Politik

Wie sich Zeitzeugin Karla Spagerer für Demokratie und Vielfalt in Mannheim-Rheinau einsetzt

Im Nachbarschaftshaus des Mannheimer Stadtteils Rheinau wurde ein Fest für Vielfalt und Demokratie gefeiert. Wie sich Zeitzeugin Karla Spagerer dort gegen die AfD aussprach und junge Menschen aufrief, wählen zu gehen

Von 
Bernhard Haas
Lesedauer: 
Vielfalt gab’s auch beim Büfett im Nachbarschaftshaus. © Bernhard Haas

Das passte wie die Faust aufs Auge: Der Jugendtreff im Nachbarschaftshaus Rheinau feiert gemeinsam mit dem Quartierbüro der Caritas das Fest für Vielfalt und Demokratie. Das Fest ist noch nicht zu Ende, da tagt im großen Saal des Hauses der Kreisverband der Alternative für Deutschland (AfD) - abgeschirmt von starken Polizeikräften - und begleitet von einer Demonstration des offenen antifaschistischen Treffens.

Karla Spagerer setzt sich als Kämpferin für die Demokratie ein

Als Rednerin im Jugendtreff hatten die Organisatoren Karla Spagerer eingeladen. Sie ist eine der letzten Zeitzeugen der Verfolgung im Nationalsozialismus, die sich seit Jahren als Kämpferin für die Demokratie einsetzt. So war es auch wenig verwunderlich, dass die engagierte Sozialdemokratin sagte: „Bis vor wenigen Jahren war ich überzeugt, dass sich die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland nie wieder wiederholen könne. Aber mit Blick auf die AfD bin ich mir da nicht mehr so sicher.“

Spagerer rief vor allem die Jugend auf, sich gegen jegliche Art von Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit zu wehren. In ihrer unnachahmlichen direkten Art, mit Menschen umzugehen, schilderte die mittlerweile 93-Jährige eindrucksvoll Erlebnisse aus ihrer Kinder- und Jugendzeit.

1929 wurde sie in der Innenstadt geboren, drei Jahre später zog sie mit ihren Eltern auf den Waldhof, wo sie auch heute noch wohnt. An die Reichspogromnacht könne sie sich noch erinnern. Ihr Vater habe bei einem jüdischen Unternehmer gearbeitet, dessen gesamter Besitz auf die Straße geworfen und vernichtet worden sei. Allein sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens seien laut Spagerer umgebracht worden, nur weil sie einen anderen Glauben hatten. „Wer hat das Recht, einen anderen umzubringen, nur weil er etwas anderes glaubt?“, fragte die Seniorin.

Einen kleinen Einblick in ihr Privatleben ließ Spagerer auch zu. Sie glaube an die Liebe auf den ersten Blick. Als sie ihren Walter, mit dem sie 68 Jahre lang verheiratet war, zum ersten Mal gesehen habe, sei sie sofort verliebt gewesen. Allerdings habe die Mutter festgestellt: „Der ist viel zu alt für Dich“. Doch der Altersunterschied von elf Jahren habe später nie eine Rolle gespielt, stellte die politisch interessierte Frau heraus.

Ihre Großmutter hatte unter anderem Verbindungen zur kommunistischen Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter, und die Gestapo hatte des Öfteren ihr Zuhause durchsucht, erinnert sich Spagerer. Schon als kleines Mädchen hatte sie deshalb Angst um ihre Familie. 1936 verhaftete die Gestapo ihre Großmutter und verurteilte sie zu 18 Monaten Zuchthaus, weil sie Geld und Lebensmittel für Familien gesammelt hatte, deren Männer inhaftiert waren.

„Was damals geschah, kann man doch nicht einfach vergessen"

Auch das blieb im Gedächtnis haften: Die junge Karla war am 15. September 1942 zu einer Litfaßsäule geschickt worden, auf der durch das Fallbeil ermordete Wiederstandkämpfer aufgelistet waren, darunter auch der Name von Georg Lechleiter. „Da habe ich heute noch Gänsehaut“, erzählte sie, als sie das der Ehefrau des Getöteten sagte. Sie erinnerte auch an den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger, der als Marinerichter kurz vor Kriegsende noch zwei Urteile ausgesprochen hatte. „Pfui Teufel, was kann das für ein Mensch sein, der feststellte, was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein“, so Spagerer. Schließlich kam sie zu dem Schluss: „Ich konnte mir nie vorstellen, was für Menschen AfD wählen. Was damals geschah, kann man doch nicht einfach vergessen.“

Nach dem Krieg habe eine für viele arme Zeit begonnen, die aber mit viel Zuversicht versehen gewesen sei. Spagerer rief alle auf, wählen zu gehen. Moderator Paul Wenzel bedankte sich für die klaren Worte von Karla Spagerer sehr. Die Gäste probierten anschließend das kalte Büfett, auf dem viele kleine ausländische Spezialitäten versucht werden konnten. Die Kinder verteilten sich im Hof und spielten dort. Zum Schluss sang der afrikanische Chor „Spring of Joy“, sorgte mit seinem Auftritt für eine lockere Atmosphäre und trug zu einem gelungenen Abschluss des Festes bei.

Die 93-jährige Zeitzeugin Karla Spagerer mit Paul Wenzel (l.) und Markus Schwarz-Riehle. © Bernhard Haas

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke