Mannheim. Er feiert als „geselliges Tier“ eigentlich die Feste, wie sie fallen. Dass sein 80. Geburtstag nun an diesem Montag mehr oder weniger ins Wasser fällt, das kann Gerhard Rietschel dennoch locker verschmerzen. Schließlich ist der Biologe, Wissenschaftler und Naturschutzbeauftragte mit den unberechenbaren Launen der Natur vertraut.
Jetzt hält er sich das Virus mit Vorsicht vom Leib, übt sich in heiter-ironischer Covid-19-Gelassenheit und freut sich im Lockdown schon auf neue Abenteuer in postpandemischer Zeit: Sein nächstes Ziel sind die Galapagos-Inseln im östlichen pazifischen Ozean. Bei viel Glück will Rietschel durchgeimpft und wohlgerüstet schon im März ins Reich der phänomenalen Riesenschildkröten starten.
Gerhard Rietschel selbst gehört zu jener glücklichen Spezies, die sich jung und fit hält durch eine vita activa. Mit Engagement und Begeisterung stellt er sich seit 38 Jahren ehrenamtlich in den Dienst der Natur und erhielt dafür die Staufer-Medaille des Landes. Er hat das große grüne Ganze der Umwelt im Blick, kümmert sich aber auch um die kleinen Störfälle in Flora und Fauna.
Leidenschaft für Wanderfalken
Gerade jetzt päppelt der Naturschutzbeauftragte eine seltene Zweifarbenfledermaus mit Mehlwürmern hoch, die sich am Taubenabwehrspieß eines Bankhauses schwer verletzt hatte. Das Loch in der Flughaut des kleinen Säugers ist schon fast verheilt, bald soll das Tierchen im Schriesheimer Bergwerkstollen ausgewildert werden.
Als geheilt entlassen ist bereits eine zauberhafte Schleiereule, die an der Fensterscheibe des Landgerichts fast ihr Todesurteil empfangen hatte. Mit einem Schleudertrauma kam sie flugunfähig zu Rietschel. Da die schöne Greifin ausschließlich lebendes Getier verzehrt, musste er sie mit Rindergulasch zwangsernähren. Die rigide Maßnahme half ihr auf die Beine, jetzt jagt sie wieder in freier Wildbahn.
Auch einen wunderschönen Pirol, der mit seinem leuchtend gelben Gefieder regungslos in einem Acker bei Ilvesheim lag, konnte Rietschel vor kurzem durch eine Entgiftungskur ins Leben zurückholen.
Seine Leidenschaft gehört aber seit 1988 den Wanderfalken, die hier nahezu ausgestorben waren, ehe Rietschel kam. Für sie steigt er in jeder Brutsaison auch mit 80 Jahren (und einer künstlichen Hüfte) noch ganz passioniert hoch in den Turm der Konkordienkirche – wenn’s sein muss täglich. Über sie hat er als Naturwissenschaftler einen vielbeachteten Forschungsbeitrag zu einer Ménage-à-trois unter den Mannheimer Wanderfalken verfasst, eine weltweit einmalige Dreiecksgeschichte. Für Falco peregrinus lässt er Kameras installieren und Bilder live in die Mozartschule übertragen. Naturkundeunterricht mit reißerischen Szenen, da wird jedes Kind in Bann gezogen.
Begeisterung kann ansteckend sein. Bei Rietschel ist sie im Gencode verankert. Der Vater vererbte als Professor für Zoologie in Frankfurt seinen drei Söhnen das Rietschel-Chromosom. Gerhard, der Mittlere, studierte Biologie, Chemie, Physik und Geografie, promovierte und habilitierte in Gießen. 1980 fand er sein Feld an den Reiss-Engelhorn-Museen, baute eine naturkundliche Abteilung auf, präsentierte über 30 Ausstellungen.
Vorratsmäuse in der Truhe
2004 endete die Rietschel-Ära am Museum mit dem Ruhestand. Doch als Naturschutzbeauftragter bleibt er weiter rege, führt seine vielen Fans durch Wald und Flur, hält Vorträge als Aktiver in beiden Mannheimer Naturkundevereinen, pflanzt schon bei den Kleinen im Kindergarten den Respekt vor jeder Kreatur ein und freut sich, wenn hoffentlich bald die Programme wieder anlaufen.
Seine Familie zieht dabei mit: Partnerin Inge Baumgart hat sich an Mehlwürmer im Schraubglas oder ein paar Vorratsmäuse in der Gefriertruhe längst gewöhnt, Tochter Barbara und Enkelinnen gehen gerne mal mit auf Pilzsuche.
Und als Genussmensch liebt der Jäger Rietschel auch Tiere auf dem Teller, schießt sich den Geburtstagsbraten, wenn’s sein soll, selbst. Dazu dann einen guten Tropfen und mit Wilhelm Busch ein Prosit zum 80.: Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben!
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