Ludwigshafen. Alles ist eingehüllt in Plastik. Die Fenster ihrer Wohnung, der Tisch, an dem sie sitzt, der Apfel, den sie isst und ebenso die junge Frau selbst, die in dem Kurzfilm „Nuthouse Blues“ zu sehen ist. Auch dann, wenn sie sich durchs Wasser oder durch die Natur bewegt, bildet Plastikfolie eine Haut über ihrer Haut - eine Barriere, die den Menschen von der Außenwelt abschirmt: Laura Bäcker hat diesen eindrücklichen Filmbeitrag gedreht, mit dem sie am Ende den ersten Preis des „Konsum“-Wettbewerbs beim Videokunstfestival der Mannheimer Initiative Industrietempel im Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk (GML) gewinnt - der damit gleichsam „hier an die Region geht“, wie Thomas Reutter vom Industrietempel bei der Verkündung sagt. „Ich freue mich natürlich sehr“, erklärt die 29-Jährige aus Waldsee unmittelbar nach der Publikumsabstimmung, die ihr den mit 800 Euro dotierten ersten Platz beschert. Sie studiert an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden Media Conception and Production, mittlerweile im sechsten Semester - der Film war eine Projektarbeit im ersten Semester gewesen. Zugleich sei es vor allem die Fotografie, der sie sich seit 15 Jahren widme, und wo sie auch noch weiter in den künstlerischen Bereich gehen will, erzählt sie.
Die Preisträger
- Seit 1989 verwandelt der Mannheimer Verein Industrietempel vor allem Anlagen des Industriezeitalters in „Tempel der Kultur“.
- Die Videofestival-Preisträger im Wettbewerb zum Thema „Konsum“: Laura Bäcker (Deutschland) mit „Nuthouse Blues“ (1. Preis, 800 Euro), Michael Spahr (Schweiz) mit „Human Nature$“ (2. Preis, 500 Euro), Beate Gördes (Deutschland), „Ad attac (retro)“ (3. Preis, 300 Euro).
- Die Trophäen im offenen Wettbewerb: Deborah Kelly (Australien) mit „For Creation“ (1. Platz), Isa Stein (Österreich) mit „Snow“ (2. Platz) und das Duo Bigler Weibel (Schweiz) mit „Formfleisch“ (3. Platz).
Insgesamt habe es 95 Einreichungen gegeben, berichtet Thomas Reutter eingangs: Aus Deutschland, der Schweiz, aus Österreich, Slowenien, den USA und Australien. In der „Konsum“-Kategorie wird eine Auswahl von zehn Videos gezeigt, im zweiten, offenen Wettbewerb ohne thematische Vorgabe sind es sechs. Hier erhält nach Auszählung der Stimmen der rund 120 Besucherinnen und Besucher Deborah Kelly aus Australien mit ihrer kunstvoll animierten Collage „For Creation“ den - nicht dotierten - Industrietempel-Award in Gold.
Greifarm im Sondereinsatz
Die Initiative veranstaltet seit über 30 Jahren „außergewöhnliche Projekte für außergewöhnliche Orte“. Und auch hier ist der Ort selbst, die Kulisse des Müllheizkraftwerks, ein essenzieller Teil des Ereignisses: Das Festival findet in der Entladehalle statt, die zentrale Leinwand befindet sich direkt neben einem der Tore, die zum Müllbunker führen. Dort ist der gigantische Greifarm, der das antransportierte Gut in den Heizkessel verlädt, im Sondereinsatz: Ein imposanter Anblick! „Das hier ist sozusagen das Ende allen Konsums“, merkt Reutter an. Drei weitere Beamer werfen Projektionen an die Lamellenblech-Wände, zwei von ihnen ruhen auf Gabelstaplern. In Form einer Ausstellung laufen dort, um die Wettbewerbe herum, weitere Filme.
Es gibt abstrakte, collagenhafte und assoziative Arbeiten, wie Isa Steins wunderbar choreografiertes Werk „Snow“, in dem eine Frau mit ihrem Haar in den Schnee malt. Ebenso finden sich konkrete, erzählerische Filme wie Michael Spahrs „Human Nature$“-Animation, in dem eine unberührte Landschaft erst dem kommerziellen Ausverkauf anheimfällt, dann als trostlose Einöde zurückbleibt.
Zweite Zusammenarbeit nach 2018
Das Festival markiert die zweite Zusammenarbeit zwischen Industrietempel und GML - die erste war „Die Apologeten des Wachstums“ im Jahr 2018, eine Videoinstallation zu Konsumverhalten und Abfallvermeidung. Die GML hat nicht nur die mit 800, 500 und 300 Euro dotierten Preise, sondern auch die Technik für das Videokunstfestival gesponsort. Warum er ein solches Projekt unterstützt? „Weil wir am Ende der Wertschöpfungskette stehen und bei uns die Abfälle von einer Million Menschen ankommen“, erläutert Thomas Grommes, Geschäftsführer der GML (Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk Ludwigshafen GmbH). Es sei nicht die GML, die diesen Abfall vermeiden könne - das vermögen nur wir Verursacher. „Wir können dann nur noch möglichst viel Strom und Fernwärme draus machen, zusammen mit den Kollegen der TWL“, führt Grommes aus. „Und deshalb gehen wir in unserer Öffentlichkeitsarbeit und in unserer Umweltbildung immer mehr diesen Schritt, dass wir Menschen versuchen, mit diesem Thema zu beschäftigen.“ Dieser Abend jedenfalls bildet ein formidables Beispiel dafür, wie auch die Kunst Bewusstsein für persönliche Verantwortung schaffen kann.
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