Interview

NTM-Sänger Zielke über die neue Opernaufführung: „Boris menschlicher als Putin“

Bassist Patrick Zielke spricht über die Titelpartie der Oper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgski, mit der das Nationaltheater Mannheim am Sonntag seine zweite große Premierenproduktion im Pfalzbau vorstellt

Von 
Uwe Rauschelbach
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Volle Bühne bei der Mussorgski-Oper „Boris Godunow“: Neben den Solisten wirken der Opernchor des Nationaltheaters (Bild) sowie ein Extrachor mit. © Christian Kleiner

Mannheim. Patrick Zielke, Ensemblemitglied des Nationaltheaters, singt die Titelpartie in Modest Mussorgskis Oper „Boris Godunow“, die am Sonntag im Pfalzbau Ludwigshafen unter der Leitung von Roberto Rizzi Brignoli Premiere hat. Die Regie führt Lorenzo Fioroni. Zielke spricht im Interview über die Herausforderungen der Tragödie über einen russischen Herrscher.

Herr Zielke, Sie haben viel Wagner gesungen. Was hat Mussorgski, was Wagner nicht hat?

Patrick Zielke: Beide haben strikt nach dem Text komponiert. Aber neben seiner Modernität unterscheidet Mussorgski von Wagner vor allem die Sprache. Ich habe lange gebraucht, bis mein Russisch gut genug war. In der italienischen Oper hat man als Sänger hingegen einen gewissen Grundwortschatz. Für die Rolle des Boris Godunow werde ich seit April von einem Sprachcoach unterrichtet.

Patrick Zielke debütiert in Mussorgskis „Boris Godunow“

  • Die Oper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgski ist vom 28. Januar bis 11. Februar im Ludwigshafener Pfalzbau zu sehen. Neben den Gesangssolisten wirken der Opern- und der Extrachor sowie das Orchester des Mannheimer Nationaltheaters mit.
  • Patrick Zielke (41), der die Titelpartie singt, gehört seit der Spielzeit 2017/18 als festes Ensemblemitglied zum Nationaltheater. Sein Debüt in Mannheim gab er unter anderem als Baron Ochs in Richard Strauss’ „Der Rosenkavalier“.
  • Zielke hat an der Musikhochschule Stuttgart studiert und war Stipendiat der Richard-Wagner-Gesellschaft. Er ist Preisträger mehrerer Gesangswettbewerbe.
  • Von 2013 bis 2017 gehörte Zielke dem Ensemble des Theaters Bremen an. Bekannt wurde er mit seinem Rollendebüt als Gurnemanz in Wagners „Parsifal“ und als Gianni Schicchi in Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper.
  • Weitere Informationen: nationaltheater-mannheim.de.

Wo ordnen Sie die Partie in Ihrem Repertoire ein?

Zielke: Ich habe mit 41 Jahren fast schon alles gesungen, was es für einen Bassisten gibt. Insofern ist der Boris eine besondere Rolle für mich. Man bekommt nur selten die Gelegenheit, sie zu singen. In dieser Oper steht die Handlungsebene nicht im Vordergrund; daher gibt es relativ wenige Möglichkeiten, sich in Interaktionen als Sänger zu profilieren. Ich würde mir deshalb eigentlich noch zusätzlich zwei Szenen wünschen, um die Figur deutlicher charakterisieren zu können.

Das heißt, Sie legen die inneren Prozesse Godunows vor allem in die Stimme.

Zielke: Ja, man muss sehr stark mit Klang- und Stimmfarben arbeiten. Bei Wagner habe ich viel mehr Zeit, um eine Figur zu entwickeln. Bei Mussorgski geht alles schneller, das Libretto hat auch eher tableauhafte, durchaus abrupte Verläufe.

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Wie gehen Sie damit um, dass das historisch ins 16. Jahrhundert zurückreichende Thema einer russischen Gewaltherrschaft notgedrungen Fragen nach der Aktualität dieser Oper provoziert?

Zielke: Solche Bezüge gehen einem natürlich fortwährend durch den Kopf. Aber Boris Godunow ist in erster Linie eine Choroper, in der das Volk eine große Macht hat, während der Usurpator am Ende untergeht. Ein solches Ende würde ich in der Realität natürlich allen unterdrückten Völkern wünschen. Mussorgski ist politisch sehr fortschrittlich und demokratisch eingestellt; kein Wunder, dass die Oper in Russland nach einigen Aufführungen verboten wurde.

Boris Godunow ist nicht der Prototyp eines Diktators, wie man ihn jetzt bei Putin realisiert sieht, oder?

Zielke: Nein. Boris ist in seiner Gebrochenheit und in seinem Scheitern viel menschlicher als uns Putin erscheint. Die Gesangspartien statten ihn auch mit warmen und sanften Züge aus. Ihm wird der Mord an einem Kind vorgeworfen, doch am Ende wird ersichtlich, dass dieser Vorwurf unberechtigt war. Godunows Ende ist durchaus anrührend. Er geht an ungelösten Schuldkonflikten zugrunde. Ich bin da persönlich auch noch gar nicht fertig, wie ich diese schillernde Persönlichkeit wirklich verstehen und darstellen soll.

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Ist man in der Rolle des Godunow eher als Teamplayer gefragt denn als solistischer Darsteller?

Zielke: Ja, das ist ein guter Vergleich. Ich bin es eher gewohnt, mit 200 Prozent Energie und vielen Interaktionen auf der Bühne zu stehen. Das liegt mir, weil ich ein lebhaftes Temperament habe. Bei Mussorgski werde ich eher Aufmerksamkeit erregen durch die tiefen Narben auf dem bloßen Oberkörper, die ich zwei Stunden lang in der Maske aufgeklebt bekomme. Ich glaube, dieser Prozedur würden sich nicht viele Sänger unterziehen. Wenn’s um die Kunst geht, stelle ich mich aber gerne in den Dienst der Sache. Mir ist es auch wichtig, dass sich die Zuschauer gut unterhalten fühlen. Eine Partie ordentlich zu singen – das kann jeder. Das Publikum auch darstellerisch zu fesseln, ist schwieriger.

Woanders werden Werke russischer Komponisten nicht mehr aufgeführt. Wie sehen Sie das?

Zielke: Anders. Doch es gibt noch Karten für die Premiere. Ob es am Komponisten liegt? Mussorgski kann für den Krieg Putins gegen die Ukraine allerdings nichts. Wer heute die Streichung von Werken russischer Künstler fordert, macht es sich zu einfach. Wie wollen wir denn mit Wagner umgehen, der nachgewiesenermaßen antisemitische Einstellungen hatte? Seine musikalischen Dramen vom Spielplan nehmen? Da müssten wir bei einigen anderen Komponisten ebenso genauer hinschauen. Doch was würden wir damit wirklich ausrichten?

Wie gut oder weniger gut eignet sich der Pfalzbau in Ludwigshafen für eine solche Opernaufführung?

Zielke: Ich finde, das Theater ist dafür gut geeignet. Die Infrastruktur hinter der Bühne ist nicht so gut wie in unserem Spielhaus, das verlangt Abstriche machen, was die Sammelumkleide und die alten Duschanlagen betrifft. Aber viel wichtiger ist doch, dass das Mannheimer Nationaltheater alle Künstler während des Umbaus weiter beschäftigt. Wir haben einen Traumjob. Da muss man sich nicht über die Duschen beschweren.

Wie viele Aufführungen singen Sie?

Zielke: Ich stehe bei allen acht Aufführungen auf der Bühne. Es macht mir einen Riesenspaß und gibt mir sehr viel. Die meisten anderen Opernrollen habe ich inzwischen schon mehrfach gesungen. Dabei gäbe es noch viele Opern zu entdecken, die leider keine Beachtung mehr finden, zum Beispiel Carl Orffs „Die Kluge“. Die wird kaum noch aufgeführt. Schade eigentlich.

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