Lampertheim. Sorgenvolle Blicke schweifen immer wieder am Schutzzaun entlang, der die Maulbeeraue zwischen Wehrzollhaus und dem Lampertheimer Stadtteil Hofheim vom Hinterland trennt. Kopfschütteln - und immer wieder wird die Diskussion hitzig. An diesem Vormittag haben sich rund 20 Aktivistinnen und Aktivisten dort versammelt. Sie befürchten ein massenhaftes Tiersterben, sollten Rhein und Altrheinarm bei Starkregen anschwellen. Beide umrahmen die Insel und für die Tiere gebe es dann wegen des Zauns keine Fluchtmöglichkeiten mehr.
„Schon jetzt erreichen uns immer wieder Meldungen, dass sich Füchse oder Rehe in dem Zaun verfangen haben“, erzählt Felizitas Blickheuser. Dramatischer könnte es werden, wenn es zu Hochwasser käme, erklärt die Bewohnerin des Lampertheimer Stadtteils Rosengarten im Gespräch mit unserer Redaktion. „Denn, wenn der Pegel steigt, geht es oft ganz schnell. Im Juni vergangenen Jahres beispielsweise stieg er innerhalb von 48 Stunden um zwei Meter“.
Die Maulbeeraue
- Die Maulbeeraue ist eine Rheininsel im südhessischen Ried. Sie wird von einem Altrheinarm und vom Rhein umgrenzt und hat eine Fläche von rund 3,2 Quadratkilometer .
- Das nördliche Drittel der Insel gehört zur Gemeinde Biblis (Ortsteil Nordheim), der größere Südteil gehört zur Stadt Lampertheim (Stadtteil Hofheim).
- Der größte Teil der Maulbeeraue besteht aus arten- und blütenreichen Wiesen .
- Seit dem Jahr 2008 gehört die Maulbeeraue zum europäischen Schutzgebietsnetz Natura 2000 , das dem Erhalt von wertvollen Lebensräumen und Arten dient.
Der Schutzzaun zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest steht laut Blickheuser am Rande der Maulbeeraue seit etwa dreieinhalb Monaten. Er soll verhindern, dass erkrankte Wildschweine den Rhein durchschwimmen und die Seuche so ans andere Flussufer nach Rheinland-Pfalz bringen.
Das Problem: Bei einer Überflutung können sich die auf der Insel lebende Wildtiere nicht in Sicherheit bringen, drohen zu ertrinken, so die Aktivisten. Der Zaun trennt sie vom Deich und vom schützenden Unterholz im Hinterland. „Das betrifft nicht nur die Wildschweine, sondern auch mehrere Rehgruppen, die auf der Maulbeeraue leben. Genauso wie Hasen, Igel, Dachse, Füchse oder Waschbären“, schildert Blickheuser das Problem. Ihre Mitstreiter nicken.
Um die Gefahr zu bannen, hat die Frau aus dem Stadtteil Rosengarten inzwischen an den hessischen Umweltminister Ingmar Jung (CDU) geschrieben und ihn gebeten, den Zaun hinter den Deich verlegen zu lassen. Unterstützung erhält die Gruppe um Blickheuser inzwischen auch vom Kreisverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und dem Naturschutzbund (Nabu). Letzterer hat sich ebenfalls an das Umweltministerium gewandt.
In einem Antwortschreiben aus Wiesbaden betont der zuständige Staatssekretär Michael Ruhl (CDU), dass „Hinweise auf Hochwasserlagen“ bei der Planung der Zaunverläufe „aktiv durch die Wildbiologen des Führungsstabs berücksichtigt“ worden seien. Daher seien Tore in angemessenen Abständen vorgesehen worden, um diese bei Hochwasser-Vorhersagen rechtzeitig öffnen zu können.
Das Rehwild könne die Durchgänge dann nutzen, um sich in Sicherheit zu bringen. Zudem sei der Zaun mit einer Höhe von 1,20 Meter so konzipiert, dass ihn Rehe überspringen könnten, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. Des Weiteren solle der Einbau sogenannter Fuchsröhren erfolgen, die kleineren Wildtieren ein Durchkommen unter dem Zaun ermöglichten.
Bei dem Treffen an diesem Morgen ist auch Lovis Kauertz vor Ort. Der Bundesvorsitzende von Wildtierschutz Deutschland bestätigt zwar, dass Rehe an sich 1,20 Meter überspringen können. „Es kommt allerdings auf die Bodenverhältnisse an, bei Nässe wird es schwierig“, schränkt er ein. Außerdem gebe es immer wieder Rehe, die sich beim Springen über Seuchenschutzzäune verletzten. Und das nicht nur im südhessischen Ried, sondern etwa auch im Unteren Odertal, wo es wegen der Schweinepest eine ganz ähnliche Zaunproblematik gebe wie an der Maulbeeraue.
Kritisch sieht er auch das Argument, dass die Tore in der Zaunanlage dem Wild bei Hochwasser helfen. „Denn die Tiere würden sie nicht unverzüglich finden, da sie nicht auf den Pfaden liegen, die sie für gewöhnlich nutzen“, erläutert er. „Unsere Bedenken sind also ganz und gar realistisch“, bekräftigt Felizitas Blickheuser. „Der Zaun mit seinen Pfosten aus massivem Robinienholz soll vermutlich drei bis fünf Jahre stehen. Und in dieser Zeit sind gleich mehrere Hochwasser zu erwarten“, betont sie.
„Wir wollen nicht, dass auf der Maulbeeraue ein Massengrab entsteht“, macht auch Gaby Weiß deutlich, die ebenfalls zu der Aktivisten-Gruppe gehört. Daher erwägen deren Mitglieder nun, eine Bürgerinitiative zu gründen. Denn sie erhoffen sich, als Institution den Druck auf das Umweltministerium weiter erhöhen zu können. „Wir werden nicht aufgeben“, sagt Felizitas Blickheuser, „bis wir unsere Ziele zum Schutz der Tiere auf der Maulbeeraue erreicht haben.“
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