Fußball

100 Jahre Alsenweg: SV Waldhof Mannheim feiert Jubiläum

Im Waldhof-Stadion am Alsenweg werden Mannheimer Fußballgeschichte und Nostalgie lebendig. Ein Rückblick auf denkwürdige Spiele.

Von 
Andi Nowey
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Ein von den damaligen Marktwerten her schier ungleiches Duell. Dimi Tsionanis (am Boden) gegen Alan McInally vom FC Bayern – am Ende siegte trotzdem der SVW am Alsenweg mit 1:0. © Hartung

Mannheim. Wer die schmale Auffahrt zum Waldhof-Stadion am Alsenweg entlangläuft, der spürt sofort, dass er einen besonderen Ort betritt. Es ist nicht die Größe, nicht der Glanz moderner Arenen, die das inzwischen 100 Jahre alte Stadion prägen. Es ist der Atem der Geschichte, der hier zwischen den ehrwürdigen Tribünen hängt, der Hauch von Nostalgie wabert durch die Luft. Und es sind die vielen denkwürdigen Spiele und Ereignisse, die dieser Stätte einen Kult-Status verleihen.

„Diese Enge, wenn hier mal über 10.000 Zuschauer drin waren, war beängstigend für gegnerische Mannschaften. Der Alsenweg war eine gefürchtete Spielstätte und ich bin mir sicher, dass die dortige Atmosphäre oftmals zwischen zehn und 15 Prozent des Endergebnisses ausgemacht haben“, glaubt Hans-Jürgen Pohl. Er ist einer derjenigen, für die der Titel von Günter Seberts Buch „Waldhof ist mein Leben“ maßgeschneidert wäre.

Historische Klatsche 1958 gegen Bayern – und zwei Jahre später ein phänomenaler Dreh

Pohl ist heute Ehrenvorsitzender des CEG (Club der Ehrenmitglieder und Goldnadelträger), dazu kann er auf über 68 Jahre Mitgliedschaft zurückblicken. „Mein erstes Waldhof-Erlebnis war am 3. August 1955 ein Freundschaftsspiel am Alsenweg gegen den 1. FC Kaiserslautern, der mit sechs aktuellen Weltmeistern angetreten war. Nach einem 0:2-Rückstand haben wir noch 3:2 gewonnen. Es war mein Startpunkt, mich dem SV Waldhof anzuschließen“, erinnert er sich.

Hans-Jürgen Pohl mit seiner Ehefrau. © Martin Sättele

Und es folgten zwei weitere prägnante Ereignisse in seinen Anfangsjahren. Am 2. November 1958 wurde den Waldhof-Kickern eine der bittersten Lektionen der Vereinsgeschichte erteilt. Im „Mannheimer Morgen“ hieß es wortwörtlich: „Nein – es ist kein Druckfehler. Waldhof-Elf wurde regelrecht deklassiert.“ Gegen den FC Bayern München kassierten die Blau-Schwarzen eine historische 1:9-Klatsche – die vermutlich höchste Liga-Niederlage am Alsenweg.

Und nur knapp zwei Jahre später drohte fast eine Wiederholung, als es gegen die Bayern erneut 1:4 zur Pause stand. Nach dem Seitenwechsel peitschten 12.000 Zuschauer den SVW voran „und mit einem unvergleichlichen Siegeswillen ging die Mannschaft daran, das schon verloren geglaubte Spiel noch zu retten“, erinnert sich Pohl. Am Ende hieß es 4:4 – ein Ergebnis, das einem Sieg gleich kam und das die Grundtugenden verkörpert, für die der SV Waldhof und insbesondere seine Spielweise am Alsenweg standen.

Hier wurde der Waldhof regelrecht gelebt.
Reiner Hollich Ehemaliger Spieler und Trainer

„Der Waldhof ist ein Verein, der aus der Arbeiterbevölkerung groß geworden ist. Und das spiegelt sich alles am Alsenweg wider“, sagt Reiner Hollich, einst selbst Spieler und Trainer bei den Blau-Schwarzen. „Hier wurde der Waldhof regelrecht gelebt und es war vor allen Dingen auch eine Begegnungsstätte, wie eine Familie. Früher hat hier jeder jeden gekannt, weil die Spieler von den Lizenzspielern bis zur Jugend alle aus der Umgebung kamen.“

Reiner Hollich (rechts) mit Klaus Schlappner. © Martin Sättele

Insbesondere die Derbys gegen Darmstadt 98, den VfR Mannheim, die Offenbacher Kickers oder den Karlsruher SC sind ihm in Erinnerung geblieben. „Da hat es geknistert am Alsenweg“, fasst Hollich zusammen. An ein kurioses Ereignis denkt er aber auch heute noch gerne zurück: „Der Torhüter von Phönix Mannheim ist mal mit einer roten Laterne auf das Spielfeld eingelaufen, weil sie damals Letzter waren.“

Über all die Jahrzehnte haben sich glorreiche Siege, bittere Niederlagen, dramatische Abstiege und Momente des Neuanfangs förmlich in die Grundmauern der Tribüne eingeschrieben. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte am 28. August 1982 der DFB-Pokal-Sieg der damals zweitklassigen Waldhöfer gegen Eintracht Frankfurt. „Bundesliga-Atmosphäre im Waldhof-Stadion. Inszeniert aber nicht vom Bundesligisten Eintracht Frankfurt, sondern vom klassentieferen SV Waldhof. Am Ende der neunzig Minuten ein unbeschreiblicher Jubel der 12.000 Zuschauer. Der vermeintliche Außenseiter hatte durch Disziplin, konzentrierte und spielerisch gute Leistung den Favoriten in der ersten DFB-Hauptpokalrunde verdientermaßen mit 2:0 (1:0) aus dem Rennen geworfen“, schrieb seinerzeit der „Mannheimer Morgen“.

Karlheinz Bührer vor der Waldhof-Fahne. © Martin Sättele

„Das Stadion ist damals aus allen Nähten geplatzt“, erinnert sich Karlheinz Bührer, der in dieser Partie in der 73. Minute eingewechselt wurde. „Es war eine großartige Stimmung.“ Dieser Pokalsieg wurde zu einem Meilenstein und Fundament auf dem Weg zum kommenden Bundesliga-Aufstieg. „Im Aufstiegsjahr sind wir am Alsenweg in jedes Spiel auf den Platz gegangen und wussten, dass wir gewinnen. Wir hatten ein riesiges Selbstvertrauen“, berichtet Bührer.

Der 65-Jährige war seinerzeit einer der wenigen Spieler, die nicht in den eigenen Reihen großgezogen worden sind. Im Alter von 19 Jahren kam Bührer vom Freiburger FC an den Alsenweg und erlebte zunächst einen Kulturschock: „In den Sommermonaten wurde ich hier gleich super empfangen. Überall hingen die Gerüche der Papierfabrik in der Luft. Aber das ist für den Alsenweg einfach speziell.“

Nach dem Bundesliga-Aufstieg ging es auf die andere Rheinseite

Es spricht für Bührer und auch den Waldhof, dass diese Symbiose funktionierte und der frühere Angreifer bei den Blau-Schwarzen bis heute hängen geblieben ist. „Die Leute hier geben alles für den Verein. Das Stadion war schon sehr besonders. Man war nah bei den Fans und während des Spiels hat sich die Atmosphäre von den Zuschauern auf die Spieler übertragen und umgekehrt“, so Bührer.

Nach dem Bundesliga-Aufstieg ging es für die Blau-Schwarzen für sechs Jahre auf die andere Rheinseite, in das Ludwigshafener Südweststadion. Nicht wenige hatten damals gesagt, dass der Waldhof am Alsenweg seine Seele zurückgelassen habe. Bührer war es dann auch, der unmittelbar nach der Rückkehr an den Alsenweg am 26. August 1989 eines der denkwürdigsten Spiele in der Bundesliga-Ära miterlebte. Durch einen Treffer von Günter Güttler wurde der FC Bayern München auf dem Rasen des Alsenweg-Stadions niedergerungen. 15.000 Zuschauer drängten sich auf den engen Stufen des Runds.

Roland Dickgießer mit Klaus Markgraf vom Ehren- &Ältestenrat. © Martin Sättele

15.000 Zuschauer, das bedeutete schlappe 200.000 Mark in der Kasse von Finanzchef Manfred Göth, der vor wenigen Tagen verstorben ist – in einem anderen Stadion wäre sicherlich das Doppelte möglich gewesen. „Die Mannschaft versteht es, hier den Funken überspringen zu lassen und unser phantastisches Publikum honoriert, wie Günter Sebert die Truppe in Schuss gebracht hat“, hatte Geschäftsführer Klaus Sinn damals zu Protokoll gegeben.

Nach dem Bundesliga-Abstieg meldete der Alsenweg nur noch ein einziges Mal mit 15.200 Zuschauern ausverkauft. Es war am 30. Mai 1993 im vorentscheidenden Spiel um die Rückkehr ins Fußball-Oberhaus gegen den VfB Leipzig. 0:0 endete das Treffen gegen die Sachsen, was die Hoffnungen auf den Bundesliga-Aufstieg begrub.

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„Der Alsenweg ist Kult, das ist schon vergleichbar mit dem Millerntor in St. Pauli. Die Fans waren immer positiv verrückt und das Stadion gehört einfach zur Tradition. Ehrlich gesagt fehlt schon etwas, dass hier keine Spiele mehr ausgetragen werden“, sagt Roland Dickgießer, der seine ganze aktive Karriere beim Waldhof verbracht hat.

Und so klingt aus seinen Worten heraus, was viele fühlen: Zwischen Patina, Bratwurstduft, den in der Silhouette rauchenden Schloten und der rauen Stimme des Stadionsprechers liegt etwas, das man nicht kaufen oder nachbauen kann: ein Mythos.

Freier Autor Schwerpunkte: Mannheimer Kreisfußball, Kreisklassen A und B, Kreispokal, Waldhof-Legenden

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