Schriesheim - Künstler Gunter Demnig erläutert sein Projekt "Stolpersteine" / Verlegung für 11. April 2012 geplant

"Passanten müssen sich verbeugen"

Von 
Johanna Emmerich
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Interessiert verfolgten die Zuhörer im Sitzungssaal des Schriesheimer Rathauses, was der Kölner Künstler Gunter Demnig über sein Projekt "Stolpersteine" zu berichten hatte.

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Seit fast einem Jahr steht nun der Beschluss des Gemeinderates in Schriesheim: Es sollen insgesamt zwölf Stolpersteine auf den Straßen verlegt werden. Projektkünstler Gunter Demnig setzt solche Steine bereits seit 1993 in ganz Europa, zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus.

In Messing eingehämmert sind die Namen der Opfer und ihr ganz persönliches Schicksal. Im Pflaster öffentlicher Straßen vor den Wohn- und Wirkungsstätten der Menschen eingelassen. Als bleibende Mahnung an alle.

30 000 Steine verlegt

Wie es zu der Idee kam, wie es sich anfühlt, über 30 000 solcher Steine verlegt zu haben, und welche Schwierigkeiten sich dabei manchmal ergeben, das erzählte Gunter Demnig am Montagabend im vollen Ratsaal des Schriesheimer Rathauses. "Der Hintergrund zum Projekt ist kein Grund zur Freude" erklärt er: "Routine ist vielleicht das Einhämmern der Steine, keinesfalls jedoch das einzelne Schicksal." Messingplatten sind in kleine Steinquader eingelassen und tragen meist die Inschrift "hier wohnte" oder auch "hier arbeitete" oder "hier lebte". Jeden einzelnen Buchstaben prägt Demnig eigenhändig in das Material: "Fabrikähnliche Arbeit würde für mich bei diesem Projekt überhaupt nicht infrage kommen."

"Es gibt bei den Verlegungen Besucher aus der ganzen Welt, Familien treffen sich wieder, Kinder aus den Kindertransporten kehren zum ersten Mal zu ihrem Geburtshaus zurück", berichtet Demnig und sieht hier eine große Bestätigung für sein Wirken: "In solchen Momenten macht es mir Freude, das Projekt realisiert zu haben."

Die Steine sind für Demnig Geschenke der Bürger, "aber ich habe als Künstler das letzte Wort, was die Gestaltung angeht." Er will die Dinge nicht beschönigen: "Emigriert sind die Menschen natürlich nicht, sie sind geflohen, und das schreibe ich dann auch so. Auch sind die Menschen nicht verschollen, sondern ermordet worden. Exakt so steht es dann auf den Steinen."

Auch das Material der Stolpersteine ist mit Bedacht gewählt: Messing wird durch das Darüberlaufen blank, wie etwa bei Bodengräbern in großen Kathedralen. "Je mehr Menschen darüber gehen, desto größer die Ehre", erklärt der Künstler.

Blickfang am Boden

Warum er die Platten gerade auf den Boden legt, dazu hat er eine einfache Antwort: "Tafeln an Häusern werden nach meiner Erfahrung kaum wahrgenommen, aber ein blankes Stück Messing mitten auf dem Gehweg fällt auf. Der Passant muss sich verbeugen und blickt dann erst zum Haus, die Wahrnehmung des Stadtbilds verändert sich." Und das geschieht derzeit an über 600 Orten in ganz Deutschland, aber auch in Rom und Oslo, in der Ukraine und in Rotterdam: "Dieses Projekt ist ein Lebensprojekt."

Sichtlich bewegt vom Vortrag des besonderen Künstlers, haben die Besucher nach einem herzlichen Applaus viel Redebedarf. Rektorin Petra Carse von der KurpfalzRealschule etwa lädt ihn ganz spontan ins Schulzentrum ein, und genauso spontan sagt Gunter Demnig zu. Gelegenheit dazu gibt es am 11. April 2012, wenn Demnig zum Verlegen der Stolpersteine erneut nach Schriesheim kommt.

Freie Autorin

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