Mannheim. Julia Willmann kann sich völlig problemlos in das Innere einer Schwebfliege hineinversetzen. Kein Wunder: Bei der Feuergriffel-Stipendiatin dreht sich zurzeit alles um das kleine Fluginsekt. Mit ihrer Buchidee „Die keine Fiege ii und das Rauschen der Welt“ hatte sich die Berlinerin für das Mannheimer Stadtschreiber-Stipendium beworben. Seit April arbeitet sie im Turm der Alten Feuerwache nun an ihrem außergewöhnlichen Projekt.
„Die keine Fiege ii und das Rauschen der Welt“ handelt von der kleinen Schwebfliege Lili, die durch einen Unfall nicht mehr das „L“ aussprechen kann - was den kuriosen Titel erklärt. Dabei ist es für Julia Willmann keine Frage, dass sie einer Fliege ein ganzes Buch widmet: „Ich finde, es gibt da keine Unterschiede, eine Fliege ist so kostbar wie jedes andere Lebewesen“, sagt sie im Gespräch mit dieser Redaktion.
Lockere Mannheimer
Als Julia Willmann Mitte April die Turmwohnung in der Alten Feuerwache bezieht, hat sie keinen einfachen Start: „Ich bin von Bettina Harling und dem Team der Stadtbibliothek zwar wahnsinnig nett empfangen und umsorgt worden“, erzählt die Berlinerin. Doch Mannheim steckt zu dieser Zeit mitten im Lockdown: „Als ich kam, konnte ich nirgendwohin“, erinnert sie sich an die ersten Tage. Aber die Ruhe und die nächtliche Ausgangssperre ab 21 Uhr kommen ihr auch entgegen: „Ich brauchte dringend Abstand von der riesigen Stadt und den vielen Verpflichtungen.“ Mit langen Spaziergängen am Neckar schöpft sie Kraft - und bekommt den Kopf frei für neue Ideen. „Dann habe ich wie eine Berserkerin gearbeitet“, lacht sie. Und stellt zudem schnell fest, dass sie sich in Mannheim richtig wohlfühlt: „Ich stelle mir wirklich die Frage, ob Mannheim vielleicht die entspannteste Stadt Deutschlands ist.“ Den Menschen hier bescheinigt sie jedenfalls „eine ganz besondere Mentalität, alle sind total entspannt und so freundlich“.
Feuergriffel
- Der Mannheimer Feuergriffel ist das einzige Stadtschreiberstipendium für Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland.
- Es wird alle zwei Jahre von der Stadtbibliothek Mannheim ausgeschrieben und gefördert durch die Karin und Carl-Heinrich Esser Stiftung, die Bülent Ceylan für Kinder Stiftung, das Kulturzentrum Alte Feuerwache, den Förderkreis der Stadtbibliothek und die GBG Mannheim.
- Julia Willmann ist die achte Stadtschreiberin Mannheims. Sie wurde 1973 in Freiburg im Breisgau geboren und studierte Romanistik, Germanistik und Medienwissenschaften in Aix-en-Provence und Düsseldorf, anschließend Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
- Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und arbeitet als Dramaturgin und freie Autorin. Seit 2003 veröffentlicht sie Kurzgeschichten in Anthologien und Literaturzeitschriften. Ihr erster Roman „was es ist“ (fontis – Brunnen Basel) erschien 2017, ihr erstes Kinder- und Jugendbuch „Rascha und die Tür zum Himmel“ (Peter Hammer Verlag) Ende Mai. Derzeit arbeitet sie im Turm der Alten Feuerwache an ihrer Feuergriffel-Buchidee „Die keine Fiege ii und das Rauschen der Welt“ über eine Schwebfliege, die kein „L“ aussprechen kann.
Erst jetzt, kurz vor dem Ende ihrer Feuergriffel-Zeit, kommt Julia Willmann dazu, die Stadt zu erkunden, denn ihre Tochter ist gerade zu Besuch in Mannheim: „Sie hat schon Ferien. Wir haben nachmittags einiges vor, wir wollen in den Luisenpark, zum Strandbad und in eine Schnawwl-Vorstellung.“ Dass die Mutter vormittags arbeitet, stört die Grundschülerin nicht - im Gegenteil: Das Mädchen findet die Arbeit seiner Mutter spannend: „Sie war schon bei vielen Lesungen dabei, das erste Mal war sie gerade fünf Jahre alt“, erinnert sich Julia Willmann.
Mit dem Fortschritt ihrer Arbeit ist die Berlinerin kurz vor dem Ende ihrer Mannheimer Zeit zufrieden: „Die erste Buch-Fassung ist so gut wie abgeschlossen“, berichtet sie. Bis Mitte Juli bleibt sie noch in der Quadratestadt, dann geht es wieder nach Berlin. Dort steht noch viel Arbeit auf dem Plan, denn bis das Buch druckreif ist, wird es noch dauern. „Doch es ist in jedem Fall sehr speziell“,verrät Willmann.
Fressfeinde und starker Wind
Das Roadmovie soll die Leser auf vielen Ebenen ansprechen: Da sind zum einen die spannenden und gefährlichen Abenteuer, die Lili erlebt: Fressfeinde, starker Wind oder Klimakrise. Doch das Buch möchte sich auch an ältere Leser richten: Atmosphärische Naturbeschreibungen, das sogenannte Nature Writing, soll sich lebendig von den gängigen und oftmals klischeehaften Beschreibungen abheben: „Daran habe ich extrem stark gearbeitet, und ich hoffe, dass die Schönheit der Natur wirklich wahrnehmbar und spürbar wird.“
Was Julia Willmann zum vollkommenen Glück noch fehlt, ist ein mutiger Verlag, der ein Buch mit einem herrlich spritzigen Sprachfehler verlegt. Das dürfte aber kein Problem sein, denn der Sprachfehler macht Lili erst zu dem, was sie ist: ein witziger Zweiflügler, der menschlicher ist als so mancher Zweibeiner.
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