Ukraine-Krieg - Vermieterin aus Mannheim nimmt Familien auf und sorgt damit für eine „Win-win-Situation“ in schweren Zeiten

80-jährige Mannheimerin hilft Geflüchteten: Freundschaft entsteht aus traurigem Grund

Von 
Kai Plösser
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Eine 80 Jahre alte Vermieterin aus Mannheim (Mitte) hat geflüchtete Familien aus der Ukraine bei sich aufgenommen. © privat

Mannheim. Auch in den schweren Zeiten des Kriegs - oder gerade deswegen - finden Menschen in Deutschland und Europa durch die aus der Ukraine geflüchteten Personen zusammen. So auch in Mannheim. Der Grund ist natürlich ein mehr als trauriger. Doch in dem Fall der 29 Jahre alten Alina, die ursprünglich aus der Ukraine stammt, und ihrer 80 Jahre alten Vermieterin sprechen beide von einer „Win-win-Situation“.

„Ich bin unheimlich dankbar“, sagt Alina in Richtung ihrer Vermieterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Letztere habe Mitte März nämlich ohne zu zögern insgesamt fünf vom Krieg betroffene Familienangehörige der 29-Jährigen in ihrem Haus im Stadtteil Neckarau aufgenommen. „Selbstverständlich ist das möglich“, habe die Vermieterin ihr sofort am Telefon entgegnet, sie wäre sogar dazu bereit gewesen, weitere Menschen aufzunehmen.

Angst vor der eigenen Courage

Schließlich ist es bei den fünf Personen in ihrem Haus geblieben. Zusätzlich hat Alina, die es vor acht Jahren nach der Schule wegen eines Studiums in die Region zog und die seit drei Jahren in ihrer Wohnung in Neckarau lebt, aber ihre Mutter und Schwester bei sich aufnehmen dürfen. Auch wenn sich die 80-Jährige zunächst unsicher war: „Ich hatte Angst vor meiner eigenen Courage“, erläutert sie. Doch die schien wohl unbegründet. Sie schiebt hinterher: „Alles war zu bewältigen.“

Sie habe zunächst mit einer 46 Jahren alten Frau und einem sechsjährigen Kind gerechnet. Kurzfristig seien noch eine 28-Jährige und zwei weitere Kinder im Alter von vier und sieben Jahren hinzugekommen. Alle flüchteten gemeinsam aus der Ukraine. Genauer gesagt aus Kiew und Beresan, das etwa 60 Kilometer östlich von der Hauptstadt entfernt ist. Mit dem Auto ging es mit einigen Pausen und kurzfristigen Planänderungen aufgrund der wechselnden Kriegslage auf direktem Weg nach Mannheim. Mit Geolocation verfolgte Alina die rund 2000 Kilometer lange Fahrt. Alle seien ständig unter Strom und Angst gewesen, beschreibt sie die Momente der Flucht. Zurückgelassen werden mussten die Väter. Die beiden 56 und 29 Jahre alten Männer wurden für den Krieg eingezogen.

Währenddessen finden die Vertriebenen Wohnmöglichkeiten im Obergeschoss des Hauses von Alinas Vermieterin und im ausgebauten Keller vor. Kontakt zu den Männern besteht in den folgenden Monaten weiterhin. Während der Gespräche fließen Tränen, besonders bei den Kindern. Doch diese sowie die beiden Frauen finden Ablenkung durch Alinas Vermieterin, sei es bei Spielen oder der Hilfe bei Gartenarbeit und Haushalt. Auch zwischenmenschlich stimmt es, was der 80-Jährigen Freude bringt. Von den Kindern wird sie geherzt und in den Arm genommen. Mit den Erwachsenen gibt es ebenso keine Probleme. Für die ehemalige Lehrerin am Karl-Friedrich-Gymnasium, deren Mann während der Corona-Pandemie verstorben ist, ist das ein Geschenk. Alinas Verwandte würden viel zurückgeben. „Es ist für mich eine gute menschliche Erfahrung“, betont sie und führt aus: „Das noch mal erfahren zu dürfen, ist schön.“

Die Kinder haben in der Zwischenzeit Anschluss gefunden. Die siebenjährige Sofia sowie der sechsjährige Mark haben einen Platz in der Schillerschule erhalten. Letzterer spielt zudem beim VfL Kurpfalz Fußball. Trotz der eigenen Wohnung wird der Kontakt weiter gehalten. „Wenn Mark beim Fußball ist, bin ich mal dabei“, erzählt Alinas Vermieterin. Auch zum Essen, Teetrinken oder zum gemütlichen Beisammensein im Garten der 80-Jährigen trifft man sich.

Ende Mai ändert sich die Situation jedoch. Alle zieht es zurück in die Heimat zu den Männern. Während die 28-Jährige mit ihren Kindern bei ihrem 29 Jahre alten Mann in Kiew bleibt, plant die 46 Jahre alte Frau mit Sohn Mark nur einen einwöchigen Aufenthalt bei ihrem Mann - Alinas Vater, der sich seit dem Kriegsausbruch im Februar bereithalten muss für den Kampf. Doch während seine Frau ihn besuchen kommt, steht bei dem 56-Jährigen ein Gesundheitscheck an. Es kommt heraus, dass er nicht geeignet ist für den Kampf an der Front. Alinas Vater bekommt damit eine offizielle Befreiung - und fährt Anfang Juni unerwarteterweise mit seiner Frau und seinem Sohn Mark zurück nach Mannheim. „Unbeschreiblich. Die Freude war riesig“, so Alina. Die Situation um ihren Vater habe ihr in den letzten Monaten am meisten Sorge bereitet.

Hilfe von allen Seiten

Alinas Vermieterin ist es wichtig zu erwähnen, dass sie bei dem ganzen Unterfangen nicht auf sich allein gestellt war. Sie habe Hilfe von allen Seiten erhalten. So zum Beispiel von der St. Jakobus- und der Matthäus-Gemeinde sowie aus dem Freundeskreis. Auf diesem Wege gelang es, den Geflüchteten eine eigene gemeinsame Wohnung in Neckarau zu vermitteln. Es sei mehr Hilfe, als zu erwarten wäre, sagt Alina. Immer wieder höre sie, dass „das das Mindeste ist, was wir für euch tun können.“ Das Ganze macht Alina im positiven Sinne sprachlos: „Ich finde keinen Weg, Danke zu sagen.“

Vor dem Krieg hatten Alina und die 80-Jährige ein normales Vermieterin-Mieterin-Verhältnis. Nun sei eine Freundschaft daraus geworden, erzählt die 80-Jährige begeistert. In die gleiche Kerbe schlägt Alina: „Der Grund ist nicht der schönste, aber ich freue mich, dass wir so eng miteinander geworden sind.“

Redaktion

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