Soziales - Besonders Obdachlose leiden unter den eisigen Temperaturen - zwei Betroffene berichten

"Am Anfang ist es noch kühl, aber irgendwann wird es warm"

Von 
Timo Schmidhuber
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Rund 80 Männer und Frauen in Mannheim haben nach Schätzungen des Rathauses kein Dach über dem Kopf - unser Bild stammt aus der Innenstadt.

© Prosswitz

Der Winter kommt mit Macht zurück, die Meteorologen kündigen für diese Woche Temperaturen bis minus neun Grad an. Für die rund 80 Männer und Frauen, die nach Schätzungen der Stadtverwaltung in Mannheim auf der Straße leben, eine besonders harte Zeit. "Jetzt verschärft sich das schon", findet ein 57-jähriger Obdachloser, der seinen Namen nicht sagen will und in diesem Artikel Günther heißt. Eine 50-Jährige, die ebenfalls keine Wohnung hat und die wir Gabi nennen, will von der Wettervorhersage am liebsten gar nichts wissen. "Ich versuche, mir keine Gedanken zu machen." Doch trotz Minusgraden - in die städtische Notübernachtungsstelle wollen beide nicht.

Mittags, kurz vor halb zwölf: In der Obdachlosen-Tagesstätte der Caritas in D 6 ist jetzt nicht mehr viel los. Die Wände sind gelb, die Holzstühle haben blaue Lehnen, auf jedem der Tische steht eine kleine Vase mit einer roten Tulpe drin. Am Morgen waren hier rund 40 Obdachlose zum kostenlosen Frühstück, wie Mitarbeiter Marcus Lehmann erzählt. An einem Tisch in der Ecke sitzen jetzt noch vier Männer und unterhalten sich in einer osteuropäischen Sprache. Ihre dicken Jacken hängen über den Stuhllehnen, daneben stehen vollgepackte Taschen. Auch Günther und Gabi sind noch da. Günther, ein großer Mann mit Fleecepulli und ärmelloser Jacke, lebt seit mehreren Jahren auf der Straße. Zuerst verlor er den Job, dann die Wohnung. Gabi ist erst seit einigen Monaten obdachlos. Wie es dazu kam, darüber will sie nicht sprechen.

Schweigen auch beim Thema Übernachtungsplatz: Günther verrät seinen nicht, Gabi ihren auch nicht. Aus Angst, dass andere kommen und man den Unterschlupf dann verliert. Alles muss vage bleiben. Er schlafe "in einer Art Treppenhaus", erzählt Günther, "natürlich nicht geheizt, aber immerhin frostfrei". Wenn er bis gegen sieben, acht Uhr wieder weg sei und keinen Dreck hinterlasse, gebe es keine Probleme. Unter zwei Fleecedecken legt er sich dort, in Jacke und Schuhen. Die Decken könne man morgens platzsparend zusammenrollen. "Man muss die ja tagsüber irgendwo verstecken - oder mit sich rumschleppen."

Sein Treppenhaus bezeichnet Günther als "Luxusschlafplatz". Gabi, die zierliche Frau mit den dunkelblonden Haaren, muss da mit widrigeren Umständen kämpfen. Mit vier anderen Obdachlosen verbringt sie jede Nacht unter einem Vordach an einer Gebäudewand, direkt auf dem Asphalt. Trocken ist es zwar - aber eben verdammt kalt.

Schlafsack mit Kapuze

Sie braucht schon mehr als zwei Fleecedecken. "Ganz unten eine Isomatte, darüber eine weitere Abdeckmatte, eine Decke und ein alter Schlafsack." Jedes Mal fährt ihre Handfläche über den Tisch, als wolle sie dort Schicht um Schicht aufbauen. "Das ist alles nötig, um die Kälte vom Boden abzuhalten." In Kleidern und Schuhen packt sie sich dann in einen Schlafsack mit Kapuze, den sie von der städtischen Wohnungslosenhilfe bekommen hat - "der hält minus 20 Grad aus". Trotzdem legt sie noch eine Decke und einem weiteren alten Schlafsack darüber. "Am Anfang ist es noch kühl, aber irgendwann wird es warm. Ich versuche, mir gute Gedanken zu machen - und dann schlafe ich ein."

Wenn die Temperaturen unter null Grad sinken, steuert die Wohnungslosenhilfe mit ihrem Kältebus die ihr bekannten Übernachtungsplätze an. Die Mitarbeiter geben neben Schlafsäcken und Decken auch heißen Tee und Brühe aus - und bieten den Obdachlosen an, sie in die städtische Notübernachtungsstelle in der Bonadiesstraße zu bringen. Doch das komme für sie nicht infrage, sagt Gabi, ohne Gründe nennen zu wollen. Günther wird da schon deutlicher. Ein Kommen und Gehen herrsche in der "Zitronenvilla", wie das Quartier wegen seiner gelben Fassade genannt wird. Er habe gehört, dass geklaut werde.

Gabi kommt morgens oft in die Caritas-Tagesstätte. Dort könnte sie sich waschen und Zähne putzen, macht das aber meist schon vorher. "Es gibt schon viele Stellen in der Stadt, wo man sich frisch machen kann." Den Tag verbringt sie in Anlaufstellen wie der Lutherkirche in der Neckarstadt-West, derzeit auch in der Vesperkirche oder aber in Bibliotheken. Bei Günther ist es ähnlich. "Zwischen Weihnachten und Neujahr war es schwierig, da war alles zu." Er freut sich schon auf den Frühling. Die Kälte sei nicht seine Sache, betont er. "Ein Eskimo wird aus mir in diesem Leben nicht mehr."

Hier gibt es Hilfe

  • Zentrale städtische Anlaufstelle für Obdachlose ist die Fachberatung in der Holzstraße 3. Die Stadt hält 130 Betten in diversen Häusern vor, bei Bedarf kann diese Zahl aufgestockt werden.
  • Die Notübernachtungsstelle befindet sich in der Bonadiesstraße 2. Dort schlafen nach Angaben von Hubert Ogon, Leiter der städtischen Wohnungslosenhilfe, zurzeit rund 20 Personen
  • Der Kältebus der Stadt ist bei Temperaturen unter null Grad zwischen 21.30 und 1 Uhr im Einsatz. Er steuert den Sozialarbeitern bekannte Übernachtungsplätze an, die Helfer verteilen Schlafsäcke und heiße Getränke. Seit November sei der Bus rund 20 Mal unterwegs gewesen, so Ogon. "Wir haben durchschnittlich zwischen acht und 15 Personen angetroffen." Dass diese in die Notübernachtungsstelle mitgingen, sei aber selten. Dieses Quartier nutzten eher Obdachlose, die neu in Mannheim ankämen.
  • Der Caritasverband unterhält in D 6,7 eine Tagesstätte mit einem vielfältigen Hilfsangebot. Zudem bietet er mit der Oase in H 5,4 eine Tagesstätte für wohnungslose Frauen. Freezone betreibt in J 7,23 eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben. imo/scho

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