Ludwigshafen. Das Kultur-Café „Franz & Lissy“ schließt in Bälde seine Pforten. Die herausfordernde Situation aufgrund der Pandemie sowie die nicht erteilte Erlaubnis zur Außenbestuhlung hätten letztendlich das Aus besiegelt, erklärt Geschäftsführerin Eleonore Hefner. Für Helmut van der Buchholz (kl. Bild), als bildender Künstler und Performer weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, war das nahende Ende des kultigen Cafés in der Lisztstraße Anlass genug, sich mit dem „Verschwinden“ im Allgemeinen auseinanderzusetzen – und dies bei einer „Abschiedsveranstaltung“ zu diskutieren.
Eine gute Handvoll Gäste zog es an den Schützenplatz, wobei jeder seine persönlichen Assoziationen zum Thema im Gepäck hatte. Für Ulli Thul ist das Verschwinden gerade in Ludwigshafen ein allgegenwärtiger Begleiter. „Ob Friedrich-Engelhorn-Hochhaus, Rathaus-Center oder die Hochstraße – ständig müssen markante Bauwerke weichen“, sagt der Maler und Zeichner, der im Alten Umspannwerk sein Atelier hat. Auch in der Innenstadt kämen viele kleinere Läden abhanden. Das Auf und Ab sei in der vielgescholtenen Chemiestadt derart ausgeprägt, dass sie sich alle fünf bis zehn Jahre quasi „neu erfinden“ müsse – was jedoch recht gut gelinge. „Ludwigshafen ist insgesamt bunter geworden“, stellt Thul fest. Vielfältiger, spannender, auch multikultureller gehe es zu. 140 Nationen hätten am Rhein ihr Zuhause, das Zusammenleben funktioniere. Wenn man offen auf die Leute zugehe, komme man schnell ins Gespräch.
Wegfall von Bezugspunkten
So scheint nach den Erfahrungen des Mundenheimer Grafikers tatsächlich jedem Anfang auch in Ludwigshafen ein Zauber innezuwohnen – eine Hoffnung, die Helmut van der Buchholz im Vorfeld der Veranstaltung geäußert hatte. Für den Initiator des „Abschieds-Events“ weist das Verschwinden eine ähnlich große Vielfalt auf wie die Kunst, die er betreibt: Van der Buchholz ist Maler, Architekt, Aktivist, Performer – und „Kunst-Vizeweltmeister“. Bei internationalen Wettkämpfen misst sich der 61-Jährige mit Kreativen aus Deutschland, der Schweiz und den USA. Die zweite der vier Weltmeisterschaften hat er gewonnen.
Derzeit verliere man in Ludwigshafen ständig etwas, das man ins Herz geschlossen habe. „Die Tortenschachtel ist weg, der Kaufhof ist weg, das Kulturdepot ist weg, die Hochstraße Süd ist weg, das Konzert unter den Brücken ist weg“, beklagt der Organisator des Atelierabends. Die erste persönliche Erfahrung mit dem Verlust von Bewährtem hat van der Buchholz als Neunjähriger gemacht: „Auf dem Bus zum Gymnasium stand plötzlich ‚Pfalzbau‘, der ‚Alte Pfalzbau‘ war gerade verschwunden.“ Eingeprägt hat sich auch das gemeinsame Fußballschauen während der WM 1978. Die Kneipe befand sich neben jener Baustelle, an der das Rathaus-Center entstand – ein Gebäude, das jetzt schon wieder abhandenkommt. Die Vielzahl an Verlust-Erfahrungen hat den Bildenden Künstler zu folgender Erkenntnis gebracht: „In Ludwigshafen sollte man nichts Liebgewonnenes als Wahrzeichen sehen – sonst ist es bald wieder weg!“
Auf einen völlig anderen Aspekt macht Eleonore Hefner aufmerksam. „Mich ängstigt das Verschwinden der Öffentlichkeit“, bekennt die Café-Betreiberin. Corona-bedingt habe sich eine veränderte Form der öffentlichen Debatte entwickelt – sofern sie überhaupt stattfinde. Zwar seien die technischen Möglichkeiten des Dialogs hergestellt, doch könnten virtuelle Meetings nicht an persönliche Begegnungen heranreichen. Als wichtigen Begegnungspunkt nennt Hefner exemplarisch das Rathaus-Center, das für die italienische Community zu einer Art „Piazza“ geworden sei.
Was kann man gegen das Verschwinden solcher Bezugspunkte ausrichten? „Jeder Einzelne ist gefordert“, sind sich die Organisationen der Diskussionsrunde einig. Ideen müsse man wieder verstärkt im Rahmen einer persönlichen Zusammenkunft austauschen, was zugegebenermaßen schwierig sei.
Für das „Franz & Lissy“, dessen Schließung von allen Beteiligten als herber Verlust empfunden wird, ist ein neuer Anfang in Sicht. Die Verträge mit den Nachmietern werden bald unterzeichnet. Dann dürfte aber das leibliche Wohl im Vordergrund stehen: Angedacht ist eine Nutzung als Eiscafé oder Imbiss.
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