Sonderausstellung

"Die Normannen": Was Besucher in der REM-Ausstellung erwartet

Rund 300 hochkarätige Leihgaben, sehr attraktiv präsentiert – das ist die neue Sonderausstellung „Normannen“ der Reiss-Engelhorn-Museen. Mit vielen aktuellen Bezügen zeigt sie, wie die Kämpfer aus dem Norden ganz Europa geprägt haben

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Waffen klirren. Kämpfer mit Helm und im Kettenhemd treten gegen- einander an, Mann gegen Mann, mit Schwertern und Streitäxten. Reiter galoppieren unter wehenden Fahnen voran und die Pfeile der Bogenschützen sausen durch die Luft.
 
So muss es gewesen sein bei der Schlacht von Hastings am 14. Oktober 1066, nach der Wilhelm der Eroberer, nicht ohne Grund auch Bastard genannt, zum König von England gekrönt und das riesige Reich der Normannen wieder ein Stück größer geworden ist.

„Prall gefülltes Schatzhaus normannischer Geschichte“

Wer will, kann sich in der Ausstellung solch einen Helm aufsetzen, so ein Kettenhemd überstreifen und in der filmischen Rekonstruktion diese Schlacht erleben, ebenso die Eroberung Antiochias 1098. Mitmach-, Hör- und Fühlstationen (Es ist nicht überall „Berühren verboten!“) für alle Generationen, Comics und Computeranimationen sowie eine ansprechende, moderne grafische Gestaltung machen die Sonderschau zu einem Erlebnis.

Aber über allem stehen natürlich die einzigartigen Handschriften, seltenen Textilien, Waffen sowie Kostbarkeiten aus Gold und Edelstein. Durch sie ist das Zeughaus „zum prall gefüllten Schatzhaus normannischer Geschichte“ geworden, wie Wilfried Rosendahl hervorhebt, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen.

Die Ausstellung

  • Die Ausstellung läuft vom 18. September bis 26. Februar 2023 im Museum Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen in C 5.
  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, an baden- württembergischen Feiertagen 11 bis 18 Uhr, nur 24. und 31. Dezember geschlossen.
  • Eintritt: Erwachsene 13,50 Euro, Kinder/Jugendliche (6 - 18 J.) 4,50 Euro, Begünstigte 11,50 Euro.
  • Katalog: „Die Normannen“,Verlag Schnell & Steiner, 528 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Museumspreis 34,95 Euro, im Buchhandel 45 Euro, außerdem zweisprachiger Essayband „Norman Connections - Normannische Verflechtungen zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer“ und für Kinder ab 8 Jahren Entdeckerheft mit Rätseln und Aufgaben rund um die Normannen für zwei Euro.
  • Führungen: öffentliche Führungen jeden Sonntag um 15 Uhr, öffentliche Kuratoren-Führungen am 9.10., 13.11., 11.12.2022 und 15.1. und 12.2.2023 jeweils um 13 und 15 Uhr, nur Eintritt Teilnahme frei dank Unterstützung der MVV. Öffentliche Mittagspausenführungen 17.11., 15.12.2022 und 19.1. und 2.2.2023, jeweils 12.30 Uhr. Informationen und Anmeldung unter Tel. 0621/293.3771 und rem.buchungen@mannheim.de 

Normannen haben den ganzen Kontinent geprägt

„Viele dieser Leihgaben haben erstmals ihre Heimatländer verlassen“, hebt Viola Skiba, Projektleiterin und Direktorin der Stiftungsmuseen, hervor. Aus acht Ländern, etwa von London, Paris, Stockholm, Barcelona, Palermo und dem Vatikan, sind Exponate gekommen oder sie kommen noch bis ganz kurz vor der Eröffnung. Ein edles Stück trifft auch erst im Oktober ein.

Dabei sind die ungewöhnlichen Leihgaben kein Selbstzweck. Vielmehr präsentieren Viola Skiba und ihr Team, die das Projekt seit 2018 wissenschaftlich und organisatorisch vorbereiten, auf 1300 Quadratmetern damit „die erste Ausstellung zu den Normannen im deutschsprachigen Raum“, wie sie betont, ja – bis auf eine kleine Sonderschau mal in Rom – gar in Europa.

Wächterfigur der Lewis Chessmen, die zu den berühmtesten Schach-figuren des Mittelalters zählen. © National Museum Scotland

Normannen waren Anpassungsfähig

Die Ausstellung reicht ganz weit zurück – vom 8. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Aber es gebe, so Skiba, „ganz, ganz viele Bezüge zur Gegenwart, eine hohe Aktualität“. Denn Themen wie Mobilität, Integration, Migration und Wissenstransfer haben die Normannen im Mittelalter so siegreich und erfolgreich gemacht, dass sie fast den ganzen Kontinent beherrschen – vom Norden bis nach Sizilien , sogar bis an die nordafrikanische Küste.

Aber wie ist diesem einfachen, ja auch als brutal geltenden kriegerischen Volk dieser enorme Einfluss gelungen? Nicht nur durch Gewalt, sondern durch kulturelles Geschick, wie Skiba und ihr Team beweisen, „durch Anpassungs- und Integrationsfähigkeit“, wie Skiba betont. Sie nehmen die Besucher dazu mit auf eine Reise durch Europa, die diesen beispiellosen Aufstieg gut illustriert.

Leere Vitrinen wegen Krieg

  • Hochkarätige Exponate etwa aus der Eremitage von St. Petersburg waren zugesagt – aber die entsprechenden Vitrinen sind leer, nur Kopien zu sehen. „Starke Auswirkungen“, so Projektleiterin Viola Skiba, hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf die Normannen-Ausstellung. „Wir hatten hochkarätige Zusagen russischer Museen, aber ein Leihverkehr ist nicht mehr möglich“, so Skiba. Zugleich habe die Ausstellung „enorm an Aktualität und Bedeutung gewonnen“, sagt sie, denn sie thematisiert auch die Geschichte der Ukraine.
  • So habe sich im Zusammenspiel zwischen skandinavischen Einwanderern und der lokalen Bevölkerung die Rus’ entwickelt – ein Begriff, der sowohl für das Territorium als auch zur Bezeichnung der Bevölkerungsgruppe verwendet wird. Im 9. Jahrhundert kommt es dann zu einer Reichsbildung um Nowgorod und KiewWladimir I. der Große (gestorben 1015) vollzieht dann die Christianisierung des Reiches. Der „Kiewer Brief“, ausgeliehen von der Universität Cambridge, verfasst von der jüdische Gemeinde Kiews an die jüdische Gemeinde in Kairo in althebräischer Sprache und unterzeichnet mit türkischen, slawischen und hebräischen Namensformen, zeigt, dass Kiew eine multiethnische und gut vernetzte Stadt war und gilt laut Skiba als „eines der bemerkenswertesten Zeugnisse für die kulturelle Vielfalt einer Region, die die Skandinavier seit ihrer Ankunft in Osteuropa mitgestalteten“, wie sie betont.
  • Krieg und Corona-Pandemie haben die Ausstellung aber enorm erschwert. Möglich war das Millionenprojekt nur durch Unterstützung unter anderem der Bassermann-Kulturstiftung, der BASF und der MVV Energie AG. „Wir brauchen in Mannheim Strahlpunkte“, begründete Sebastian Ackermann, Kommunikationschef der MVV, die Förderung, die eine echte Partnerschaft sei. MVV wie BASF finanzieren gezielt besondere Projekte zur Vermittlung für Mitarbeiter, für Schüler und Studenten.

Normannen als integraler Bestandteil der Geschichte

Sie beginnt mit Schwertern, Schilden sowie einem besonderen Bildstein in Skandinavien, wo die als Wikinger bekannten Krieger, Händler und Siedler leben. „Sie sind die Keimzellen der Normannen“, erklärt Kuratorin Giulia Worf. Vom Norden ziehen sie los, erobern immer neue Territorien bis nach Osteuropa und die Iberischen Halbinsel. Stets hätten sie sich mit den jeweiligen örtliche Gesellschaften verbunden statt sich zu separieren, daher sei normannische Geschichte „ein integraler Bestandteil europäischer und mediterraner Geschichte“, so Skiba.

Eine der wenigen Darstellungen Wilhelms des Eroberers aus der Abtei Jumièges. © Yohann Deslandes, Département de la Seine-Maritime, 2014

Staufer geprägt von normannischem Erbe

Die Besucher begegnen Rollo (gestorben ca. 925/932), Begründer der normannischen Herzogslinie, und dem westfränkischen König Karl (genannt „der Einfältige“, gestorben 929), der ein Fürstentum entwickelt, das nach dem fremdländischen Herrscher den Namen „Normandie“ erhält, sowie Wilhelm dem Eroberer, der englischer König wird. Vom Norden geht es in den Osten, dann – als Söldner oder Pilger – in den Süden, wo sie die Byzantiner vertreiben und das Königreich Sizilien gründen.

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Normannen bleiben verbunden mit der Welt

Mit der Thronbesteigung Friedrichs II. (gestorben 1250) endet die normannische Herrschaft zwar dynastisch, doch bleibt der junge Staufer geprägt vom normannischen Erbe, das nahezu im ganzen kontinent noch lange fortlebt. Der aus prachtvoller Seiden- und Goldstickerei bestehende Mantel Karls des Großen, in königlichen Werkstätten in Palermo gefertigt und Teil des Krönungsornats von Friedrich II., ist ein bedeutender Blickfang der Ausstellung und sonst in der Kathedrale von Metz verwahrt.

Das goldene Reliquienkreuz der Kaiserin Mathilde (Kreuz von Valasse) aus dem 12. Jahrhundert © Yohann DESLANDES

Vor Urkunden aus dem 10. Jahrhundert zu stehen, etwa der ältesten erhaltenen Handschrift des „Domesday Survey“, der berühmten Erhebung im Königreich England 1086 – das ist schon etwas Besonderes. Die Ausstellung zeigt den einzigen in Italien gefundenen Normannenhelm, prachtvolle Stücke aus Gold, Silber und Edelsteinen oder die wunderbare Altartafel mit Darstellung von Erzengeln aus Barcelona als Belege für die erfolgreiche Christianisierung der Normannen, aber auch Kuriosa wie eine der aus einem Walrosszahn gefertigten berühmtesten Schachfigur des Mittelalters, die in Norwegen gefertigt wurden, aber als Nationalschatz der Schotten gelten. Am Ende bleibt die Botschaft: „Die Welt ist verbundener, als wir denken“, so Kuratorin Giulia Worf, damals ebenso wie heute.

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