Dialog im Dunkeln - Besucher gehen durch stockfinstere Räume / Sonderschau des Blinden- und Sehbehindertenvereins

Spannender "Blindversuch" für Sehende

Von 
Bernhard Haas
Lesedauer: 

Vor dem Eingang zum Dialog im Dunkeln (v.l.): Klaus G. Wolf, Brigitte Schick und Christoph Graf vom Badischen Blinden- und Sehbehindertenverein.

© Tröster

Der Lift fährt gemächlich ins Untergeschoss. Zunächst bekommt jeder Besucher der Sonderschau "Dialog im Dunkeln" des badischen Blinden- und Sehbehindertenvereins einen Blindenstock, um sich anhand unterschiedlicher Markierungen wenigstens einigermaßen zurechtzufinden. Nur ein paar Meter weiter wird es vollkommen dunkel.

Es ist wirklich nichts mehr zu sehen. "Die Besucher tauchen in die Erlebniswelt blinder Menschen ein und entwickeln Verständnis für deren Alltagsprobleme", erzählt die stellvertretende Vorsitzende, Brigitte Schick. Jeder muss sich von da an allein im Raum orientieren. Plötzlich wechselt der Bodenbelag. Aus Steinen wird Waldboden. Der Wegrand wird durch eine Thujahecke und durch einen Kirschlorbeer begrenzt. Anschließend geht es an einer Hauswand entlang. Fenster und Briefkasten können ertastet werden. Die Klingel ertönt mit einem eigenwilligen Geräusch.

Markierungen für Blinde freihalten

Weiter geht es über einen Steg, an dessen Geländer man sich festhalten und ein wenig ausruhen kann. Plötzlich steht ein Fahrrad im Weg. Über das wäre einer der Besucher beinahe gefallen. "Das sind mit die gefährlichsten Hindernisse, die auf einem Gehweg zu finden sind. Mindestens genauso schlimm ist es, wenn ein Koffer auf den für Blinde markierten Wegen auf dem Bahnhof steht. Die Hindernisse tauchen für Blinde völlig unerwartet auf", berichtet Brigitte Schick, die sich übrigens in dem Dunkel gekonnt bewegt.

"Wenn man hier ein paar Führungen gemacht hat, dann bewegt man sich wie zu Hause", sagt sie lächelnd. Plötzlich stehen die Besucher vor einem Marktstand. Apfel, Kartoffel, Zwiebel und Zitrone können ertastet werden. Das klappt bei den meisten ganz ordentlich. "Es erfordert aber schon eine gewisse Konzentration, und ohne Anstrengung geht gar nichts", meint eine Besucherin. Auf einem Flohmarkt finden sich Plüschtiere und Schuhe. Langsam, es sind schon fast 45 Minuten vergangen, führt der Weg wieder zum Ausgang - in Richtung Licht.

Vorher können in einem Bistro noch Kaffee und Kuchen genossen werden. Schick erzählt eine Geschichte vom Vortag. Ein fünfjähriger Junge habe sie gefragt, ob die Geräusche die er hörte von "echten" Menschen stammten. Als sie das bejahte, sei der Junge völlig verblüfft gewesen. "Ich habe mich dank der blinden Führer völlig sicher gefühlt", sagte Besucherin Christa Müller.

Auch Sandra Pohl hat sich gut aufgehoben gefühlt. Sie haben sich bewusst diese Sonderschau ausgesucht. "Da bekommt man wenigstens annähernd ein Gefühl dafür, wie sich Blinde in der Welt der Sehenden zurechtfinden müssen", stellt Pohl fest. Sie habe schon einmal in einem Sinnesrestaurant in Mannheim in völliger Dunkelheit gegessen: "Das war schon ein ganz spezielles Erlebnis", berichtet sie. Brigitte Schick hat noch bis zu ihrem zehnten Lebensjahr gesehen.

Um eine Erfahrung reicher

Eine Hirnhautentzündung hat sie damals beinahe aus der Bahn geworfen. Heute steht sie auf einem sachlicheren Standpunkt: "Was ich nicht kenne, das vermisse ich auch nicht", sagt sie. Für viele Blinde spielen Farben eine untergeordnete Rolle. Ganz anders Schick: "Farben sind für mich sehr wichtig. An die kann ich mich noch genau erinnern."

"Ich hoffe, dass das einen interessanten Austausch für sie als Sehende ergeben hat", sagt die Führerin zum Schluss. Etwas nachdenklich aber um eine Erfahrung reicher, nicken die Besucher, die künftig zumindest keine Mülleimer und Fahrräder mehr auf den Straßen herum stehenlassen wollen.

Die Ausstellung

In völlig dunklen Räumen begleiten blinde Führer Besuchergruppen durch die Sonderschau. Der Rundgang dauert etwa 45 Minuten.

Alltägliche Situationen können völlig neu erlebt werden.

Die Besucher - bislang nahmen bereits 1000 Maimarkt-Besucher an einer Führung teil - tauchen in die Erlebniswelt blinder Menschen ein und entwickeln Verständnis für deren Alltagsprobleme.

Die Idee, Blindheit zu simulieren, hatte Andreas Heinecke bereits 1989 in Frankfurt, wo es auch ein Dialogmuseum gibt. has

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen