Abhängigkeit - Drogenverein und Frauenhaus planen neuen Schutzraum für suchtkranke Frauen

13 Drogentote 2021 in Mannheim - die Dunkelziffer ist hoch

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Stefanie Ball
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Ein Mann „kocht“ sich auf einem Löffel die Dosis für einen Schuss Heroin. (Symbolbild) © dpa

Mannheim. Nicht immer finden Frauen, die vor ihren gewalttätigen Lebenspartnern flüchten, einen Platz in einem Frauenhaus. Die Einrichtungen sind überall in Deutschland überfüllt, so dass Hilfesuchende abgelehnt werden müssen. Besonders schwer haben es Frauen, die drogenabhängig oder Alkoholikerin sind. Sie werden in der Regel außen vor gelassen.

Diese Versorgungslücke zu schließen, ist unter anderem das Ziel der 2011 vom Europarat beschlossenen Istanbul-Konvention (benannt nach dem Unterzeichnungsort Istanbul). Darin verpflichten sich die Staaten, darunter Deutschland, allen Opfern von häuslicher Gewalt Schutz und Hilfe zu gewähren. Dazu zählen dann auch suchtkranke Frauen. In Mannheim soll dazu jetzt ein Pilotprojekt starten, initiiert vom Drogenverein und dem Verein Frauenhaus. Am 1. Dezember hat das zuständige Sozialministerium in Stuttgart den Antrag bewilligt.

13 Opfer für 2021 notiert

Die Öffentlichkeit sollte eigentlich erst davon erfahren, wenn eine Räumlichkeit gefunden ist. Das Problem: So einfach ist das nicht. „Aber vielleicht hat ja jemand, der das jetzt liest, ein Objekt für uns“, sagt Philip Gerber vom Drogenverein. Gesucht wird ein Haus oder eine Wohnung ab fünf Zimmern, ideal seien etwa 160 Quadratmeter, in denen künftig Frauen Schutz finden, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und eine eigene Abhängigkeitserkrankung haben.

Mit 31 Plätzen in zwei Frauenhäusern erfüllt Mannheim die Forderung der Istanbul-Konvention nach einem Platz auf 10 000 Einwohner. Baden-Württemberg unterschreitet mit 0,73 Plätzen pro 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern die Quote. Über Modellprojekte wie das jetzt in Mannheim sollen weitere Plätze geschaffen werden, wie das Sozialministerium betont.

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Über ein anderes Projekt wird schon länger diskutiert, anders als in Karlsruhe oder Stuttgart wurde es in Mannheim aber bislang noch nicht umgesetzt: ein Drogenkonsumraum. Vor allem Schwerstabhängige profitieren von solchen Hilfseinrichtungen. Dort können Süchtige unter Aufsicht Drogen nehmen, es gibt saubere Spritzen und eine medizinische Notfallversorgung. „Ein Teil der Drogentoten könnte so vermieden werden“, sagt Gerber. 13 Drogentote gab es im vergangenen Jahr in Mannheim, im Vorjahr waren es sechs. Für Gerber sind diese Zahlen allerdings wenig aussagekräftig. Die Statistik erfasst nämlich nur diejenigen, die mit Nadel im Arm aufgefunden wurden - bei denen Heroin, Kokain oder Amphetamine also völlig zweifelsfrei als todesursächlich festgestellt werden konnten.

Tatsächlich sterben jedoch viel mehr Menschen an den Folgen ihres oft langjährigen Drogenkonsums. Langjährig Suchtkranke, das ist die Klientel, um die sich Gerber und sein Team kümmern. 1350 bis 1400 Menschen werden im Jahresschnitt vom Drogenverein betreut und beraten, darunter 650 mit einer Diagnose aus dem Opiatbereich, die substituieren, also statt Opiaten legale Ersatzstoffe nehmen. So wird ein geregeltes Leben in vielen Fällen wieder möglich, die Begleiterkrankungen, die der Drogenmissbrauch mit sich bringt, bleiben aber. „Ein großer Teil der lokalen Szene ist zwischen 40 und 60 Jahren alt und biologisch um 20 Jahre vorgealtert, viele sterben an einem Tumor, einer Lebererkrankung, multiplem Organversagen.“

Mannheimer Drogenverein wird 50 Jahre alt

  • Der Mannheimer Drogenverein wird in diesem Jahr 50 Jahre alt.
  • Gefeiert werden soll das Jubiläum mit einem Festakt am 4. Mai in der Abendakademie.
  • Vorgesehen ist auch ein Symposium am 18. Mai. Als Thema ist „Rausch und Sexualität“ geplant.
  • Unter dem Motto „Wir sind auch Kinder Mannheims findet Mitte Februar wieder die Aktionswoche zu Kindern aus Suchtfamilien statt.
  • Weitere Informationen zum Programm auf der Website: drogenverein-mannheim.de.
  • Wer Hilfe oder Beratung sucht: Drogenverein in K 3, 11-14, 0621/15 90 00, info@drogenverein.de.

Verein hat klare Position bei Cannabis-Debatte

Den Ausstieg schaffen nur wenige, aber das ist, so Gerber, auch nicht das vorrangige Ziel in der Arbeit mit Suchtkranken. „In erster Linie geht es ums Überleben.“ Und selbst das ist schwierig geworden. Die Corona-Pandemie hat den Menschen, die schon zuvor in prekären Verhältnissen lebten, zugesetzt. Einrichtungen und Orte, wo sie normalerweise Hilfe finden oder sich aufhalten können, liefen wochenlang nur im Notbetrieb. Auch finanziell sind viele in Bedrängnis geraten. „Die Energiepreise steigen, ohne dass das über den Hartz-IV-Satz abgedeckt wäre“, kritisiert Gerber. Die Wohnraumknappheit trifft die Menschen zusätzlich. „Manchmal wäre es für eine Beziehung besser, wenn einer aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen würde, aber das geht nicht, weil es keine Alternative gibt.“

Für die Arbeit des Drogenvereins zieht Gerber insgesamt eine positive Bilanz. So hätten sich die Lebensumstände bei 40 Prozent der Klientinnen und Klienten zum Positiven verändert, bei 42 Prozent konnte der Status Quo gehalten werden, und nur drei Prozent seien weiter abgerutscht in die Drogenabhängigkeit. Dass die Menschen unter ihrer Situation leiden, weiß Philip Gerber. Deshalb fordert er, die Betroffenen weniger zu stigmatisieren. Sucht sei vielmehr eine Krankheit, von der Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind.

In der Cannabis-Debatte hat der Mannheimer Drogenverein eine klare Position: Die Abgabe sollte nur kontrolliert und reguliert unter Einhaltung des Jugendschutzes in speziellen Geschäften erlaubt sein. Die Altersgrenze sollte bei 21 Jahren liegen. Laut Gerber wird mehr gekifft als noch vor zehn Jahren, eine Freigabe würde dieser gesellschaftlichen Realität Rechnung tragen. Gleichzeitig müsse die Prävention verstärkt werden, und zwar durch die Einnahmen des Cannabis-Verkaufs. Denn Marihuana könne Psychosen auslösen, zu Antriebsarmut führen und abhängig machen, warnt Gerber. „Keine Substanz ist unbedenklich, auch ein Joint nicht.“

Freie Autorin

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