Am 14. August 1942 wurde Johanna Geissmar in Auschwitz ermordet. An ihrem 76. Todestag erinnerten Schüler des Musikzuges und Lehrer Martin Geipel bei einer Gedenkstunde im Otto-Bauder-Haus an die Namensgeberin ihres Gymnasiums. Die Gedenkfeier, die Schüler Michael Nguyen mit seinem Klavierspiel stimmungsvoll umrahmte, war gleichzeitig Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe „Nachbarschaft ist . . .“ im Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Im Foyer des Hauses konnte Alexander Manz vom AWO-Kreisverband auch Carla Spagerer, Stadträtin Andrea Safferling, die Bezirksbeiräte Bernhard Höllriegl und Susanne Aschhoff sowie Gymnasialdirektor Roland Haaß begrüßen. „Die Erinnerung an Johanna Geissmar, die sich selbst in ihren dunkelsten Stunden für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz einsetzte, die auch Werte der AWO sind, passt gut ins Otto-Bauder-Haus“, fand Manz.
Auch SPD-Landtagsabgeordneter Stefan Fulst-Blei erinnerte in seinem Grußwort an die „mutige, selbstlose und ganz besondere Frau“: Johanna Geissmar wurde 1877 geboren, als Frauen noch im engen Korsett der Kaiserzeit lebten und kein Wahlrecht hatten. Sie starb auf dem Höhepunkt der NS-Barbarei. „Johanna Geissmar hat eine dramatische Zeit erlebt – aber auch Fortschritte. In diesem Jahr feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht, worauf wir stolz sein können“, erklärte Fulst-Blei.
Im Internierungslager
Heute hätten Frauen die Werte der Verfassung, nach denen sie das Leben gestalten könnten. „Aber wir sind nicht berechtigt, uns zurücklehnen“, sagte Fulst-Blei. „Wenn ein Rechter im baden-württembergischen Landtag beantragt, die Mittel für Gurs komplett zu streichen, und es Hetzjagden gibt, ist es Zeit aufzustehen, sich einzusetzen und zu werben für die Werte, die Johanna Geissmar gelebt hat und für die sie gestorben ist“, forderte Fulst-Blei die Zuhörer auf.
Von Studiendirektor Martin Geipel erfuhren die Gäste mehr über das Leben von Johanna Geissmar. „Sie war ein besonderer Mensch, der auch mein Leben entscheidend verändert hat“, bekannte der Lehrer. Er habe ebenfalls den Namen der Schule ausgesucht. „Es war eine tolle spannende Zeit mit vielen Diskussionen“, erzählte er. Es sei schwierig gewesen, Informationen über das Leben von Johanna Geissmar zu finden – da heute das, was die Familie hinterlassen hat, nicht mehr da ist.
Geipel schilderte ihr Leben anhand der Biografie von Hanna Schramm, die Johanna Geissmar im Internierungslager Gurs kennengelernt hatte. Anschaulich wurde sein spannender Vortrag durch noch nicht veröffentlichte Bilder, die ihm von Ruth Shimondle, einer Großnichte von Johanna Geissmar, überlassen wurden. Sie war vor kurzem aus den USA gekommen und hatte des JGG besucht (wir berichteten).
Die Schüler des Musikkurses K2 hatten sich im vergangenen Schuljahr mit der Familie Geissmar beschäftigt: Johanna Geissmar stammt aus einer jüdischen Mannheimer Familie. Als endlich auch Frauen zum Studium zugelassen werden, erfüllt sich ihr Traum. Sie wird zu einer beliebten Kinderärztin.
Nach der unheilvollen Machtübernahme der Nazis wird ihre Praxis geschlossen. Johanna Geissmar wird mit 6504 Juden aus Baden und der Pfalz nach Gurs deportiert. „Engel in der Hölle von Gurs“ wird sie genannt. Als die Todestransporte nach Auschwitz beginnen, meldet sie sich freiwillig, weil sie ihre Patienten begleiten will.
In der anschließenden Gesprächsrunde mit Schülern erklärte Julian Haag (17 Jahre): „Johanna Geissmar ist für mich ein Vorbild, mit dem ich mich identifizieren kann, sie vermittelt Werte, an denen sich jeder Schüler orientieren kann.“ Elena Haas (17 Jahre) ist stolz auf den Namen ihrer Schule. Johanna Geissmar hat für sie „eine starke Vorbildfunktion“, von ihr könne man „ein paar Sachen lernen“.
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