Interview mit Gottfried Störmer

„Wir verschieben die Lampertheimer Probleme nur“

Die Fraktionen im Stadtparlament sind Gottfried Störmer nicht gefolgt und haben die deutliche Anhebung der Grundsteuer B abgelehnt. Ein Fehler, ist der Rathauschef überzeugt

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Stephen Wolf
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Der parteilose Bürgermeister Gottfried Störmer muss Lampertheim durch unsichere Zeiten navigieren und nun einen anspruchsvollen Sparkurs einschlagen. © Berno Nix

Lampertheim. Herr Störmer, Ihr Vorschlag, die Grundsteuer B von bisher 460 auf 700 Prozentpunkte zu erhöhen, wurde bei der jüngsten Sitzung des Stadtparlaments im Dezember abgelehnt. Stattdessen setzten sich CDU, Grünen und FDP mit ihrem Antrag durch, wonach die Grundsteuer B moderat von 460 auf 580 Prozentpunkte steigen soll. Können Sie damit arbeiten?

Gottfried Störmer: Es ist natürlich schon relativ schwierig, damit zu arbeiten. Der Beschluss ändert ja nichts daran, dass auch die Stadt Lampertheim von der Inflation, gestiegenen Energiepreisen und weiteren finanziellen Erhöhungen betroffen ist. Um künftig einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen, müssen wir nun schnell Leistungen, Angebote und Gebühren anpassen. Dieser Prozess hat noch nicht einmal begonnen. Ich gehe davon aus, dass die Stadtverwaltung und die Fraktionen spätestens im Februar über die Veränderungen sprechen.

Die Stadtverordneten sprachen sich dafür aus, bei Sach- und Dienstleistungen der Kommune künftig pauschal eine Million Euro zu kürzen. Gleichwohl haben sich die Menschen an die freiwilligen Leistungen und Angebote gewöhnt. Manche dürften entsprechende Veränderungen als Zumutung begreifen.

Störmer: Eben, weil solche Veränderungen nicht einfach sind und in der Vergangenheit nicht fruchteten, hatte ich vorgeschlagen, den Hebesatz der Grundsteuer B auf 700 Prozentpunkte anzuheben. Das hätte es uns ermöglicht, alles so zu lassen, wie es ist. Weder Leistungen noch Angebote hätten verändert werden müssen. Das ist nun anders. Die Politik muss sich nun maßgeblich an dem Prozess beteiligen und auch ihren Teil der Verantwortung tragen.

Wie wollen Sie eine Million Euro einsparen? Sie hatten im Vorfeld darauf hingewiesen, dass sich die Verwaltung ohnehin einschränkt und spart.

Störmer: Wir werden die Aufgaben verfolgen, die keinen Aufschub dulden, und andere verschieben. Das halten wir ohnehin schon so. Aber wir werden diesem Kurs nun noch intensiver folgen müssen.

Können Sie Beispiele nennen?

Störmer: Wir haben nach dem Beschluss der Stadtverordneten bereits geprüft, welche Sach- und Dienstleistungen wir für das Jahr 2023 nicht in Angriff nehmen, obwohl das ursprünglich geplant war. So werden wir beispielsweise die Beleuchtung in der Hans-Pfeiffer-Halle nicht austauschen. Damit sparen wir 130 000 Euro. Die Feuerwehr Hofheim muss zudem auf vorgesehene Ausgaben von 25 000 Euro verzichten, und auch 75 000 Euro, die für das Dach der Trauerhalle in Neuschloß eingeplant waren, können in diesem Jahr leider nicht verwendet werden.

Das klingt überschaubar.

Störmer: Ja, vielleicht. Aber wir werden auch an anderer Stelle einige Dinge nicht vollständig umsetzen können, die eigentlich wichtig gewesen wären.

Nämlich?

Störmer: Wir treiben beispielsweise die Modernisierung der Kanalisation nun nicht so intensiv voran, wie das eigentlich für 2023 geplant war. So haben wir den finanziellen Ansatz von 500 000 Euro auf 150 000 Euro reduziert. Auf diese Weise verlagern wir die Probleme aus meiner Sicht allerdings nur in die Zukunft. Saniert werden muss ja ohnehin.

Probleme werden also nicht gelöst, sondern Lösungen verschoben?

Störmer: Ja. Dafür ist die mehrere Jahrzehnte alte Kanalisation ein gutes Beispiel. Solche Anlagen müssen ja funktionstüchtig sein. Es hilft uns schließlich nicht, wenn die Kanalisation zerstört und ein geregelter Abfluss nicht mehr möglich ist. Wenn es regnet und Wasser in die Häuser zurückfließt, werden die betroffenen Menschen keine Begeisterung zeigen. Insoweit ist es absolut richtig: Wir verlegen die Probleme in die Zukunft. Allerdings sind das nicht die einzigen Schwierigkeiten, die wir nun haben.

Wo sehen Sie weitere Hürden?

Störmer: Wir überlassen die Probleme auf diese Weise den späteren Generationen. Das finde ich nicht richtig. Auch in der Gegenwart gibt es noch Unsicherheiten. Für den Fall, dass wir als Stadt aus noch unbekannten Gründen doch mehr Geld ausgeben müssen als geplant, stehen wir erneut vor schwierigen Entscheidungen. Bei Aufrechterhaltung der Preisentwicklung oder weiteren nationalen beziehungsweise internationalen Krisen müssten wir womöglich aus all den Projekten, die noch nicht umgesetzt sind, erneut Geld umschichten. Das ist eine Überlegung, die dann im nächsten Schritt angestellt werden muss. Wie schnell sich die Situation heutzutage verändern kann, das hat uns das Jahr 2022 mit diesem unsäglichen Krieg in der Ukraine ja vor Augen geführt.

Wie würde man damit umgehen?

Störmer: Käme eine Situation, in der wir Zahlungen nicht aus dem vorhandenen Budget leisten könnten, müssten wir unter Umständen einen Nachtragshaushalt erarbeiten. Dann müssten wir erneut die Politik einbeziehen und verhandeln.

Haushalt 2023

  • Das Stadtparlament hat den Entwurf zum Haushaltsplan für 2023 im Dezember beschlossen Der Gesamtbetrag der ordentlichen Erträge liegt demnach bei etwa 90,6 Millionen Euro. Der Gesamtbetrag der ordentlichen Aufwendungen umfasst etwa 89,1 Million Euro. Das Jahresergebnis liegt somit bei einem Plus von etwa 1,5 Millionen Euro.
  • Die von der Verwaltung vorgeschlagene deutliche Erhöhung der Grundsteuer B von bisher 460 auf 700 Prozentpunkte wollten weder SPD noch CDU, Grüne oder FDP.
  • Während die SPD vorschlug, die Grundsteuer B auf 525 Prozentpunkte und die Gewerbesteuer von 370 auf 395 Prozentpunkte zu erhöhen, beantragten CDU, Grüne und FDP die Grundsteuer B von 460 auf 580 Prozentpunkte und die Grundsteuer A (für land- und forstwirtschaftliche Flächen) zu erhöhen. Die drei Fraktionen konnten das ebenso durchsetzen wie höhere Beiträge für Krippen und Kindertagesstätten. Sie steigen von April an um 20 Euro im Monat.
  • Ohne Zustimmung der SPD wurde beschlossen, dass die Notwendigkeit von Kita-Neubauten geprüft wird. Ausschreibung und Bau einer neuen Kita in der Oberlache sollen gestoppt werden, bis aktuelle Bedarfszahlen vorliegen.
  • Bei Sach- und Dienstleistungen der Stadtverwaltung sollen eine Million Euro gespart werden. „Die Einsparungen sind aus der laufenden Verwaltungstätigkeit zu erbringen“, heißt es im Antrag von CDU, Grünen und FDP

CDU, Grüne und FDP haben die Erhöhung der Gebühren für die Kinderbetreuung durchgesetzt. Demnach soll der Platz in Krippe oder Kita von April an monatlich 20 Euro mehr kosten. Über das Jahr betrachtet führt das zu einer beachtlichen Summe, nicht wahr?

Störmer: Wir müssen dafür sorgen, dass die Gebührenbeiträge der Eltern dazu führen, das System zu stützen. Die Stadt gibt für jede einzelne der elf kommunalen Kindertagesstätten in Lampertheim einen Zuschuss von etwa 800 000 Euro im Jahr. Insgesamt liegen wir damit jährlich bei fast zehn Millionen Euro. Und die Stadt zahlt einen Großteil der Kosten anderer Träger. Das ist viel Geld im Haushalt. Um die Dimension zu verdeutlichen, möchte ich noch einmal auf die von mir vorgeschlagene Erhöhung der Grundsteuer B auf 700 Prozentpunkte zu sprechen kommen. Selbst in diesem Fall hätten wir gerade einmal ein Plus von 2,6 Millionen Euro erzielt und mit den bisher veranlagten Einnahmen von 4,9 Millionen Euro eine Summe von 7,5 Millionen Euro erreicht. Also, selbst wenn man dieses Geld zur Deckung der städtischen Kita-Zuschüsse verwendet hätte, es bliebe noch immer ein jährliches Defizit von 2,5 Millionen Euro allein für diese Aufgabe übrig.

Allerdings müssen Familien in Zeiten von Inflation, hohen Mieten und Energiepreisen besonders sparen.

Störmer: Das stimmt. Ich halte die Erhöhung dennoch für gerechtfertigt. Denn in Lampertheim zahlen Eltern aktuell gerade einmal 16 Prozent der anfallenden Kosten. Die restlichen 84 Prozent für den Platz in einer Kita zahlen Bund, Land und Stadt. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob der Beitrag der Eltern nicht etwas angehoben werden kann. Nach Vorgaben des Landes sollten sie ohnehin ein Drittel, also 33 Prozent, der Kosten tragen. Ich halte eine Erhöhung auf 18 oder 20 Prozent daher durchaus für vertretbar. Es gibt zudem Menschen bei uns, die Fragen nach der Zuordnung und dadurch auch nach der Gerechtigkeit stellen.

Inwiefern?

Störmer: Es gibt den Aspekt, dass eine gewisse Anzahl kinderloser Bürger mit ihren Steuern und Abgaben die Eltern indirekt unterstützt, obwohl sie selbst nicht direkt von Kindertagesstätten oder Schulen profitieren. Für diese Menschen ist ein höherer Deckungsgrad durch die Eltern wünschenswert. Auf der anderen Seite müssen sich die Forderungen auch in Grenzen halten, da die heutigen Kinder im Laufe ihres späteren Lebens den Fortbestand nicht nur unseres Sozial- und Steuersystems garantieren, sondern natürlich auch den Fortbestand unserer Gesellschaft. Daher trägt Lampertheim mit Stolz das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“. Die Stadt ist traditionell familienfreundlich. Es ist letztlich die Frage, in welcher Größenordnung solche Förderungen möglich sind. Es muss daher eine Abwägung darüber geben, was noch vertretbar ist und was nicht. Ich glaube, Christdemokraten, Grüne und FDP haben sich intensiv damit auseinandergesetzt und es sich bestimmt nicht leicht gemacht.

Die Parteien wollen auch die langjährigen Vereinsförderrichtlinien auf den Prüfstand stellen. Wie heikel wird es, hier Ausgaben zu kürzen?

Störmer: Ich weiß nicht, ob es heikel wird. Die Frage wird sein, wie wir eine gewisse Verhältnismäßigkeit befördern können. Nehmen Sie als Beispiel das Adam-Günderoth-Stadion. Die Sportstätte kostet uns in der Unterhaltung jährlich 250 000 Euro. Das umfasst nicht nur Reparaturen, sondern beispielsweise auch die Rasenpflege und die Instandhaltung der Umkleidekabinen. Ob so etwas künftig in diesem Umfang noch möglich sein wird, müssen wir diskutieren.

Allerdings gilt es als schwierig, gewohnte Privilegien abzuschaffen.

Störmer: Das stimmt. Wir müssen an den Realitätssinn der Vereine appellieren. Ich persönlich neige dazu, die Vereine, die uns als Stadt und im Gemeinwesen unterstützen, weiterhin in einem gewissen Umfang zu fördern. Aber Vereine, die sich zurückziehen und unter sich bleiben wollen, müssen möglicherweise die eine oder andere Einbuße hinnehmen. Das wäre gerecht.

Wie blicken sie auf 2023?

Störmer: Es wäre toll, wenn es in der Ukraine wieder Frieden gäbe, so dass die Menschen dort wieder ein normales Leben führen können. Wie sehr dieser Krieg auch mit den Entwicklungen in unserem Land zusammenhängt, ist 2022 deutlich geworden. Insofern wäre es auch gut, wenn wir in unserem Gemeinwesen in ein ruhigeres Fahrwasser kämen und die Hilfe, die an vielen Stellen ehrenamtlich geleistet wird, nicht mehr so stark in Anspruch genommen werden müsste. Ich denke da beispielsweise an die enormen Herausforderungen, vor denen die Tafel im zurückliegenden Jahr stand und noch immer steht.

Mit Blick auf anstehende Vorhaben dürfte es auch im neuen Jahr nicht langweilig werden.

Störmer: Sicher nicht. Einige Planungen für den Stadtumbau – Stichwort Zehntscheune – sind im vollen Umfang beauftragt. Die Arbeiten zur Neugestaltung des Alfred-Delp-Platzes starten im Mai.

Auch dürfte eine Entscheidung in Sachen Ultranet fallen. Wie Viernheim, so fordert auch Lampertheim eine Verschwenkung der geplanten Starkstromtrasse. Der zuständige Netzbetreiber Amprion müsste bestehende Masten versetzen, damit der vom Land vorgegebene Abstand von 400 Metern zur geplanten Wohnbebauung, etwa im Gleisdreieck, bestehen bleibt. Geschieht das nicht, will die Stadt Lampertheim Rechtsmittel einlegen.

Störmer: Das ist korrekt. Die Bundesnetzagentur wird uns sicherlich bald einen Planfeststellungsbeschluss vorlegen und uns zur Beteiligung aufrufen. In der Sache sind wir daher in Habachtstellung und bereit zur Klage. Ein entsprechender Beschluss der Lampertheimer Stadtverordnetenversammlung liegt ja bekanntermaßen vor. Die Sache ist allerdings knifflig. So will das Bundeswirtschaftsministerium keine Verschwenkung, um einen möglichst kurzen Weg zu ermöglichen, den der Strom von Norddeutschland aus in den Süden nehmen wird. Auf der anderen Seite hat das Land vorgegeben, dass Neubaugebiete 400 Meter von der Trasse entfernt gebaut werden müssen, da womöglich gesundheitsschädliche Folgen zu befürchten seien. Deshalb könnten wir ohne Verschwenkung das Gleisdreieck nicht vollständig ausbauen. Das wollen wir nicht hinnehmen und würden in diesem Fall vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen den Bestandsausbau klagen.

Wie stehen die Chancen der Stadt, ein solches Vorgehen juristisch zu verhindern.

Störmer: Wie in allen gerichtlichen Verfahren ist der Ausgang nicht vorhersehbar. Wir hoffen, dass unserer Argumentation gefolgt wird und Belange der Menschen und der Kommune vor Wirtschaftlichkeitsüberlegungen des Netzbetreibers gesetzt werden. Der Bund argumentiert ja, alle Emissionswerte lägen unterhalb festgelegter Regelwerte. Daher könne ein neues Wohngebiet in Reichweite der Trasse entstehen, ohne dass mit einer erhöhten Gesundheitsgefährdung gerechnet werden müsse. Ob es sich so verhält, ist momentan schwierig zu bewerten. Dennoch wird sich die Bundesnetzagentur auf die vorliegenden wissenschaftlichen Einschätzungen zurückziehen.

Noch ist unklar, ob diese tatsächlich auch in Zukunft noch gelten?

Störmer: In der Tat. Mit Blick auf mögliche Langzeitstudien dürfte es zehn bis 20 Jahre dauern, bis wir Ergebnisse haben. Dann erst werden wir wissen, ob ein zu geringer Abstand problematisch ist. Daher fordern wir ja die Verschwenkung.

Aber die Arbeiten am Gleisdreieck sollen bald starten?

Störmer: Zumindest in dem Bereich, in dem wir aktiv werden können, ja. Das wird im neuen Jahr auch für unsere Planungen eine große Rolle spielen. Was dann den zweiten Bauabschnitt angeht, müssen wir die weitere Entwicklung beziehungsweise das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten.

Redaktion

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