Alles war angerichtet: Die Verstärker angeschlossen, die Instrumente gestimmt, die Bühne gerichtet. Doch das Konzert des argentinischen Folklore-Sängers Joselo de Misiones, das in den Kulturbrücken im Jungbusch terminiert war, konnte anfangs nicht stattfinden. Was fehlte, waren die Gäste.
Statt jedoch zu verzagen, machten Joselo und seine Entourage aus der Not eine Tugend: Die Musiker verlagerten den Schauplatz des Geschehens kurzerhand dorthin, wo Menschen waren. Nämlich in die Beilstraße, wo Joselo spontan ein Akustik-Konzert spielte. Vor der Sackträgerstatue bildete sich schnell eine Traube von einigen Dutzenden Interessierten.
Während ältere Besucher dem Klassiker "Bésame Mucho" lauschten, konnten sich Kinder für Jonglage- und Akrobatikeinlagen des Clowns Pochosky, der zum Rahmenprogramm Joselos zählt, faszinieren. "Das Straßenkonzert war ein unverhoffter Segen. Joselo konnte auf sich aufmerksam machen, und die Bewohner der Beilstraße wurden unterhalten", freute sich der Veranstalter Hermann Rütermann von den Kulturbrücken. Der Abend war gerettet
So ging es im Anschluss auch zurück an den ursprünglichen Veranstaltungsort, wo mittlerweile rund 25 Gäste auf die Musiker warteten. 90 Minuten lang entführte Joselo die Besucher in die Welt des Chamamé, einer argentinischen Volksmusik aus dem Nordosten des Landes. Schnelle 6/8-Takte, die ohne Gesang auskamen, mischten sich mit langsameren Stücken, in denen die Stimme und die Texte Joselos in den Vordergrund rückten. Gemeinsam mit Maka Segueyra (Gitarre), Yoni Mombage (Akkordeon) sowie dem besagten Clown Pochosky erzählen die Polka-Rhythmen und Liedermacher-Akkorde aber auch von politischen Missständen in der Heimat Argentinien.
Spuren des Großvaters
Eigentlich heißt Joselo de Misiones bürgerlich Joselo Schuap. Der Name ist ein Überbleibsel des deutschen Großvaters, der nach Argentinien auswanderte. "Sieht man doch, oder nicht?", lacht Joselo über sein typisch südamerikanisches Aussehen. Er kommt aus der Stadt Posadas in Misiones, einer Provinz im Nordwesten Argentiniens an der Grenze zu Brasilien und Paraguay. Die Provinz ist nicht nur die Heimat der weltbekannten Iguazú-Wasserfälle, sondern auch Schauplatz von Zerstörung, Raubbau und Umweltverschmutzung. "Ein einfaches Beispiel", erläuterte Joselo, "Soja-, Eukalyptus- und Tannenbaum-Plantagen werden in Misiones benutzt, um Papierpaste für Schreibpapier zu produzieren. Der Westen bekommt das fertige Material, aber wir müssen mit der Ausbeutung der Natur leben."
Die politische Botschaft des Sängers wird auch beim Konzert in Mannheim deutlich: Während Joselo eine "nación en el barro de la costa" (zu Deutsch: eine Nation im Küstenschlamm) besingt, werden per Dia-Projektor Bilder aus seinem Heimatland an die Wand geworfen. Es handelt sich um Fotos aus Argentinien, die verdreckte Flüsse, vermüllte Wälder und die ausgehungerte Landbevölkerung zeigen.
Joselos Alben heißen "Der Junge mit dem Traum" oder "Wir sind Wasser". Beim Festival von Cosquín wurde Schuap 2014 für seinen Einsatz für Umweltschutz ausgezeichnet. "Ich bin über unsere Zukunft besorgt: Kriege werden geführt, Staudämme gebaut und Erdölressourcen künstlich gefördert. Unsere Kinder werden mit diesen Problemen noch zu kämpfen haben", sagte Joselo. Mit seiner Musik will er auf ökologische und politische Probleme aufmerksam machen.
Dabei ist es bereits das vierte Mal, dass Joselo de Misiones Deutschland besucht. Seine Musik brachte ihn nach Mainz, Bielefeld, Köln, aber auch Amsterdam und Rom. "Ich mag diesen Ort. Die Leute sind an meiner Heimat interessiert. Aber was mir auch auffällt: Den Leuten ist Uhrzeit und Ordnung oft wichtiger als das Zwischenmenschliche."
An diesem Abend ist das überhaupt nicht so: Nach dem Konzert in familiärer Stimmung endet der Abend im gemeinsamen Plausch bei Bier und Mate-Tee. Mit seiner Musik konnte er an diesem Abend einige Dutzend Bewohner der Beilstraße unterhalten und zwei Dutzend Zuhörer auf Probleme seiner Heimat aufmerksam machen. Eine ordentliche Bilanz - und ein schöner Teilerfolg für Joselo bei seinem Kampf für eine bessere Welt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/innenstadt-jungbusch_artikel,-innenstadt-jungbusch-ein-stueck-argentinien-im-busch-_arid,872271.html