Ludwigshafen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Tage hat Verdi-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Knoll mit 700 oder 800 Demonstrierenden gerechnet. Die Bereitschaft und der Unmut seien zu greifen, hat er im Vorfeld gesagt. Als der lärmende Zug dann durch die Ludwigshafener Jägerstraße zieht und ein Ende nicht absehbar ist, wird klar: Erheblich mehr Beschäftigte sind an diesem kalten Mittwochvormittag auf Ludwigshafener Straßen für einen großen Schluck mehr aus der Pulle unterwegs. Die Polizei spricht von 1000, die Veranstalter von 1200 Streikenden, die aus der ganzen Vorderpfalz nach Ludwigshafen zu Demonstrationszug und Protestkundgebung auf dem Berliner Platz gekommen sind. Eine Demonstrantin hält ein Schild mit der Aufschrift „Applaus war gestern - heute ist Zahltag“ in die Höhe - Anspielung auf die ideelle Unterstützung vor allem des Klinikpersonals in den Hochzeiten der Pandemie.
Unmut ist groß
Doch jetzt soll es endlich wieder einen ordentlichen Nachschlag beim Gehalt geben: 10,5 Prozent mehr, mindestens aber 500 Euro lautet die Forderung, mit der die Gewerkschaft Verdi in die Verhandlungen gegangen ist. Der Unmut der Menge ist groß, weil die Verhandlungsseite der Arbeitgeber in der ersten Runde erst gar kein Angebot abgegeben hat. Ja, 10, 5 Prozent klinge erstmal viel, sagt Alessandra Sibio, die im Ludwigshafener Zentrum für individuelle Entwicklungshilfe arbeitet. Aber schließlich seien die Kosten insgesamt heftig gestiegen. Und außerdem spiegle auch das Gehalt nicht unbedingt das wieder, was die Arbeit wert sei. „Wir bekommen viel zu wenig für das, was wir tun“, sagt sie. Und freut sich, dass an diesem Morgen so viele so laut in der Stadt unterwegs sind. „Man hört uns“, sagt sie nicht ohne Stolz.
Zentrum des Protests
- Beschäftigte aus der ganzen Vorderpfalz haben sich zur Demo während des Warnstreiks im Öffentlichen Dienst in Ludwigshafen getroffen.
- Vom eintägigen Warnstreik betroffen waren unter anderem die Stadtverwaltung Ludwigshafen inklusive aller kommunalen Kitas, Klinikum, TWL, Lukom, Wirtschaftsbetrieb, die Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises.
- Bestreikt wurden auch die Verwaltungen in Speyer, Neustadt, Schifferstadt, Haßloch, Edenkoben und die Sparkassen Vorderpfalz und Rhein-Haardt.
Ursula Jochim und Ramona Ziese demonstrieren aus Solidarität mit. Die beiden Erzieherinnen brauchen eigentlich gar nicht mehr für höhere Löhne zu streiken. Die eine ist in passiver Altersteilzeit, die andere seit 15 Tagen in Rente. Aber es geht darum, die Bedeutung des Berufs hervorzuheben. Erzieherinnen und Erzieher seien von zentraler Bedeutung und legten den Grundstein für die spätere Bildung der Kinder. Es gehe im Grunde nicht nur ums Geld, sondern auch darum, die Rahmenbedingungen des Jobs zu verbessern. Es gebe für viele Kinder zu wenig Personal, das meist auch noch jede Krankheit in der Kita mitnehme.
Dass Eltern an Warnstreiktagen wie gestern auch vor Herausforderungen stehen und kurzfristige Notbetreuungen für ihre Kinder organisieren müssen, wissen sie. Aber auf einem Transparent der Streikgruppe der Technischen Werke Ludwigshafen (TWL) steht: „Ein Streik, der keinen Druck ausübt, ist kein Streik, sondern kollektives Betteln.“
Am Rathausplatz legt der Demonstrationszug direkt unter dem Büro von Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck einen kurzen Stopp ein. Die bekommt persönlich von der Demonstration nichts mit. Die Rathauschefin ist unterwegs - im Büro brennt kein Licht. 10,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt bedeuten für eine chronisch klamme Stadt wie Ludwigshafen, die angesichts der massiven finanziellen Schieflage aktuell um jeden Cent ringt, eine gewaltige zusätzliche Herausforderung. Wie soll die Stadtkasse ein solches Lohnplus stemmen? Auf solche Fragen wartet Bezirksgeschäftsführer Knoll nur. „Selbst wenn die Beschäftigten der Stadt Ludwigshafen fünf Jahre lang komplett auf ihre Löhne verzichten würden, wäre die Stadt dann immer noch pleite“, sagt er. Und es könne nicht sein, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für eine verfehlte Steuerpolitik von Bund und Land gerade stehen müssten. Es sei jedes Mal dieselbe Leier. „Wenn wir immer auf die Verschuldung der Kommunen Rücksicht nehmen würden, bräuchen wir gar nicht erst anzufangen, für höhere Löhne und Gehälter zu kämpfen“, sagt Knoll. Wenn die TWL höhere Preise für Strom und Gas einfordert, dann könne der Kunde auch nicht sagen: Ach, es passt grade nicht. Und dann bemüht der Verdi-Geschäftsführer feines Gewerkschaftsdeutsch: „Es ist genug Geld da, es ist nur falsch verteilt.“
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Die Stimmung der großen Menge ist gut, befeuert unter anderem von Popsong wie Aloe Blaccs „I Need a Dollar“ oder der Protesthymne „Schüsse in die Luft“ der Band Kraftklub. Als die Menge dann unter den Klängen der Titelmelodie zu „Krieg der Sterne“ wieder auf den Berliner Platz einbiegt, verabschieden sich einige Demonstranten allerdings wieder. Ob sie bald wiederkommen werden, hängt von der nächsten Verhandlungsrunde am 22. und 23. Februar ab. Ein Gewerkschafter: „Wenn da kein Signal von den Arbeitgebern kommt, könnte es sein, dass im März nix mehr geht.“
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