Mannheim. „Woher? Wohin?“: Die Begriffe standen im Mittelpunkt einer musikalisch-literarischen Spurensuche zum Thema Heimat im Theater Felina Areal. Menschen, die in Mannheim eine Heimat gefunden haben – unter ihnen Dichter Hasan Dewran – näherten sich dem Thema mit einer einfühlsamen Auswahl von literarischen Texten mit jeweils deutscher Übersetzung. Musikalisch begleitet wurde die Lesung vom Duo Zora & Karli (Zora Brändl und Karl-Christian Schroff). Susanne Aschhoff, Landtagsabgeordnete der Grünen, führte gemeinsam mit dem Leiter der Stadtbibliothek Yilmaz Holtz-Ersahin durch den kurzweiligen Abend.
Zehn „Vorleser“
Bei dem besonderen Heimatabend näherten sich die zehn „Vorleser“ sehr differenziert dem Thema „Heimat“. Theaterchef Sascha Koal begann mit zwei historischen Texten über die Neckarstadt, die im vergangenen Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feierte. Im größten Stadtteil von Mannheim haben im Zuge der Industrialisierung und auch heute Menschen aus verschiedenen Ländern eine neue Heimat gefunden. Koal erinnerte an die bescheidenen und prekären Lebensverhältnisse der Arbeiter um die Jahrhundertwende sowie an die Gründung der ersten Vorlesehalle – 1906 gestiftet vom damaligen Stadtrat und Industriellen Bernhard Kahn.
„Geschichte lebt weiter, Wörter leben weiter – wir sollten auch der Stadtbibliothek neues Haus gönnen“, meinte Yilmaz Holtz-Ersahin. Für den Leiter der Stadtbibliothek ist Sprache Heimat. Er bewies seine Liebe zur Deutschen Sprache – „der Sprache der Dichter und der Liebe“ mit dem Gedicht von Heinrich Heine „Denk ich an Deutschland in der Nacht. . . “ Sein Lied in Anlehnung an seine türkische Heimat – gesungen von Holtz-Ersahin in Kurdisch-Roomanci, in dem viele Worte dem Deutschen ähneln – begleitete er mit der Saz.
Dichter Hasan Dewran lebt seit 1977 in Deutschland und seit 1980 in Mannheim. Der studierte Diplom-Psychologe, der in Mannheim als niedergelassener Psychotherapeut arbeitet, hat bereits sechs Bücher mit Gedichten und Aphorismen veröffentlicht. Als Dichter wandelt Dewran zwischen der alevitischen Denk- und Lebensweise seiner Heimatregion Dersim in der Türkei und der kapitalistischen Urbanität des europäischen Deutschland.
In verschiedenen Sprachen
Dewran las seine Texte in Zaza (die indogermanische Sprache und drittgrößte Sprache der Türkei ist verwandt mit dem Persischen und in der Türkei leider sehr bedroht, wie Kurdisch), Yilmaz Holtz-Ersahin in Kurdisch-Roomanci und Susanne Aschhoff in Deutsch und Englisch. Durch die verschiedenen Sprachen war ihre Lesung für das Publikum ein ganz besonderes Klangerlebnis.
Als bulgarischen Beitrag lasen Viktorya Asenova und Monika Aleksieva zwei Texte des preisgekrönten und in viele Sprachen übersetzten Autors Andreev Wasil, abwechselnd in Bulgarisch und Deutsch. Gyulfida Galeva trug außerdem den Liedtext des beliebten Schlagersängers Emil Dimitrov „Mein Land, mein Bulgarien“ vor und Tanya Krasteva die deutsche Übersetzung. Die Konzentration auf den Text eröffnete ganz neue Perspektiven dieses Liedes.
Einen besonderen Eindruck hinterließen zwei Frauen aus der Ukraine: „Seit einem Jahr leben wir in Mannheim, weil unser Land sein Recht auf Unabhängigkeit verteidigen muss“, erzählte Kateryna Mariach. Dieser Kampf präge ihr Land seit Jahrhunderten. Ihr gekonnter Vortrag eines ukrainischen Gedichts von Vassyl Stus handelte vom Erwachen der Nation. Das folgende Musikstück „Melody“ des ukrainischen Komponisten Myroslaw Skoryk erzählte vom langen tragischen Weg, den das Land für Freiheit und Unabhängigkeit führen muss, dynamisch und sehr leidenschaftlich vorgetragen von Kateryna Mariach (Klavier) und Oleksandra Didyk (Cello). Das hingerissene Publikum spürte ganz unmittelbar den Stolz und Kampfesmut des ukrainischen Volkes.
Amüsanter Schlusspunkt
Amüsanter Schlusspunkt war das Duo Zora & Karli mit dem Lied „Dr Ferdinand isch gstorbe“, gesungen auf Schwyzerdütsch von Brändl, die aus der Schweiz kommt und heute in der Neckarstadt-West wohnt.
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