„Und wie funktioniert das hier?“ – Das ist die Frage, die Caroline Courbier und Swetlana Hermann momentan mehrmals täglich beantworten. Denn in der „klokke“ in der Neckarstadt-West ist alles anders als in üblichen Cafés: Hier zahlen die Besucher nicht das, was sie verzehren, sondern die dort verbrachte Zeit. Es gibt Getränke und Snacks, aber keine Bedienung. Wer will, kann Essen oder Spiele mitbringen, das W-Lan zum Arbeiten nutzen oder Hobbys nachgehen – am besten gemeinsam mit anderen. „Wir wollten einen Ort schaffen, an dem Menschen zusammenkommen und Neues ausprobieren können“, sagt Swetlana Hermann.
Einloggen an der Stechuhr
Die beiden Betreiberinnen der „klokke“ folgen damit dem Konzept der Anti-Cafés, das aus Russland stammt und sich inzwischen auch in einigen europäischen Großstädten etabliert hat. Im Gegensatz zu den russischen Vorgängern wird in der „klokke“ – Norwegisch für „Uhr“ – die Zeit aber nicht minutenweise abgerechnet. Die erste Stunde kostet 5 Euro, die zweite 3 Euro – ab der zweiten Stunde wird aber halbstündlich abgerechnet. Dafür haben die „klokke“-Mädels eigens eine alte Industrie-Stechuhr angeschafft – ein großer Spaß für die Gäste.
Im Küchenbereich darf sich jeder selbst bedienen – zum Beispiel mit Kaffee, Tee, veganen Keksen oder einem Schälchen Milchreis. Im Kühlschrank stehen Milch, Wasser und Sirup zum Selbermixen. Die 30-jährige Caroline Courbier und die 32 Jahre alte Swetlana Hermann sind in Mannheim aufgewachsen und kennen sich schon seit Kindertagen. Zum Studieren hat es sie in andere Städte – Mainz, Karlsruhe, Greifswald – verschlagen. Zurück in Mannheim haben sie sich daran erinnert, dass sie sich gemeinsam selbstständig machen wollten; die Idee zum Anti-Café war geboren. Und da beide große Fans der Neckarstadt-West sind, war ihnen auch klar, wo die Idee verwirklicht werden sollte. Zehn Monate hat der Umbau des ehemaligen Optikers zur „klokke“ gedauert. Eine Förderung haben die beiden nicht bekommen. In dem Anti-Café steckt ihr eigenes Geld – und ihr eigener Schweiß. „Unsere Familien und Freunde haben uns aber zum Glück bei vielem geholfen“, sagt Swetlana Hermann.
Kinder ausdrücklich willkommen
Bei der Einrichtung der „klokke“ waren sich die jungen Frauen schnell einig. Beide hatten das gleiche Vorbild vor Augen: die Wohnung einer Freundin aus Kindheitstagen. „Wir wollten ein gemütliches Öko-Familien-Wohnzimmer entstehen lassen, in dem man auch arbeiten kann“, sagt Caroline Courbier. Dank viel hellem Holz, noch mehr Pflanzen und liebevollen Details wie einem Spiel-Tipi für Kinder ist ihnen das gelungen.
Apropos Kinder: Die sind in der „klokke“ ausdrücklich willkommen. „Hier sollen sich alle wohlfühlen – Mamas mit Babys genauso wie Rentner oder junge Kreative“, sagt Swetlana Hermann. Und wenn das Babygeschrei einen Laptop-Arbeiter stört? „Dann bieten wir ihm einen Schallschutz-Kopfhörer an.“
Wichtig ist den „klokke“-Mädels aber auch das Angebot an Hobby-Zirkeln. Ob Mini-Makramee, Kräuterkunde oder Mathe – das Anti-Café soll Treffpunkt für Menschen sein, die Spaß daran haben, gemeinsam ihren Interessen nachzugehen. „Man muss auch kein Experte sein, um ein Hobby-Lab zu initiieren“, sagt Swetlana Hermann. „Man kann sich ja vieles selbst aneignen – und gemeinsam macht es einfach mehr Spaß!“
Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/mannheim
Anti-Cafés
- Das Konzept für Anti-Cafés stammt aus Russland. Anti-Cafés sind Orte, an denen Menschen Zeit verbringen.
- Bezahlt wird diese Zeit, nicht das dort Konsumierte.
- Die „Klokke“ in der Mittelstraße 19 in der Neckarstadt-West hat täglich von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Die erste Stunde kostet 5 Euro, die zweite und dritte 3 Euro, die vierte 2 Euro. Tagespass: 15 Euro. Infos zu den Hobby-Kreisen unter www.dieklokke.de.
- Ein anderes alternatives Café-Konzept verfolgen Verena und Max Freudenberg mit ihrer „Dankbar“ im Quadrat G 7, mitten im Herzen des Gründerzentrums „gig7“: Dort bezahlt jeder so viel, wie er will. Infos: www.dankbar-mannheim.de. sos
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