Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit Schwerstbehinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, jetzt wird gegen die Leiter des Mannheimer Pflegedienstes Mediavita ermittelt. Der Vorwurf: Abrechnungsbetrug. Es geht um eine Summe im sechsstelligen Bereich. Die beiden Männer sollen Stellen, die für examinierte Pflegekräfte ausgeschrieben waren, mit nicht ausreichend qualifiziertem Personal besetzt haben.
Eine Sprecherin der Mannheimer Staatsanwaltschaft erklärte auf Anfrage, dass derzeit mehrere Ermittlungsverfahren wegen Betrugs gegen Verantwortliche von Mannheimer Pflegediensten laufen. Heißt: Die Männer – Geschäftsführer, Gesellschafter und zugleich Pflegedienstleitung des Unternehmens – sind nicht die einzigen in der Branche, die im Verdacht stehen, ihren Betrieb rechtswidrig geführt zu haben. Zu dem Verfahren gegen Mediavita machte die Staatsanwaltschaft keine Angaben.
Zwei Monate ohne Gehalt
Im November waren die Beschuldigten, die Mediavita leiteten, festgenommen worden. Bis Dezember saßen sie in Untersuchungshaft, wurden dann gegen Auflagen entlassen. Die Rechtsanwälte Ekkart Hinney und Ulrich Neumann vertreten die Beschuldigten. Nach Angaben der Verteidiger haben beide Männer bei den Ermittlern umfassend ausgesagt und die Vorwürfe größtenteils eingeräumt.
Hintergrund des Verfahrens sei der „eklatante Pflegenotstand“ in Deutschland, betonen die Anwälte. Ihre Mandanten hatten Stellen, die mit examinierten Pflegekräften hätten besetzt werden müssen, an nicht ausreichend qualifiziertes Personal vergeben. Examinierte Pflegekräfte seien schlichtweg nicht zu finden gewesen, erklären die Verteidiger. „Letztlich hat wohl das Gewinnstreben über die Moral gesiegt“, so Hinney. Einer der Verdächtigen sitzt mittlerweile wieder in Untersuchungshaft. Er hatte gegen die Auflagen verstoßen und Kontakt zu seinen Mitarbeitern aufgenommen. „Es lag ihm am Herzen, die Dinge zu klären“, berichtet sein Anwalt Ulrich Neumann.
Auf der Homepage des Unternehmens werden auch aktuell noch Mitarbeiter gesucht. Der Anzeige nach braucht Mediavita Pflegehilfskräfte. Die Aufgaben: Grundpflege, Unterstützung im Haushalt, Begleitdienste (Einkäufe, Arztbesuche, Freizeitaktivitäten etc.), Assistenzdienstleistungen im Beruf, Studium und Schule. „Wir bieten die Möglichkeit, als WerkstudentIn, auf Mini-Job-Basis oder in Festanstellung (Vollzeit/Teilzeit) zu arbeiten“, heißt es auf der Internetseite, und: „Für die Arbeit in der persönlichen Assistenz ist keine formale Ausbildung erforderlich.“ Eine Anzeige, wonach examinierte Pflegekräfte gesucht werden, ist auf der Homepage nicht zu finden.
Nach der Festnahme von Gesellschafter und Geschäftsführer im November waren auch die Büroräume des Pflegedienstes durchsucht und Akten beschlagnahmt worden. Von heute auf morgen fehlte in dem Betrieb die Führung, die Mitarbeiter waren auf sich alleine gestellt.
Einer der Angestellten, der nicht namentlich genannt werden möchte, berichtet: „Es gab sehr viel Unruhe, auch bei unseren Klienten, niemand wusste, wie es weitergeht und was das für den Einzelnen bedeutet.“ Dennoch hätten alle wie gewohnt weitergearbeitet: „Wir wollten ja gewährleisten, dass die Menschen weiter versorgt werden“, sagt der Mitarbeiter.
Für Betreuung wird gesorgt
Isa Böhmer, Sprecherin der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft, erklärt auf Anfrage, wie die Behörde in solchen Fällen vorgeht. „In der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Mannheim sind speziell ausgebildete Staatsanwälte tätig, die sich mit Delikten im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen befassen“, sagt sie. Die Sachbearbeiter würden in solchen Fällen Kontakt mit den für die Pflege zuständigen Krankenkassen aufnehmen. „Die dortigen Ansprechpartner stellen sicher, dass die Patienten sachgerecht gepflegt werden und kümmern sich um eine entsprechende Anschlussversorgung.“ Im Falle einer Insolvenz stehe ein vorläufiger Insolvenzverwalter für die Organisation des Unternehmensablaufes zur Verfügung.
Betrieb mittlerweile eingestellt
Auch bei Mediavita hatte das Amtsgericht im Dezember einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Olaf Spiekermann arbeitet seitdem, wie er selbst sagt, „unter Hochdruck, um die bestmögliche Lösung für Patienten, Gläubiger und Arbeitnehmer zu finden.“ Bei einer Betriebsversammlung Anfang dieser Woche bot er den Mitarbeiten, die zwei Monate lang kein Gehalt bekommen hatten, an, dass ihnen ein Teil des ausstehenden Lohns ausgezahlt werden kann. „Dies war eine gemeinsam mit der Arbeitsagentur erarbeitete Lösung“, erklärte Spiekermann, weshalb den Mitarbeitern empfohlen wurde, nun rückwirkend ihre Kündigung einzureichen. Tatsächlich sei der Betrieb allerdings schon länger eingestellt, sagt Spiekermann, weil alle Klienten mittlerweile von anderen Pflegediensten betreut werden würden. Im März werde das Insolvenzverfahren eröffnet, kündigt Spiekermann an.
Ob und wann die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, steht derzeit noch nicht fest.
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