Zum Auftakt unserer neuen Serie „Mein Viertel“ sind wir in Alt-Feudenheim zu Gast, und zwar bei Gerlinde und Walter Hildenbrand, deren Gedächtnis weit zurückreicht. Die beiden, Jahrgang 1931 und 1925, gehören zu den echten Alt-Feudenheimern, denn beide sind dort aufgewachsen. Auch wenn die Zeiten nicht immer rosig waren, vor allem während des Krieges, gibt es doch viel Positives zu berichten aus dem Viertel und aus einer Zeit, in der „Hektik“ ein Fremdwort war.
Das Ehepaar Hildenbrand wohnt seit 1963 in der Hauptstraße nähe des Badischen Hofs. Gerlinde, eine geborene Biedermann, wuchs auf in der Kronenstraße, Walter in der Feldstraße. Sie zeigt uns alte Fotos aus Kriegszeiten, auf denen sie etwa zwölf Jahre alt ist. Beliebtes Motiv: Kinder im Schnee, denn es scheint in den 1940er Jahren besonders kalte Winter gegeben zu haben. „Man hat früher gesagt, der viele Schnee kommt von den Bomben, vom Pulverdampf“, sagt Walter Hildenbrand.
Alt-Feudenheim schien für die Kinder „Wintersportgebiet“ zu sein, sie sitzen auf Schlitten und tragen Schlittschuhe. „In der Feldstraße gab es eine Mulde, in die der Schnee reingekippt wurde. Wenn es taute und dann wieder fror, konnte man darauf Schlittschuh laufen“, erinnert sich der 94-Jährige. Im Sommer hielten sich nicht nur Kinder gerne draußen auf. „Die meisten Leute hatten kein Radio, Fernseher gab es noch nicht. Abends saßen die Nachbarn zusammen draußen und unterhielten sich, die Frauen mit Strick–strumpf“, weiß seine Frau. „Man hat sich gegenseitig geholfen und vertraut, die Hoftore standen immer offen. Und weil in der Kronenstraße noch niemand ein Auto hatte, konnte man die komplette Straße zum Feiern nutzen. Bei Hochzeiten wurden einfach die Esstische rausgestellt.“
Werbung mit dem Beiwagen
Doch mancher Alt-Feudenheimer war schon motorisiert. „Mein Cousin Karl arbeitete beim Motorradbauer Zeiss und Schwärzel und ist selbst Motorrad gefahren. Er machte ständig Werbung dafür und ließ Leute im Beiwagen mitfahren“, so Walter Hildenbrand, gelernter Werkzeugmacher. Ein weiteres Foto zeigt Gerlinde mitten auf der Kronenstraße mit einem Schäferhund: „Das ist der Nachbarshund Harro, den habe ich Gassi geführt und damit 20 Pfennig verdient.“ Und natürlich hatten die Kinder das Universalspielzeug, mit dem noch bis in die 70er Jahre gespielt wurde: Klicker, Murmeln. Die aus Ton waren üblich, die aus Glas etwas Besonderes. „Der Nachbarsbub Helmut hat mir immer meine Glasklicker geklaut, meine Oma hat sie zurückgeholt. Jeden Abend. Wenn die Nachbarn meine Oma kommen sahen, riefen sie: Oh liewer Gott, die Anna kummt widder!“
Besonders abenteuerlich fand Gerlinde es, die weniger gut situierten Nachbarn zu besuchen, die sieben Kinder hatten. „Sie haben auf Strohsäcken geschlafen und hatten karierte Bettwäsche, da wollte ich übernachten. Bei uns gab es nur weiße. Die Kinder hatten wenig Kleidung, sodass meine Mutter meiner Freundin mal ein Dirndl genäht hat“, sagt Gerlinde Hildenbrand, gelernte Verkäuferin. Auch wenn Gerlinde und Walter so nah beieinander wohnten, lernten sie sich doch erst 1949 näher kennen – bei einer Tanzveranstaltung im Badischen Hof. 1951 heirateten sie.
Kleine Läden in der Nachbarschaft
Noch lange in der Nachkriegszeit gab es in Alt-Feudenheim viele kleine Geschäfte wie Bäcker, Metzger, Milchgeschäfte und Tante-Emma-Läden, sodass man praktisch nicht sein Viertel verlassen musste, um sich zu versorgen. „Wir gehen zur Beta“, hieß es da, wenn man mal kurz mit dem Einkaufskorb loszog. Da bei den kleinen Geschäften der Verkaufsraum fast ein Privatraum war, hatten die Geschäfte lange geöffnet. „Der Besitzer schloss erst ab, wenn er zu Bett ging.“
Der gesellschaftliche Wandel sei gekommen, als immer mehr Leute von außerhalb zuzogen, die keinen Kontakt zu den alten Einwohnern suchten. Außerdem schlossen die kleinen Geschäfte nach und nach, da Supermärkte Einzug hielten. Dennoch: Ihr Viertel hat viel vom Charme früherer Tage bewahrt, und die Hildenbrands leben gerne hier. Ein Relikt aus dem 18. Jahrhundert haben sie vor dem Untergang bewahrt: den alten Brunnen, der beim Hausabriss in der Nachbarschaft fast übersehen worden wäre. „Das Joch haben wir vom Steinmetz nachmachen lassen, das war schon weg“, sagt Walter Hildenbrand. Nun steht der Brunnen vor dem Haus und erinnert an alte Zeiten im Viertel.
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