Ein Wal ist gestrandet – an einem ungewöhnlichen Ort: auf der A 6 am Viernheimer Kreuz, vor den Toren Mannheims. Vollsperrung der Autobahn, kilometerlanger Stau. Die Situation ist absurd, doch es muss gehandelt werden. An der Entscheidung beteiligt ist eine Schulklasse.
Das Theaterstück mit Musik, das so konzipiert ist, dass Schulen es buchen können, gastierte am Moll-Gymnasium, nachdem es mit einer Oberstufenklasse erarbeitet wurde. „Wir sind seit diesem Schuljahr ein Musik-Gymnasium“, sagte Lehrer Matthias Müller, der für die Kooperation mit dem Nationaltheater zuständig ist. Entwickelt wurde das Stück von Komponist Alexander Schweiß, Regisseurin Valeria Ryzhonina, Librettist Oliver Riedmüller sowie Dramaturgin Polina Sandler.
Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Mischung aus Show und Wahlkampf-Party. Die Moderatorin (Carmen Yasemin Ipek) sowie Sänger und Percussionist „Walter“ (Thomas Jesatko, Bassbariton) tragen leuchtend gelbe Kleidung mit Pailletten und betonen immer wieder, dass heute „Democracy Day – yay – yay“ sei. In der Mitte des Raumes ist ein Stuhlkreis aufgebaut. Drei Musiker mit Klarinette (Carsten Bolz), Posaune (Johanna Pschorr) und Cello (Christine Wittmann) untermalen das Geschehen jeweils mit der passenden Musik, die von dissonant mit Staccato-Rhythmen bis hin zu harmonisch und getragen reicht.
Die Schülerinnen und Schüler der Klasse J1 stehen noch um den Stuhlkreis herum. Die Moderatorin stellt Fragen wie: „Habt ihr eine Lösung zu den großen Problemen unserer Zeit?“ Mit dem Eintritt in den Stuhlkreis dürfen die Teilnehmer aktiv werden. Sie müssen innerhalb von 180 Sekunden entscheiden, wie der Wal abtransportiert werden soll. Die Zeit läuft, es wird ernsthaft diskutiert, die Entscheidung fällt – doch es ist zu spät, der Wal schafft es nicht und stirbt. Walter singt aus der Perspektive das Wals noch eine ergreifende Arie: „So ist Politik nun mal, nicht jeder kann sie machen.“
Erinnerung an „Wa(h)l“-Kampagne
Der Democracy Day geht in die zweite Runde. „Heute ist der Tag der Wahl“, verkündet die Moderatorin. Das nächste Problem: Der Wal muss beseitigt werden, sonst droht er zu explodieren. Ein zweites Mal wird abgestimmt – wieder dauert es zu lange. Denn die Behörden sind nicht zu erreichen oder meinen, sie seien nicht zuständig. „Wir haben es versucht, ein allerletztes Mal versucht“, singt Walter. Es erinnert ein bisschen an „My Way“ von Frank Sinatra.
Nach der Aufführung findet noch eine Diskussionsrunde statt, denn, wie man sich denken kann, geht es in dem Stück nur vordergründig um die Rettung eines Wals. Die Schülerinnen und Schüler meinen, ihre Mitentscheidung habe keinen Einfluss darauf gehabt, was anschließend geschah. Eine demokratische Entscheidungsfindung kostet eben Zeit, was manchmal von Nachteil sein kann. Doch was ist die Alternative? Nicht wählen gehen? Keine Verantwortung übernehmen? Man fühlt sich sehr an die bunten Plakate mit der Aufschrift „Bock auf Wahl“ erinnert, die in Mannheim zu sehen waren und die vor allem junge Wähler ansprechen sollten. Die mobile Inszenierung des Nationaltheaters ist äußerst gelungen, sie transportiert eine Botschaft auf direktem Weg und ist gleichzeitig künstlerisch anspruchsvoll.
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