Mannheim. „Ich will meine Enkel so erziehen, dass sie wissen, dass man Lebensmittel nicht verschwendet“, sagt Heidi Wagner. Sie greift nach Infoprospekten an einem Stand auf dem Foodsave-Bankett auf den Kapuzinerplanken. „Resteküche“ steht drauf. „Das machen wir auch oft daheim. Ich liebe das. Und es schmeckt genauso gut wie alles andere“, sagt sie.
Vegan-Starkoch Björn Moschinski verteilt an diesem Tag mit Pfarrer Friedel Goetz von der ChristusFriedenGemeinde und vielen Sponsoren ein Menü aus drei Tonnen geretteten Lebensmitteln kostenlos an Passanten. Anfangs wollte Moschinski „nur“ 300 Kilo Lebensmittel retten. Doch die Kalkulation änderte sich, denn immer mehr halfen mit und spendeten.
Tagelang war Moschinski schon frühmorgens auf dem Großmarkt unterwegs. Da er einmal einen Rettermarkt in Mannheim führte, hat er beste Kontakte. Und so kamen immer mehr Lebensmittel zusammen. Die Mannheimerinnen und Mannheimer freuts, der Platz wird mit jeder Stunde, die vergeht, voller.
Foodsave-Bankett: Logistische Meisterleistung in der Engelhorn-Küche
Moschinski, bekannt aus vielen Kochmedien und dem Fernsehen, hat an diesem Tag ein Menü erschaffen, das feine Aromen und vegane Produkte kombiniert. Ein Drei-Gänge-Menü ist es am Ende geworden. Bestehend aus: Dreierlei-Salat als Vorspeise, nämlich ein Krautsalat, ein grüner Salat und ein Tomatensalat mit Basilikum-Tofu. Zudem ein Hauptgang, Ofengemüse mit gebackenen Kartoffeln und verschiedenem Wurzelgemüse wie Rettich, außerdem Blumenkohl, Pilzen, Paprika und vielem mehr.
Viele Familien sind da. Mütter und Väter kleben an Handys. Teilweise haben sie viele Kinder im Schlepptau. Immer mehr Leute kommen. „Joghurt noch mit?“, sagt eine Frau, die vor lauter Lebensmitten in ihren Armen schwitzt, in ihr Smartphone. Offensichtlich organisiert sie einen Transport der Paletten nach Hause.
Aus gespendetem veganem Joghurt gibt es einen veganen Käsekuchen. Wer die Sachen probiert, merkt schnell: Hier ist ein Meister am Werk. Konsistenz und Geschmack ein Volltreffer. Aber beim Gedanken, dass die Ausgangsprodukte jetzt eigentlich im Müll lägen, hätte die Idee von Goetz und Moschinski nicht gefruchtet, zieht sich im Magen trotzdem alles zusammen.
Nicht weil man an Verderblichkeit denkt, sondern sich fragt: Was ist das eigentlich für eine Gesellschaft, die das zulässt. Deutschlandweit landen laut Bundeslandwirtschaftsministerium jedes Jahr über 10 Millionen Tonnen Lebensmittel, die eigentlich noch gut wären, im Müll.
Viele haben vom Event aus dem „MM“ erfahren. Aber auch viele zufällige Passanten nehmen Platz. „Wie heißt dieses Restaurant?“, fragt ein Mann. „Ich habe Hunger, kann ich einfach essen?“ Er schaut ungläubig und setzt sich auf eine Bierbank.
Der Funke springt über. Die Leute diskutieren über das Thema Verschwendung und Nachhaltigkeit. Und darüber hinaus. Gemeinsam. Das hört man in ihren Gesprächen am Tisch. Pfarrer Friedel Goetz ist sichtlich glücklich. Auch Moschinskis Augen strahlen.
Goetz sagt: „Ich hoffe, dass andere das fortführen und dass es eine Bewegung wird. So, dass wir das hier an dieser Stelle oder woanders in Mannheim vielleicht öfters haben.“ Er betont: „Hier sitzt eine bunte Gruppe von Menschen. Egal, ob arm oder reich, unterschiedliche Parteien oder Religionen. Es gibt keine Grenzen - das Thema geht alle was an.“
Der Pfarrer möchte mit dem Bankett Essen einen Wert geben. Der, der ihm zusteht. Und, dass Menschen beim Bankett verstehen, dass es Essen „eine begrenzte Ressource ist“.
Koch Björn Moschinski, der seit mehr als 30 Jahren aus ethischen Gründen vegan lebt, sagt: „Der Aufwand ist groß, aber es lohnt sich. Mich motiviert das Thema der Nachhaltigkeit.“ Moschinski weiter: „Wir wollen über dieses Bankett Leute erreichen. Das kostenlose Essen ist keine Armenspeisung. Wir wollen die Tür aufmachen, zeigen, ,Okay, ich gehe gar kein Risiko ein und kann so einen Teil Nachhaltigkeit in mein Leben bringen‘“.
Andreas Hilgenstock, Aufsichtsrat von Engelhorn, führt dann in die Küche oben im Engelhorn-Kaufhaus. Hier wird im Akkord alles zubereitet. „Was heute zählt, ist das Miteinander. Das unterstützen wir natürlich gerne“, sagt er.
Vier Damen haben auf den Kapuzinerplanken an der Bierbank Platz genommen. Eine Mitarbeiterin der Verbraucherzentrale macht mit ihnen ein Quiz zum Thema „Noch haltbar?“ .
Die Damen sind unschlüssig beim Thema gekeimte Kartoffeln. Die Mitarbeiterin sagt: „Bei Kartoffeln kommt es auf die Länge des Keims an. Wenn er zwei bis drei Zentimeter ist, ab in den Mülleimer. Und wenn sie grün sind, dann kommt es auch in die Tonne, dort ist Gift drin.“
Eine grauhaarige Dame sagt. „Ich würde dazu gerne etwas sagen. Ich bin ein Kriegskind, ich bin 1938 geboren.“ Die Frau weiter: „Da konnten die Keime noch viel länger sein. Wir haben sie gegessen. Weil wir nichts hatten.“ „Ja, ich weiß“, sagt die Dame der Verbraucherzentrale voller Verständnis und nickt.
Es sind andere Zeiten heute. Das Gespräch geht weiter. „Wir empfehlen heute nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Meine Oma hat mir noch beigebracht, dass man bei schimmliger Marmelade den Schimmel abschneiden und weiteressen kann. Heute wissen wir: Die Giftstoffe des Schimmels sind dann schon überall in der Marmelade.“
Riesige Paletten von veganer Milch und Joghurtprodukten stehen am Rand zur Kunststraße. Nun fängt das Team an, sie zu verteilen. Freitags abends ist die Straße wie gewohnt voll. Schicke Karossen fahren auf der Meile, aber auch Mutter, Vater und Kind sitzen in ihren Familienkutschen und düsen vorbei.
Wenn die Ampel auf Rot geht, ist das der Moment zum Verteilen. Viele sehen die Lebensmittelretter ungläubig an. Packen dann aber eifrig ein, was geht. Ein junger Mann ruft mehrmals „Danke“. Er packt noch einen Karton ein. „Ich möchte mithelfen, bei dem, was ihr macht! Vielleicht kann ich das nächste Mal ein paar Sachen von mir sharen“, sagt er und düst davon. Wieder ein anderer Mann lehnt sich heraus, und versucht den Foodsavern Geldscheine zuzustecken.
Eine Frau im Cabrio ist erst skeptisch und lehnt die Palette Sojajoghurt ab. „Das wäre eigentlich im Müll gelandet“, sagt die Foodsaverin. Die Dame schaut verdutzt. „Dann nehme ich alles fürs Büro mit“, sagt sie und hebt die Ware übers Dach ein.
Eine Foodsaverin lacht: „Ich habe gerade der Einsatzleitung der Feuerwehr einen Apfel in das Feuerwehrauto geworfen und er hat gefangen, ich liebe es." Sie prustet los. Die Leute haben sichtlich Spaß.
Auf einer Citykirchen-Konferenz in der Schweiz hatte Pfarrer Friedel Goetz das Projekt der Foodsave-Bankette kennengelernt, die es dort auf Initiative der offenen Kirche Bern und Partnern seit 2016 gibt.
In Mannheim wurde das Bankett unter anderem unterstützt von der Stiftung Christuskirche, der Esser Stiftung, der Heinrich-Vetter-Stiftung, von Engelhorn, Jürgen Tekaths Blumendeko von Smell the Flower, Welde-Bier, FutuRaum, der SV Stiftung und dem Verein foodwaste.ch.
Nach Angaben von foodwaste.ch war das Bankett das erste in Deutschland.
„Ohne die Unterstützung hätte ich das nicht umsetzen können“, sagt Friedel Goetz. Seine Augen funkeln im Spätsommerlicht, als er über die vollen Kapuzinerplanken blickt. Er ist sichtlich stolz.
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