Lampertheim. „Stilbruch? – Neue Wege!“ Kantorin Heike Ittmann kündigt ein mutiges Thema für den 21. Lampertheimer Orgelsommer an. Bei ihrer Begrüßung zum Auftaktkonzert der fünfteiligen Reihe in der Domkirche teilt sie aber gleich auch mit, dass sie es jeweils den eingeladenen Solisten überlässt, das Thema individuell auszugestalten.
Julian Handlos, Konzertorganist und Bezirkskantor in der schwäbischen Stadt Schorndorf, macht am Sonntag einen vielversprechenden Anfang. Mit dem schwedischen Komponisten Gunnar Idenstam (geb. 1961), dem Franzosen Louis Vierne (1870 – 1937) und dem altehrwürdigen Johann Sebastian Bach zeigt er gleich für drei unterschiedliche Epochen auf, wo die Möglichkeiten für musikalische Innovationen stecken, nicht unbedingt den Stil zu brechen, aber eigene neue Elemente außerhalb der Gewohnheiten zeitgenössischer Musik einzubringen.
Stücke, bei denen die Kompositionen, die an die Grenzen gehen
Julian Handlos hat sich auch nach dem Musikstudium in Freiburg als Organist und Kantor bereits verschiedene berufliche Stationen durchlaufen und immer wieder in verschiedenen Meisterkursen fortgebildet. Seit 2020 unterrichtet er zusätzlich auch künstlerische Orgelspiel an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg. „Ich habe Stücke ausgesucht, bei denen die Komponisten bis an ihre Grenzen gingen“, so der 33-Jährige, der auch schon in Schorndorf für seine moderne Musikauswahl bekannt geworden ist.
„Metal Angel“ heißt das ausgewählte Werk von Gunnar Idenstam, das Handlos als aus dem „Blauen Wunder“, der 20 Jahre alten Vleugels-Orgel der Domkirche Lampertkirche dynamisch in den Kirchenraum brausen lässt. Auf rhythmisch schwingende Bässe legt er behutsam abwechselnd Melodien und furios variierte Kadenzen übereinander. Eine rockige aber durchaus sanguinische Komposition wird hörbar, die an Klassikrock-Bands der 70er Jahre erinnert. In der darauffolgenden „Elegy“ dominieren lyrische, nachdenkliche Elemente, die die Orgel in sphärische Klänge übersetzt.
Orgelsommer 2025
- Die fünfteilige Konzertreihe findet an den August-Sonntagen jeweils ab 20 Uhr in der Domkirche statt.
- Am 10. August findet das nächste Orgelkonzert statt. Christian Stegmann (Kitzingen) mit Kompositionen von Bach, Escaich und anderen. Fortgesetzt wird die Reihe am 17. August von Sebastian Fuhrmann , der Liszt intoniert, gefolgt von Klaus Eldert Müller am 24. August mit Werken von Buxtehude, Distler, Mendelssohn Bartholdy und anderen.
- Den Schlusspunkt setzt die Organisatorin Heike Ittmann am 31. August mit Kompositionen von Bach, Messiaen, Mendelssohn Bartholdy und anderen.
- Eintrittskarten gibt es zum Preis von 10 Euro (ermäßigt 7 Euro ) an der Abendkasse.
Wie ein tiefes Grollen von Bassflöten klingt der Beginn eines weiteren Teils des „Metal Angel“, das sogenannte „Waiting for…“. Aus dem Basso Continuo entspringt fast eine feiernde Rockballade, die aber klassisch korrekt und in formaler Strenge durchgezogen ist. Die abschließende Toccata aus Idenstams Komposition lässt wieder die hoffnungsdurchtränkte Grundstimmung des Werks spürbar werden. Fast minimalistisch der Ansatz, der sich ins Euphorische steigert und heiter verspielt endet. Der Spagat zwischen Tradition und Moderne ist geschafft.
Wer die Orgel als sakrales Instrument der Gottesbotschaft versteht, kann auch aus diesen Anleihen der Rockmusik durchaus eine beruhigende Botschaft heraushören. Jüngere Besucher werden vielleicht eher die tänzerischen Aspekte genießen, der Hörgenuss im Kirchenraum des Lampertheimer Doms ist für das ganze Publikum unvergleichlich und zweifelsohne auch diesem exquisiten Anlass des Orgelsommers angemessen.
Hoffnungsdurchtränkte Grundstimmung, Erlebnis auf leistungsstarker Orgel
Beeindruckend kraftvoll die Fantasie g-Moll aus Johann Sebastian Bachs Köthener Zeit aus dem Jahre 1720. Leidenschaftliche Partien wechseln sich mit andächtigen meditativen Passagen ab. Wer Dissonanzen ausschließlich im 20. Jahrhundert verortet, wird hier eines Besseren belehrt. Nahtlose Übergänge sorgen dafür, dass die Fantasie wie ein durchgängiges wie improvisiert interpretiertes Fließen erschient. Ein Erlebnis, das so nur auf einer leistungskräftigen Orgel perfekt gestaltet werden kann.
Wohl um den Kontrast dieses erstaunlich modernen Stücks zu den Gewohnheiten der Zeit noch zu verstärken stellt Julian Handlos eine schlichte Bearbeitung des Kirchenlieds „Schmücke dich, o liebe Seele“ (BWV 654) dagegen. Die Melodie geht langsam in kleinen Sekundintervallen voran, keine Achtelketten, höchstens ein paar verzierende Triller künden von des Meisters einzigartiger Kunst. Mit der Fuge in g-Moll (BWV 542,2) zeigt der Schorddorfer Konzertorganist, mit welcher Disziplin solche Werke zu spielen sind. Sauber und klar gibt er das Bachsche Maß wieder, ohne es auseinanderzunehmen oder überzustrapazieren.
Innovativ die Werke des französischen Organisten Louis Vierne
Ungleich innovativer die vorgestellten Werke des französischen Organisten und Komponisten Louis Vierne aus den „Pièces de Fantaisie“ (1927). Die „Irrlichter“ sind mutige kleine Preziosen, die aus dem Nichts zu entstehen scheinen und wie bunte blinkende „Scherben“ schimmern: Stücke, die zeittypische Defragmentierung der herkömmlichen kompositorischen Strukturen wiedergeben. Das „Clair de Lune“ hat dagegen romantische Tiefe und eine dichtere Präsenz. Mit einer hochdynamischen Toccata entfaltet Julian Handlos die ganze Klangfülle und Virtuosität dies in seiner Zeit wegweisenden Komponisten.
Wer als Zugabe noch einen Stilbruch in die Moderne erwartet hätte, wird überrascht. Julian Handlos intoniert die Bachkantate „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in wohl gemessenem Adagio. Eine Beruhigung nach solch bewegten Stücken in den vorangegangen 90 Minuten? Vielleicht. Das Publikum schreitet jedenfalls plaudernd nach draußen, wo der Förderkreis Wasser und Wein reicht, ein würdiger Rahmen für weitergehende Diskussionen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim_artikel,-lampertheim-lampertheimer-orgelsommer-spagat-zwischen-sakral-und-popmusik-_arid,2320485.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html