Käfertal/Franklin - Wespinstift eröffnet auf dem Konversionsgelände ein neues Gebäude für junge Menschen mit psychischen Problemen

Ein Torhaus voller Hoffnungen

Von 
Roland Schmellenkamp
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Symbolträchtige Architektur: Das neue Torhaus des Wespinstifts auf Franklin. © Keiper

Ein neuer Rodelschlitten steht in einem Raum im neuen Torhaus des Kinder- und Jugendhilfezentrums Wespinstift auf dem Franklin-Areal. Den hatten sich die Mädchen gewünscht, die dort bereits eingezogen sind. Wer angesichts der jüngsten Winter einen Schlitten möchte, hat offensichtlich Hoffnung, Lebensfreude und plant in die Zukunft – all dies ist für die jungen Menschen wichtig, die dort wegen psychischer Probleme untergebracht sind.

Im Dezember bezogen

Die sechsköpfige Mädchengruppe wohnt dort seit Dezember, eine ebenso große Jungengruppe wird folgen, wenn genug Personal da ist – es gibt Fachkräftemangel. Laut Andrea Knerr, der pädagogischen Leiterin, gibt es für jede Gruppe einen Therapeuten sowie 5,3 Vollzeitstellen pädagogisches Personal – es sei 24 Stunden mindestens ein Betreuer anwesend. Sie wünscht sich sogar noch mehr Personal für die zwei Gruppen, denn „das Verhalten ist sehr herausfordernd“. Die jungen Menschen werden – wenn möglich – in ihre Familien zurückgeführt, kommen als Erwachsene in andere Einrichtungen oder führen dann ein selbstständiges Leben.

Sie erklärte in ihrer Rede anlässlich der offiziellen Einweihung, dass für die jungen Menschen ein strukturierter Alltag sowie klare Regeln und Grenzen wichtig seien. Es gebe Einzel- und Gruppentherapien sowie psychiatrische Behandlungen – unter anderem wird dabei mit dem Kinder- und Jugendpsychiatrie am Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) zusammengearbeitet. Andere Kooperationspartner sind Schulen, Ärzte, Therapeuten, Ämter und die Agentur für Arbeit: „Auch die Polizei hat sich als wichtiger Kooperationspartner gezeigt, der uns Sicherheit gibt in Krisen und bei Jugendlichen, die sich unerlaubt und ohne Aufsicht vom Torhaus entfernen.“ Weiter gebe es fußläufig eine besondere Beschulung, das „Mannheimer Modell“, bei dem individuell auf die jungen Menschen eingegangen wird.

Knerr zitierte vor rund 50 geladenen Gästen eine Weisheit aus China: „Du kannst ein Haus bauen, aber kein Heim.“ Nun sei es Aufgabe der Betreuer, „unseren Kindern und Jugendlichen einen sicheren Ort zu geben, ein Heim als einen Platz, in dem sie sich ernst- und angenommen fühlen“. Sie würden ins Torhaus meist nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie oder in den bereits bestehenden Wohngruppen für unter Zwölfjährige kommen.

Detlef Weber, Kaufmännischer Leiter der Wespin Stiftung, nennt 3,2 Millionen Euro Kosten für das Gebäude mit 800 Quadratmetern Nutzfläche. Bereits ein Jahr nach dem Richtfest konnte die erste Gruppe einziehen. Einen geeigneten Standort zu finden, sei schwierig gewesen. Es entstand das Torhaus, es wurde sozusagen über die „Europa-Achse“ gebaut. Architektonisch ein Kompromiss, denn die Gruppen sind auf drei Etagen untergebracht. Die „Europa-Achse“ wird laut Uwe Raffloer von der städtischen Entwicklungsgesellschaft MWSP ein langer Bereich für Fußgänger und Radfahrer werden, der sich durch das ganze Quartier zieht. Das Mannheimer Büro Fischer Architekten entwarf das Gebäude, bei dem Jungen- und Mädchentrakt getrennte Eingänge haben und deren getrennte Wohnbereiche nur über einen Besprechungsraum verbunden sind. Die zwölf Bewohner haben kleine Einzelzimmer und teilen sich zu zweit ein Bad. Küche, Büros, ein Raum für Sport sowie einen „Time Out Raum“ für Notfälle gibt es auch. Holzböden, viel Licht, Sofas und Bilder schaffen eine gemütliche Atmosphäre.

Dirk Grunert, Bürgermeister im Dezernat III mit den Bereichen, Bildung, Jugend und Gesundheit, sprach von einem „wichtigen Engagement für die Stadt“. Mit der Betreuung für über Zwölfjährige werde eine Versorgungslücke geschlossen, das Gebäude sei eine „wichtige Etappe in der bewegten Geschichte der Stiftung“. Ralf Schäfer, Leiter Soziale Dienste im Jugendamt, lobte die Vernetzung. Im Torhaus gäbe es ein sicheres Umfeld, Struktur und verlässliche Bezugspersonen. Soweit möglich werde versucht, die jungen Menschen in ihre Familien zu integrieren. Als Geschenk brachte er ein gerahmtes Foto von einem Hafen mit: „Er bietet Schutz, dort bereitet man sich für große Unternehmungen vor – und er ist das Tor zur Welt.“

Das Wespinstift

Dorothea Wespin, alleinstehende Tochter eines Mannheimer Karten-Fabrikanten, starb 1887. Sie hinterließ der Stadt Mannheim das gesamte Familienvermögen in Höhe von rund 400 000 Goldmark mit der Verpflichtung, damit ein Waisenhaus zu errichten.

Das Wespinstift besteht seit 1893, zuerst entstand wie gewünscht ein Waisenhaus für Jungen.

Zur Geschichte der Stiftung wurde anlässlich 125 Jahre Bestehens 2018 ein 228 Seiten starkes Buch herausgebracht.

Die Einrichtung betreibt gegenwärtig in Mannheim unter anderem acht stationäre Wohngruppen, sozialpädagogische Familienhilfe, Tagesgruppen mit 55 Kindern, ein Kinderhaus und betreut Schüler in der Ganztagsschule Vogelstang.

Seit dem Jahr 2000 gibt es eine Intensivgruppe des Wespinstifts, in der Kinder bis zwölf Jahren mit psychischen Problemen betreut werden, eine weitere seit 2008. Bisher mussten jedoch ältere Kinder und Jugendliche außerhalb von Mannheim untergebracht werden. ros

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