Hilfe

Von 
Meena Stavesand
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Ein Mann ist wegen fast 20 Jahre zurückliegenden Vergewaltigungen seiner damals 14-jährigen Stieftochter zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. © dpa

Ende Januar betreten zwei Frauen die Praxis des Allgemeinmediziners Immanuel Braun in Feudenheim. Eine von ihnen sagt, sie sei vergewaltigt worden - von einem Bekannten. "Rein körperlich verlief diese maximale Erniedrigung und Verängstigung glimpflich. Eine gynäkologische Untersuchung erfolgte im Krankenhaus, es gab die ,Pille danach'", schreibt Braun in einem Brief an den "MM". "Doch die psychologische Akutversorgung der Frau wurde zum Albtraum", so der Mediziner weiter. Der Feudenheimer Hausarzt berichtet von einer Odyssee mit Warteschleifen, Anrufbeantwortern und besetzten Telefonleitungen, als er bei Beratungsstellen und Psychologen für die Frau nach Hilfe sucht.

"Ein Mann geht gar nicht"

Die erste Anlaufstelle ist das Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. "Die Pforte verbindet mich dreimal an die zuständige Stelle", erinnert sich Braun, "dort läuft immer der Anrufbeantworter." Doch schließlich habe Braun einen Arzt am Hörer. "Aber ein Mann geht in diesem Fall gar nicht", erklärt der Feudenheimer Mediziner. Jemand anderes sei nicht verfügbar, habe es geheißen. Das ZI kann sich wegen der Schweigepflicht in einer Stellungnahme zu dem Fall nur allgemein äußern.

In der Regel werde darauf geachtet, dass der Dienst immer aus einem gemischten Team mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter besteht. Ob eine Behandlung eingeleitet wird, entscheide dann der diensthabende Mediziner. "Wir bedauern es sehr, wenn die Umsetzung der Richtlinien als Ablehnung einer Hilfeleistung empfunden wurde. Dieser Eindruck sollte auf keinen Fall entstehen. Die Notfallambulanz des ZI steht im psychiatrischen Krisenfall jedem offen", so eine Sprecherin.

Immanuel Braun sieht an diesem Januarmorgen jedenfalls keine Möglichkeit, dass seine Patientin am ZI psychologisch betreut wird. Daher wendet er sich an den Weißen Ring als Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. Auch hier läuft nach Angaben des Mediziners das Band mit der Ansage, dass es heute keine Sprechstunde gebe. Braun ist entsetzt: "Es ist nicht Nacht, sondern später Vormittag unter der Woche." Der Weiße Ring weist die Vorwürfe zurück. Auf "MM"-Anfrage erklärt eine Mitarbeiterin, dass es zum einen eine Mannheimer Telefonnummer gebe, deren Anrufbeantworter schnell abgehört werde, wenn niemand abnimmt. Es folge dann ein Rückruf - und eine individuelle Beratung und Hilfestellung. Zum anderen gebe es aber auch die bundesweite Rufnummer - "da geht immer jemand ans Telefon", sagt die Mitarbeiterin, "und vermittelt dann weiter".

Braun versucht es an jenem Vormittag noch bei der Polizei und dem Netzwerk für ambulante Traumapsychotherapie in Heidelberg. Beide Stellen seien bemüht gewesen, aber letztlich kann nur der Notruf und die Beratung für sexuell misshandelte Frauen und Mädchen helfen, auch als "maedchennotruf.de" bekannt. "Wir haben Schweigepflicht", erklärt die Einrichtungsleiterin Martina Schwarz, "doch die Kollegin kann sich an den Fall erinnern. Der Frau wurde gleich für den nächsten Tag ein Termin angeboten."

Keine Anzeige erstattet

Dieser "Mädchennotruf" ist eine Beratungsstelle für Mädchen und Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben - so wie die Patientin von Immanuel Braun, die von einer Anzeige schon bei der Erstuntersuchung abgesehen hat. "Sie hatte Angst, dass sie auf bestimmte Fragen unangenehme Antworten geben muss", erklärt Braun, der die Frau immer noch betreut. Zurzeit wolle sie keine Therapie, sagt der Mediziner.

Notfallnummern

Zentrum für seelische Gesundheit: 7.30 bis 17 Uhr, Notfallbereitschaft, Telefon 0621/17 03 21 50; 17 bis 7.30 Uhr, Kontakt über Empfang, Telefon 0621/1 70 30.

Notruf und Beratung für sexuell misshandelte Frauen und Mädchen: Telefon 0621/1 00 33 (Anrufbeantworter, Rückruf erfolgt); E-Mail: team@maedchennotruf.de.

Weißer Ring: in Mannheim Telefon 0621/1746999 (Anrufbeantworter, Rückruf erfolgt); bundesweite Telefonnummer 116 006 (kostenfrei).

Netzwerk ambulante Traumapsychotherapie Heidelberg/Rhein-Neckar: Telefon 06221/60 39 85 (Anrufbeantworter, Rückruf erfolgt).

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