Forschung

3R-Zentrum am ZI in Mannheim geht neue Wege in der Tierversuchsforschung

Tierversuche mit höheren ethischen Standards und gleichzeitig besserer Qualität der Ergebnisse sollen zur Norm werden. Dazu erforschen sogenannte 3R-Zentren wie das am ZI Mannheim Methoden, um das Tierleid zu verringern

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Statt leerer Glaskästen setzt das 3R-Zentrum auf Behausungen mit Einstreu und Material zum Buddeln wie Nestbau sowie Klettermöglichkeiten. © Michael Ruffler

Mannheim. Bei der weißen Ratte, die in vermeintlichem Dämmerschlaf vor einem MRT-Scanner liegt, handelt es sich beim Besuch von Wissenschaftsministerin Petra Olschowski im Laborgebäude des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) um eine Attrappe.

Echt sind hingegen die an einem Monitor erläuterten Hirnaufnahmen eines Nagers, der im Dienst der Suchtforschung nach längerem Konsum von alkoholhaltigen Getränken auf Entzug gesetzt worden ist: Die Kurve des Neurotransmitters Glutamat ist deutlich nach oben geschnellt. Der Kleintier-Scanner wird nicht von ungefähr präsentiert. Das ZI leitet das 2021 im Rhein-Neckar-Raum gegründete „3R-Zentrum“, das neue Wege beschreitet, um die Anzahl von Tierversuchen zu reduzieren, die Belastungen der vierbeinigen „Probanden“ zu verringern und eine hohe Datenqualität sicher zu stellen.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff "3R"?

„3R“ - was verbirgt sich dahinter? Das Kürzel steht für die Begriffe Replace, Reduce, Refine und damit für Vermeiden, Verringern, Verbessern. Beispielsweise gilt der MRT-Scanner für Nagetiere als Ergänzungsmethode im Sinne dieses Prinzips. Der unblutige Blick ins Hirn mittels Magnetresonanztomographie ist nämlich schmerzfrei und im Gesamtablauf weniger belastend als operative Eingriffe am Tier. Und weil nicht für jeden Untersuchungszeitpunkt eine neue Gruppe von Nagern benötigt wird, kann die Zahl von Mäusen oder Ratten verringert werden.

Langfristige Pläne

  • Am „3R-Zentrum“ Rhein-Neckar beteiligen sich das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (Leitung), die Interfakultäre Biomedizinische Forschungseinrichtung der Universität Heidelberg und die Universitätsmedizin Mannheim.
  • Aufgrund einer positiven Zwischenbegutachtung will das baden-württembergische Wissenschaftsministerium das Zentrum ab 2025 „verstetigen“ und damit dessen Zukunft sichern.

An Alternativmethoden zu Tierversuchen wird "mit Hochdruck" gearbeitet

„Um die Komplexität des Gehirns bei gesunden Menschen und psychisch erkrankten Patienten besser zu verstehen, sind Tierversuche nach wie vor unverzichtbar“, kommentiert der ZI-Vorstandsvorsitzende Andreas Meyer-Lindenberg. Er berichtet von Alternativmethoden, an denen „mit Hochdruck“ gearbeitet werde. Beispielsweise Stammzellen, „die jetzt schon wertvolle Ergebnisse liefern“. Es dürfte aber noch Jahrzehnte dauern, so Meyer-Lindenberg, ehe gänzlich auf Tierversuche verzichtet werden könne - „wenn überhaupt“.

Mehr Tierschutz und bessere Forschung sind „keine Gegensätze - ganz im Gegenteil“, ist Wissenschaftsministerin Petra Olschowski überzeugt. Am Vormittag hat sie in Stuttgart ein 3R-Zentrum besucht, wo Methoden zur Kultivierung von Tumorgewebe entwickelt werden, außerdem an mathematischen Modellen getüftelt wird, die Vorhersagen zur individuellen Effektivität von Wirkstoffen schärfen.

3R-Zentrum Rhein-Neckar will neue Qualitätsstandards setzen

Rainer Spanagel, Direktor des ZI-Instituts für Psychopharmakologie und einer der Initiatoren des 3R-Zentrums Rhein-Neckar, weiß wie emotional und auch hitzig das Thema Tierversuche diskutiert wird. Er hat schon so manch eine spektakuläre Aktion miterlebt. Auch jene in einer Heidelberger Forschungsstätte auf dem Neuenheimer Feld. Dort wurden während einer kalten Nacht die Käfige von Labormäusen heimlich geöffnet. Die entlaufenen Nager lagen am nächsten Morgen erfroren auf einem Acker.

Spanagel setzt sich gemeinsam mit Marcus Meinhardt, Institutskollege und Koordinator des regionalen 3R-Zentrums, für Qualitätsstandards ein, die in der präklinischen Forschung Tierversuchen mehr Aussagekraft beim Übertragen der Ergebnisse auf den Menschen verleihen. Die beiden Wissenschaftler haben die Optimierung drei zusätzlicher „R-Prinzipien“ im Blick: Registrierung, Robustheit und Reporting bezogen auf Forschungsdaten. Dazu gehört, Tierversuche noch klarer zu planen und zu koordinieren, damit vergleichbare Testanordnungen nicht an unterschiedlichen Standorten mehrfach ausgeführt werden.

Das 3R-Zentrum unterstützt beim Entwickeln nachvollziehbarer und damit reproduzierbarer Designs neuer Experimente und bietet Austausch von Know-how. Offene Wissenschaft, im Fachjargon „Open Science“ genannt, soll selbstverständlich werden.

Mitarbeitende werden für Umgang mit Versuchstieren sensibilisiert

Beim Rundgang durch die ZI-Tierstationen wird neben dem MRT-Scanner auch das Heimkäfig-Überwachungssystem vorgestellt. Dieses gewährt eine stressfreie Langzeitbeobachtung von Mäusen in sozialen Gruppen - ohne dass Forscher immer wieder stören. Digitale Biomarker ermöglichen außerdem Messungen von Temperatur wie Bewegungsaktivitäten. Zur Tierwohlverbesserung gehört natürlich auch das Schulen und Sensibilisieren von Pflegepersonal.

Wer kennt sie nicht, jene Fotos, auf denen Nager am Schwanz aus dem Laborkäfig gezogen werden. „Das gibt es schon lange nicht mehr“, so Spanagel. Inzwischen sei es üblich, eine Ratte oder Maus mittels Röhre (zum Hineinlaufen) hochzuheben. Manche Nager seien gar darauf trainiert, auf die Hand zu gehen. Wer in die Behausungen schaut, entdeckt Einstreu und Material zum Buddeln wie Nestbau, außerdem Klettermöglichkeiten. Kahle Käfige mit gerade mal einer Handvoll Sägespänen - sie gehören in fortschrittlichen Labors der Vergangenheit an.

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