Frankenthal. Sichtlich guter Dinge betrat der Angeklagte den Gerichtssaal. 20 Angehörige und Freunde sorgten für ein volles Haus und mentale Unterstützung. Auch eine Umarmung durch die Ehefrau wurde dem 35-Jährigen aus Neustadt gewährt. Die anfangs angelegten Handschellen vermochten das Bild nur wenig zu trüben. Gefragt nach seinem letzten Wohnsitz in Freiheit, benötigte der mutmaßliche Dealer einige Bedenkzeit: „Ist ja schon länger her“, erklärte der sportliche Mann und hatte die Lacher auf seiner Seite – nicht zum einzigen Mal im Laufe eines bemerkenswerten ersten Prozesstags vor dem Landgericht Frankenthal.
Alle Lockerheit konnte die Schwere der angeklagten Taten aber nicht überdecken. Zwischen April 2020 und November 2021 soll der Pfälzer in insgesamt zehn Fällen unerlaubt Handel mit Betäubungsmitteln betrieben haben. Die ihm zur Last gelegte „nicht geringe Menge“ bemisst sich auf immerhin 150 Kilogramm Amphetamine, knapp zehn Kilogramm Marihuana und mehr als 100 Gramm Kokain. Der Marktwert der für den Weiterverkauf bestimmten Drogen wird auf mehrere Zehntausend Euro geschätzt. Die Amphetamine soll der 35-Jährige dabei selbst hergestellt haben, entsprechende Erfahrung war laut Staatsanwalt Daniel Otto vorhanden. Die Grundstoffe hätten drei weitere Personen in den Niederlanden besorgt, gegen die gesonderte Verfahren laufen. In den Tagen ab dem 12. April 2020 sei der Stoff „von guter Qualität“ dann an den Mann gelangt.
In den übrigen Fällen kommt moderne Technologie ins Spiel: „EncroChat“ heißt der Online-Dienstleister, mit dessen Hilfe der einschlägig vorbestrafte Mann mehrfach Marihuana im Kilogramm-Bereich geordert haben soll. Das Netzwerk ermöglichte eine verschlüsselte Kommunikation, verwendet wurden spezielle Android-Handys. Bei der Organisierten Kriminalität erfreute sich das System großer Beliebtheit.
Drogen im „Bunker“
Der „schwunghafte Handel“ in der Vorderpfalz endete am 30. November 2021. Sowohl in der Wohnung als auch in einem speziellen „Bunker“ des Angeklagten habe man Drogen gefunden, so die Ermittler, 87 Gramm Kokain füllten eine Bauchtasche. Dass der 35-Jährige die Vorwürfe letztendlich „im Wesentlichen“ einräumte, war die Konsequenz aus einem Rechtsgespräch. Für den Fall eines Geständnisses hatte Richterin Mirtha Hütt eine Freiheitsstrafe zwischen sieben und acht Jahren in Aussicht gestellt – ein Rahmen, mit dem Staatsanwaltschaft wie Verteidigung leben konnten. Daran, dass die Chatverläufe gerichtlich verwertbar sein würden, bestanden aufgrund des erheblichen Tatvorwurfs wenig Zweifel. Drei Senate des Bundesgerichtshofs haben „EncroChat“-Protokolle als Beweismittel bisher zugelassen.
Konkrete Zukunftspläne
Auch wenn der Angeklagte einer langen Freiheitsstrafe entgegensieht, so hat er konkrete Zukunftspläne. Die Ausbildung zum Zimmerer möchte er in der JVA Wittlich vollenden – es fehlt nur noch die Abschlussprüfung. Profitieren wird der Familienvater zudem von einem „Härteausgleich“. Weil er nach dem Tatzeitraum zwei weitere Ersatzfreiheitsstrafen verbüßt hat, wird ein Teil der Haftzeit auf das Strafmaß angerechnet. Mehrere Monate werden ihm dadurch erlassen. Auch ist der Mann zu einer erneuten Therapie bereit, um seine Drogensucht in den Griff zu bekommen – Amphetamine habe er stets in hohem Maße konsumiert. Zumindest mit einer anderen Substanz scheint der 35-Jährige weniger ein Problem zu haben. Auf die Frage, ob Alkohol schon einmal „eine größere Rolle in seinem Leben“ gespielt habe, entgegnete der Neustadter: „Wir leben hier in einer Weinbauregion!“ Das Verfahren wird am 3. November um 9 Uhr fortgesetzt.
EncroChat
EncroChat war ein europaweit tätiger Kommunikationsdienstleister. Zum Angebot zählten technische Lösungen für verschlüsselte Instantmessenger und Endgeräte. Beim Austausch via EncroChat wurden modifizierte Android-Handys verwendet.
Das System war beliebt bei Mitgliedern der Organisierten Kriminalität zur Planung und Durchführung von Straftaten.
Im März 2020 leitete Europol ein Ermittlungsverfahren ein und infiltrierte das Netzwerk.
Zum Zeitpunkt seiner Schließung hatte EncroChat rund 60 000 Abonnenten. Gegen mehrere Tausend Nutzer wird allein in Deutschland ermittelt. Große Mengen verschiedenster Betäubungsmittel wurden sichergestellt. red
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