Ludwigshafen. Ein Ludwigshafener Schiedsrichter der „ersten Stunde“ in der Fußball-Bundesliga würde in dieser Saison 100 Jahre alt, der sich als Torhüter bei der damaligen Spielvereinigung Mundenheim erste Meriten verdiente: Edgar Deuschel (Spitzname: „Lassihn“), zu dessen spielerischen Qualitäten es gehörte, trotz seines Stammplatzes im Tor während des Spiels gelegentlich auf der Linksaußen-Position aufzutauchen und mit seinen Alleingängen die Gegner zu verwirren. „Lassihn“ Deuschel, der seinen Spitznamen erhielt wegen seiner lautstarken Befehle an seine Vorderleute, den Ball ihm zu überlassen, war der wohl bekannteste Sportler in der 1250-jährigen Geschichte des Stadtteils. Er wurde unter den Fußballfans bundesweit bekannt, weil er als Schiedsrichter der höchsten Klasse auch vor großen Namen keinerlei Scheu zeigte.
Am vierten Spieltag der neugegründeten Bundesliga bekam das am 14. September 1963 im Heimspiel seines MSV Duisburg gegen Hertha BSC Berlin (1:3) ausgerechnet einer der „Helden von Bern“ zu spüren: Nationalspieler Helmut Rahn, der 1954 im Berner WM-Endspiel Deutschland mit seinem Treffer zum 3:2 gegen Ungarn zum Weltmeisterschafts-Sieg geschossen hatte, erhielt als erster Profi der höchsten deutschen Spielklasse von Deuschel wegen Tätlichkeit (77.) einen Platzverweis. Der „Boss“, wie Rahn tituliert wurde, und 32 000 Zuschauer waren aus dem Häuschen. Doch Deuschel blieb gelassen und nahm die Entscheidung nicht – wie von den Rängen lautstark gefordert – zurück…
Der Mitarbeiter der Ludwigshafener Stadtverwaltung, der in seiner Bundesliga-Karriere insgesamt 53 Begegnungen in den ersten sechs Spielzeiten leitete, galt auch später als unerschrockener Unparteiischer ohne Respekt vor großen Namen. Insgesamt fünf Platzverweise verhängte Deuschel zwischen 1963 und 1969 – und jeder hatte seine eigene „Geschichte“. Nächstes „Deuschel-Opfer“ war am 3. April 1965 beim 3:2-Sieg des 1. FC Köln beim TSV 1860 München schon nach 25 Minuten Nationalspieler Wolfgang Overath, dessen Temperament mit ihm durchgegangen war.
Knapp zwei Jahre später sorgte Deuschel erneut für eine „Premiere“. Beim 2:2-Unentschieden zwischen Fortuna Düsseldorf und dem 1. FC Nürnberg schickte der Mundenheimer nach 28 Minuten gleich zwei Spieler vorzeitig in die Kabinen, die hitzig aneinander geraten waren: Den Düsseldorfer Waldemar Gerhardt und den Nürnberger Roland Wabra. Der Franke war der erste Torhüter der Bundesliga, der einen Platzverweis erhielt – von Deuschel.
Dessen Platzverweis Nummer fünf hatte für Außenstehende nach Bekanntwerden der Umstände eine eher humoristische Note. Der Schiedsrichter fragte am 30. Oktober 1968 im HSV-Spiel gegen den TSV 1860 München den bundesweit bekannten Nationalspieler „Charly Dörfel“ (Hamburger SV) formell nach seinem Namen, um ihm wegen einer Unsportlichkeit in der 78. Minute zu verwarnen zu zeigen. Der als Spaßmacher bekannte Dörfel sagte „Karl Müller“.
Deuschel stutzte einen Augenblick, dann sprach er ungerührt den Platzverweis aus und begründete ihn mit den Worten: „Müller? Der Name steht nicht auf meinem Spielberichtsbogen – Sie können duschen gehen…“ Dörfel ging.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ludwigshafen_artikel,-ludwigshafen-der-erste-platzverweis-fuer-helmut-rahn-_arid,1667246.html