Ludwigshafen. Beat Fehlmann stapelt nicht gerade tief. Der umtriebige Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz rät zwar in Ludwigshafen: „Schnallen Sie sich an!“ Gibt also einen kleinen Warnhinweis. Vor allem aber schwärmt er, spricht von einem Höhepunkt bei „Modern Times“, dem vom Orchester ausgerichteten Saisoneröffnungsfestival. Und Fehlmann sagt gar: „Nur einmal im Leben“ habe man die Chance, bei so etwas dabei zu sein. Wovon erzählt er da im Pfalzbau? Es ist Olivier Messiaens „Turangalîla“-Sinfonie. Sie ist zehn Sätze lang und überhaupt in jeder Hinsicht überbordend. Das aus dem Sanskrit entlehnte Wort verbindet zweierlei: „Turanga“ (könnte man vielleicht mit „Vorwärtsdrängen“ übersetzen). Und natürlich „Lîla“: Liebe, Glück, Ekstase.
Dass die Chance, das mittlerweile 75 Jahre alte Mammutwerk zu hören, ziemlich selten lockt, liegt freilich nicht an irgendwelchen Schicksalsmächten, sondern hauptsächlich an den Besetzungsangaben des Komponisten. Schon die Schlagwerkgruppe ist ein eigenes Orchester, aufgestockt mit Vibrafon, Celestas und zwei Solo-Instrumenten. Bei den letzteren verblüffen die Ondes Martenot noch immer, ein vor 100 Jahren konstruierter Apparat. Er ist mit den modernen Synthesizern weitläufig verwandt, wie eine Art Cousine zweiten Grades. Doch sein Ton ist wahrhaft „penetrant“ und dringt durch alle Ritzen, selbst der dichtesten und lautesten Orchestertutti. Meist mit jaulenden Glissandi.
Thomas Bloch, ein ausgewiesener Experte für das Instrument, beweist das auch in Ludwigshafen. Der Franzose zelebriert den Sound des Retro-Futurismus – und lässt seine „Ondes“ (was ja nichts anderes als „Wellen“ heißt) bisweilen überirdisch seufzen. Dazu tritt der Pianist David Kadouch, dessen Klavierspiel in den ersten Sätzen eher obligat und eingebettet bleibt, danach jedoch in einigen Kadenzen eine exzessive, unerhörte Virtuosität erreicht. Auch wenn Kadouch selbst hier noch einen Rest von Understatement wahrt. Das muss man sich natürlich technisch leisten können. Der Franzose kann es.
Michael Francis wirkt bei alledem oft wie ein Schleusenwärter
Vom Orchesterspiel ist eher wenig Understatement zu vermelden, Bruitismen werden ungedeckelt in den Saal gedonnert. Doch das soll ja auch so sein, in ihrer rhythmischen Gewaltausübung will die Sinfonie sogar über Strawinskys „Sacre du printemps“ hinausgehen. Bei manchem Schlag der großen Trommel scheint ein ganzer Stern zu explodieren. Michael Francis, Chef der Staatsphilharmonie und Dirigent des Abends, wirkt bei alledem oft wie ein Schleusenwärter, der sich nicht vor hohen Wasserständen fürchtet – ein gewisses Gottvertrauen bei der Exegese von Messiaen ist nun mal unerlässlich. Francis zeigt indessen auch, dass diesem Wahnsinn und Exzess durchaus eine Methode innewohnt. Er gliedert plastisch die vier großen Themen-Blöcke, die die ganze Sinfonie durchziehen.
Plastisch ist vor allem auch das „Statuen-Thema“, das an die massive Strenge von Aztekentempeln denken lassen soll. Getragen von Posaunen-Stößen, die zu irgendeinem Strafgericht zu rufen scheinen. Wenn auch einem göttlichen. Die Sinfonie will zwar die Schönheit und die Liebe feiern, doch nicht nur an solchen Stellen denkt man auch an Rilke und die erste „Duineser Elegie“ mit der berühmten Aussage: „Das Schöne ist nur / des Schrecklichen Anfang.“
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