Parteipolitik

SPD-Austritt von Ludwigshafener OB "herber Verlust"

Von 
Ira Schaible, dpa
Lesedauer: 

Ludwigshafen/Mainz. Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck nannte ihren Austritt aus der SPD zunächst "eine persönliche Entscheidung". Zwei Tage später holte die 60-Jährige dann aber doch zu einer harschen Kritik an ihrer Partei aus - zunächst im SWR, und einen Tag später auf ihrer Facebook-Seite. Inhaltlich geht es bei ihrem "Weckruf" vor allem um Finanz- und Bildungspolitik.

Nach Steinrucks Abgang ist die Situation insgesamt für die größte Regierungspartei im Land "nicht einfach", stellt der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur fest. Die Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève sagt: "Für die SPD ist dieser Rücktritt ein herber Verlust." Bürgermeisterinnen und Bürgermeister spielten in der direkten Kommunikation mit den Menschen eine zentrale Rolle.

Negative überwiegen positive Ereignisse

"Im Moment überwiegen die negativen Ereignisse die positiven für die Partei deutlich", sagt Jun. Nach der Landeshauptstadt Mainz haben die Sozialdemokraten jetzt auch den OB-Posten in der zweitgrößten Stadt des Landes verloren. Nach dem Wechsel des früheren Mainzer OB Michael Ebling (SPD) in das Innenministerium hatte der parteilose Nino Haase im März die Stichwahl gewonnen. Damit gab die SPD diesen Posten erstmals seit 1949 aus der Hand. "Die SPD hatte erst die Niederlage in Mainz, dann wurde sie zwei Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal noch einmal daran erinnert und jetzt kommt der Austritt in Ludwigshafen", fasst Jun zusammen.

Der Wissenschaftler geht aber davon aus, dass Steinrucks Entscheidung "eher eine Ausnahme" bleiben wird. "Eine gewisse Frustration der Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte gegenüber der Bundes- und Landespolitik" ist nach Juns Worten zwar "nachvollziehbar". Das habe Steinruck auch zum Ausdruck gebracht. "Viele Bürgermeister und Landräte wüssten aber auch, dass sie ihre politische Laufbahn mit der Partei verbunden sei. "Da zögert man dann in der Regel doch sehr lange, bevor man solch einen Schritt unternimmt, wie ihn Frau Steinruck jetzt vollzogen hat."

"Ihr Austritt aus der SPD wird weder ihr noch Ludwigshafen helfen, die großen Herausforderungen der Stadt besser zu lösen", sagt der Generalsekretär der SPD, Marc Ruland. Die größte Fraktion im Stadtrat werde "weiterhin ihre Verantwortung wahrnehmen".

Perspektiven für Steinruck

Ob Steinruck als unabhängige Kandidatin eine Chance habe, die nächste OB-Wahl für sich zu entscheiden sei noch nicht abzusehen, sagt de Nève. "Dies wird wesentlich davon abhängen, ob es ihr in den kommenden Monaten gelingen wird, im Stadtrat Mehrheiten für ihre Projekte zu reorganisieren". Inzwischen gebe es viele parteiunabhängige Bürgermeister im Amt. "Nun also auch in Ludwigshafen."

Sie verstehe ihren Austritt als Weckruf für die SPD in Bund und Land, schreibt Steinruck auf Facebook. "Meine SPD, wie ich sie vor fast 30 Jahren kennengelernt habe, hat alles bis zu den Menschen vor Ort gedacht." Sie habe zugehört, hingeschaut, erklärt, soziale Folgen von Entscheidungen abgefedert und Wirtschafts- und Industriepolitik als lokale Arbeitsmarktpolitik verstanden. "Doch das alles hat sich geändert."

Mit ihrer Kritik an den Veränderungen der SPD in den vergangenen 30 Jahren "verkläre" Steinruck die Zeit, sagt Wissenschaftler Jun. "Die SPD ist doch in den letzten Jahren eher zu ihren Wurzeln zurückgekehrt", sagt der Wissenschaftler. "Zumindest hat sie in den letzten Jahren doch etwa mit dem Mindestlohn und der Rentenversicherung wieder stärker sozialpolitische Aspekte in den Vordergrund gerückt." Und als Steinruck 1996 in die Partei eintrat, "kamen relativ schnell die Agenda 2010 und sozialpolitische Sparmaßnahmen".

Die SPD von damals gebe es tatsächlich nicht mehr, sagt de Nève. Die Zahl der Mitglieder habe sich seit Beginn der 1990er Jahre halbiert - ähnlich sei die Lage in der CDU. "Die Mitglieder haben an Bedeutung verloren." Strategisch orientierten sich die Parteien inzwischen an den Einstellungen und Präferenzen ihrer Wähler.

Kommunen fühlen sich alleingelassen

Jun stellt aber auch fest: "Die Kommunen fühlen sich in vielerlei Hinsicht alleingelassen, sowohl von der Landes- als auch von der Bundespolitik. Weil die Finanzausstattung der Kommunen - aus Sicht vieler Kommunen - nicht mithalten kann mit den Ausgaben." "Viele Ausgaben werden ihnen aufoktroyiert - wie etwa bei der Aufnahme von Migrantinnen und Migranten - und es erfolgt aus ihrer Sicht keine ausreichende finanzielle Kompensation."

"Dazu kommen Bildungsfragen. Die Kommunen sehen sich vor Herausforderungen, was die Vielfalt in den Schulen betrifft, aber sehen nicht die dafür nötige Ausstattung", sagt Jun. "Die rheinland-pfälzischen Kommunen sind wegen der hohen Verschuldung besonders betroffen. Viele der am höchsten verschuldeten Kommunen in Deutschland liegen in Rheinland-Pfalz."

De Nève kann die Unzufriedenheit vieler Bürgermeister ebenfalls nachvollziehen. "Viele Kommunen sind in einer prekären Situation." In Ludwigshafen sei dazu noch ein Konflikt der OB mit ihrer Stadtratsfraktion gekommen. Dabei ging es unter anderem um eine Sparliste, bei deren Vorlage sich die Fraktion überfahren fühlte. Steinruck hatte sich anschließend entschuldigt.

Politologe Norbert Kersting aus Münster sagt: "Man merkt, dass die Finanzlage der Kommunen sich aufgrund gestiegener Zinsen wieder verschlechtert. Das schürt Verteilungskonflikte." Er warnt davor, Parteiaustritte von Bürgermeistern zu überbewerten. "Auf der lokalen Ebene spielen oft zwischenmenschliche Konflikte innerhalb der Partei eine Rolle." Zudem müssten Oberbürgermeister, wenn sie gewählt werden wollten, über die Parteigrenzen hinweg denken und auch für andere Lager wählbar sein. "Dafür gibt es zunehmend Beispiele." Einige überschätzten sich dabei aber auch und unterschätzen die notwendige Unterstützung der eigenen Partei im Wahlkampf.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen