Ludwigshafen. Als am Abend des 5. September 1943 fünfhundert britische Kampfflugzeuge Kurs auf Ludwigshafen und Mannheim nehmen, befindet sich darunter auch die 149. Staffel der Royal Air Force. Während beim verheerendsten Angriff auf die Schwesterstädte am Boden 128 Menschen sterben, 580 verletzt und 50 000 obdachlos werden, verlieren die Alliierten 34 Maschinen und 174 Mann. Der rund um die beiden Großstädte aufgestellte Flak-Riegel ist in jener Nacht im Dauerbetrieb.
In einem der drei abgestürzten Flugzeuge aus der 149. Staffel sitzt Harry Barnard. Der englische Heckschütze, genannt „Barney“, hat den Einsatz als einziges Besatzungsmitglied überlebt. Seine Stirling EE872, der größte Bomber seiner Art, zerschellt nach einem Luftkampf mit Nachtjägern und Flak um 0.15 Uhr Ortszeit in einem Acker zwischen Rheingönheim und Maudach. Sechs Kameraden sterben. „Barnards Fallschirm hat sich gerade noch geöffnet“, erklärt Erik Wieman von der Interessengemeinschaft Heimatforschung Rheinland-Pfalz. Der 51-jährige Niederländer, der selbst Berufssoldat war, erforscht seit Jahren die Geschichte des Luftkriegs in der Region. 30 Absturzstellen alliierter und deutscher Flieger hat er bereits identifiziert.
2500 Trümmerteile gefunden
Dass das Schicksal des Stirling-Bombers überhaupt ans Tageslicht kam, ist Richard Braun zu verdanken. Der 2019 verstorbene Zeitzeuge und Luftkriegshistoriker hatte Wieman vor zweieinhalb Jahren den entscheidenden Hinweis gegeben, nachdem immer wieder Flugzeugteile an die Oberfläche gepflügt worden waren. So konnte die genaue Absturzstelle lokalisiert und mit gezielten Grabungen begonnen werden. Die erforderliche Genehmigung durch das Denkmalamt Speyer liegt inzwischen vor. 2500 teils nummerierte Flugzeugteile wurden auf einer Fläche von 200 mal 100 Metern zusammengetragen: Neben Überresten der Flugzeughaut, verschossenen Hülsen und Instrumententeilen tauchte ein „Jigger“ auf, ein 1920 patentiertes Multi-Tool aus englischer Produktion. „Kurz nach dem Absturz ist ein meterhohes Rad über die Meckenheimer Straße gerollt, die damals noch ein Feldweg war“, weiß Wieman aus dem Bericht des Zeitzeugen. Die großen Teile hat man sofort abtransportiert.
Airman Harry Barnard hatte, anders als seine Kameraden, Glück im Unglück: Nach seiner Fallschirm-Landung brachte man ihn ins Stalag Luft 3 nach Niederschlesien und später nach Westpommern. In diesen speziell für alliierte Luftwaffenangehörige eingerichteten Kriegsgefangenenlagern wurde er nach Angaben seines Sohns Graham gut behandelt. Per Feldpost informierte der Soldat die Angehörigen seiner gefallenen Kameraden. Noch vor Eintreffen der Roten Armee konnte sich Barnard absetzen, in die US-Zone durchschlagen und nach England zurückkehren, wo er in den 1970er Jahren verstarb.
Die Leichen der übrigen Crew wurden auf den Alliierten-Friedhof im bayerischen Durnbach überführt. Wie in mehreren der aufgeklärten Fälle möchte Wieman auch für die Besatzung der Stirling EE872 einen Gedenkstein nahe der Absturzstelle errichten, „zum Erinnern und Innehalten“. Weil es sich um Bürger verschiedener Commonwealth-Staaten handelte, werden bei der für 2022 geplanten Einweihung in Maudach Militärvertreter der beteiligten Nationen sowie der Bundeswehr erwartet. „Sehr respektvoll und freundschaftlich“ verliefen derartige Zusammenkünfte, erzählt Wieman.
Ein Höhepunkt wird die Begegnung mit den Nachfahren der damaligen Besatzung sein – sechs von sieben Familien hat der Heimatforscher schon erreicht. Besonders interessiert zeigten sich die Verwandten von Funker Adrian Douglas. Die Neuseeländer gehören zur indigenen Gruppe der Maori – und wollen nach Ludwigshafen kommen.
Die Interessengemeinschaft
- Die Interessengemeinschaft Heimatforschung Rheinland-Pfalz widmet sich der Spurensuche quer durch die Epochen, von der Bronzezeit bis zum Zweiten Weltkrieg.
- Ein Schwerpunkt der Grabungen liegt auf Fundstücken zum Luftkrieg. Heimatforscher Erik Wieman hat bisher rund 30 Absturzstellen deutscher und alliierter Weltkriegsmaschinen in der Region identifiziert.
- Zeitzeugen, die Angaben zu Absturzgeschehen im Zweiten Weltkrieg machen können, werden gebeten, sich bei Erik Wieman zu melden. Die Telefonnummer zur Kontaktaufnahme lautet: 0173/8241746.
- Weitere Informationen, insbesondere zu den bereits gefundenen Flugzeugen, gibt es im Internet unter www.ig-heimatforschung.de dtim
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