Wie in den letzten Jahren erwartete Schutzengel Felix auch an diesem Heiligen Abend den Wunschzettel-Engel Mannheim-Nord. Es war Tradition, dass er nach der Auslieferung der letzten Geschenke im Sandhofer Freibad landete, um Felix zu beschenken. Doch in diesem Jahr kam er nicht alleine.
„Das ist mein Praktikant“, grummelte der Engel, „wir haben Nachwuchsprobleme genau wie ihr im Freibad: Schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitszeiten – und dann diese Fliegerei im Hemd! Is’ so’n Projekt: Die Teufel haben keine Nachwuchssorgen, deshalb müssen alle ein Praktikum in Himmel UND der Hölle machen, bevor sie sich entscheiden. Der hier überlegt noch. Nennt sich HL – weiß nicht, ob er Himmel- oder Höllenlehrling sein will. Soll wohl cool sein.“
„Als Engel bringst du viel Freude in das Leben der Menschen“, riet Felix, „mehr als ein Höllenbengel.“ „Wie denn“, maulte HL, „als Engel bleibt man unsichtbar . . . vielleicht mal ‘ne Flügelspitze dürfen die Menschen von dir sehen. Im Himmels-Office arbeiten nur die Altgedienten und ständig diese Fliegerei im Hemd! Und die schweren Geschenke schleppen! Überhaupt hat das alles keine Zukunft! Man kann doch alle Wünsche per Himmels.net eintippen. Warum da noch Zettel schreiben!“ „Ich darf mich nicht aufregen“, der Wunschzettel-Engel schickte einen Blick gen Himmel, „gleich ist Feierabend. Hier Felix, dein Geschenk und Fröhliche Weihnachten!“ „Na, das ist ja eine coole Rutschbahn“, rief plötzlich HL begeistert, „war bestimmt im Sommer viel zu beschützen. Und was is‘n das?“ Er fischte einen Zettel aus den welken Rosenbüschen neben der rot-orangenen Rutschbahn: Einen Reservierungszettel für die Freibadsaison 2021.
Tickets für das falsche Bad
Auf der Rückseite stand geschrieben: Lieber Wunschzettel-Engel, ich lese jedes Jahr im Mannheimer Morgen die Weihnachtsgeschichte und weiß, dass du den Schutzengel im Freibad besuchst. Kannst du mir helfen? Am letzten Tag der Freibadsaison war ich mit meinem Onkel Hektisch im Sandhofer Freibad. Aber nur, weil er die Tickets für das falsche Bad gebucht hat: Ich wollte ins Carl-Benz-Bad wegen dem Sprungturm. In Sandhofen stand ein Mädchen hinter mir am Eingang. Mit Maske! Echt jetzt, Engel, ich schwöre, die kann mit den Augen lächeln! Hab’ sie am Kiosk wieder getroffen, wollte fragen, ob sie mit mir rutscht, mich aber nicht getraut. Muss immer an sie denken . . . ob ich sie ohne Maske erkenne? „Das ist ein ALM, . . . ein Aller-letzte-Minute-Wunsch“, frohlockte der Engel, „was für eine himmlische Aufgabe für dich. So einen Wunsch kannst du nicht im Himmels.net bestellen!“
„Jetzt is’ sowieso Feierabend“, maulte HL, „ich will zur höllischen After-X-mas-Party. Meine Kumpels warten. Bin angemeldet und das Gör liegt sicher schon im Bett!“
„Bei Cherubim und Seraphim, sei nicht so respektlos“, der Engel winkte ab, „bei uns gibt’s auch eine Party! Diesen Wunsch musst du erfüllen – er hat dich ausgesucht! Es gibt da etwas, was dir helfen könnte: Ein unerfüllter Wunsch in der Heiligen Nacht . . . der sendet! Da kann die Bescherung noch so üppig ausfallen. Ist sogar Teil der Prüfung, ob man sich als Wunschzettel-Engel eignet, denn ein ALM-Wunsch lässt sich nicht von jedem hören! Jetzt pack’ dein Telefon weg und benutze Herz und Ohren!“
Sie flogen los und der Engel lehrte HL, die Ohren zu spitzen, bis er ein feines Glöckchen klingeln hörte, dem sie folgten. Sie landeten im Zimmer eines Jungen, der sich unruhig in seinem Bett wälzte. „Das ist er“, frohlockte HL, „aber wie finden wir das passende Mädel?“ Dem Engel kringelten sich vor Aufregung die Flügelspitzen. Er hatte keine Ahnung. Ein unerfüllbarer Wunsch! Das war der Schrecken jedes Wunschzettel-Engels!
„Selig sind die Gutgläubigen“, lenkte HL engelsgleich ein, zückte sein Telefon und hackte sich in die Besucherlisten des Sandhofer Freibades ein. „Ja, da haben wir sie . . . genau nach dem Check in von diesem Onkel Hektisch.“ HL tippte und wischte, tat als bemerke er die misstrauischen Blicke des Engels nicht. „Und hier ist die Adresse!“
Eine Entführung?
Als sie im Zimmer des Mädchens landeten, murmelte der Wunschzettel-Engel verzweifelt. „Das ist eine Entführung . . . kann mich den Job kosten . . . was, wenn sie ihn nicht leiden kann? Und das wenige Wasser im Schwimmbecken ist sicher eiskalt. Da wird seine Herzensdame frieren!“ „Wenn man vom Teufel spricht“, HL zückte wieder sein Telefon, „wofür hat man Praktikanten-Kumpels in der Hölle!“
In Windeseile landeten in Felix’ geliebtem Freibad große und kleine Teufel, die die Wasserleitungen aufdrehten, bis die Rutsche sprudelte. Dann rutschten sie, bis das Wasser unter ihren Hintern dampfte. Und das alles ohne Heizung! Auch viele Engel landeten, denn sie vermissten den Wunschzettel-Engel Mannheim-Nord auf ihrer Feier.
Felix fürchtete um sein friedliches Freibad. Würde es zu Weihnachten Streit geben? Doch Teufel und Engel hatten nur Augen für die beiden Flugpassagiere. „Hast du nicht etwas vergessen?“, sprach der Engel zu HL, der seinen Kumpels stolz von seiner ALM-Wunsch-Aktion erzählte, „unsere Arbeit verlangt auch praktische Überlegung! Wo sind Handtücher, Badehose- und Badeanzug?“
Rasch holte Felix Badehose, Bikini und Handtücher der vergangenen Saison herbei und die beiden Verliebten rutschten verzückt; gehalten und gestützt von Engeln und Teufeln, die mit ebensolchem Vergnügen rutschten und für diese Heilige Nacht Feindschaft und Konkurrenz begruben. ’Scheint, als seien wir alle wichtig‘, dachte Felix, ’die richtige Mischung macht‘s!“ Dann fiel ihm sein Weihnachtsgeschenk ein, das er nun rasch auspackte: einen Flügel-Spannen-Abstands-Halter. Er hoffte, ihn in der Saison 2022 nicht mehr zu brauchen.
Und was wurde aus HL? Ein Himmel- oder Höllenlehrling ? Is’ ja wohl klar, oder?
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