Fragwürdige Putzaktion

Lampertheim - zu bunt für die Bahn

In der Stadt ist die Empörung groß, nachdem die Bahn ein von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebenes Graffito ohne Rücksprache beseitigen ließ. Angeblich hatte die Aktion nichts mit dem Besuch eines Bundesministers zu tun.

Von 
Stephen Wolf
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Lampertheim. Als der Minister an den Bahnhof kam, war das bunte Wandbild bereits Vergangenheit. Ein Putztrupp der Deutschen Bahn (DB) hatte das von Kindern und Jugendlichen gesprühte Werk in der Lampertheimer Unterführung leise und ohne Rücksprache beseitigt. So konnte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei seinem Besuch am 9. März lediglich weiße Kachelwände in der Unterführung sehen.

Einige Tage später ist die Betroffenheit in Lampertheim noch immer groß. „Ich bedauere das sehr“, sagt etwa Erster Stadtrat Marius Schmidt (SPD) zur Zerstörung des Wandbilds. „Schließlich haben sich die beteiligten Jugendlichen tolle Gedanken gemacht. Sie haben nicht nur einen Angstraum beseitigt, sondern auch ein Zeichen für Kinderrechte gesetzt“, fügt er hinzu.

Tatsächlich war das Graffito Teil eines größeren städtischen Projekts, das nicht nur die einst schmuddlige Bahnhofsunterführung in freundlicheres Licht tauchte. Auch hatten die jungen Sprayer das Graffito dem Thema Kinderrechte gewidmet: „Stop! Kinder haben das Recht auf Schutz vor Gewalt“ war einer der prägenden Sätze auf dem Bild, das im August gemeinsam mit Graffiti-Künstler Tobias Kilian entstand.

In einem Leserbrief an diese Redaktion hatte FDP-Fraktionschef Gernot Diehlmann moniert, die mit der Stadtverwaltung nicht abgestimmte Putzaktion lasse nicht nur jegliche Sensibilität für das künstlerische Engagement von Kindern und Jugendlichen vermissen. „Es zeigt auch offensichtliche organisatorische Mängel bei der Bahn auf“, giftete er, obwohl das Unternehmen auf seinem Gelände – rein rechtlich betrachtet – so viel Graffiti übertünchen kann, wie es möchte.

Dass sich der Lampertheimer FDP-Mann derart ins Zeug legt, ist wohl auch dem Eindruck geschuldet, die Bahn habe die Beseitigung des Bildes veranlasst, um bei Bundesverkehrsminister Wissing keinen Anstoß zu erregen. „Das liegt sicher nicht im Interesse des Ministers“, nahm Diehlmann seinen Parteifreund daher vorsorglich in Schutz.

Die Bahn rechtfertigt sich mit dem Hinweis, im kommenden Jahr stehe ohnehin eine Sanierung der Riedbahn und ihrer Bahnhöfe an: „Künftig erwartet unsere Reisenden an allen 20 Bahnhöfen entlang der Strecke ein neues, farbenfrohes und speziell auf die Region abgestimmtes Gestaltungskonzept.“

Mit Blick auf die nun kritisierte Putzaktion heißt es von der Bahn, es habe lediglich eine mündliche Absprache gegeben: „Die DB hat den Beteiligten keinerlei Bestandsschutz versprochen.“ Im Sinne eines „sauberen und attraktiveren“ Erscheinungsbilds der Bahnhöfe habe man sich entschieden, sämtliche Graffiti zu beseitigen.

Bürgermeister Gottfried Störmer (parteilos) kontert, es sei schade, dass es im Vorfeld keine Information von der Bahn gegeben habe. Das hätte es der Stadt zumindest ermöglicht, den Jugendbeirat zu informieren. „Es ist aus unserer Sicht nicht förderlich, von Kindern und Jugendlichen zu verlangen, sich bei der Gestaltung ihrer Heimatstadt einzubringen, nur um dann beispielsweise ein Graffito – welches nebenbei in vielen freiwilligen Arbeitsstunden entstanden ist – zu übermalen.“

Noch schärfer reagieren die Fraktionschefs von CDU, Grünen und SPD. Die Begründung der Deutschen Bahn stehe nicht gerade für Verlässlichkeit und Fingerspitzengefühl, findet Christdemokrat Alexander Scholl. „Auch wenn lediglich mündliche Absprachen bestehen, hätte es in diesem Fall der Anstand verlangt, die Stadtverwaltung zumindest über die neuen Pläne im Vorfeld zu informieren.“ SPD-Fraktionsvorsitzender Jens Klingler findet es „absurd“, dass ausgerechnet die Bahn den Versuch der Stadt torpediert, einen düsteren Angstraum auf dem Bahngelände freundlicher zu gestalten. „Ich sehe die Begründung der Bahn eher als Schutzbehauptung“, teilt Stefan Nickel von den Grünen auf Anfrage mit und spielt darauf an, dass die Zerstörung des Graffitos unmittelbar vor dem Besuch des Verkehrsministers in die Tat umgesetzt wurde: „Zurück bleiben wohl frustriert die am Projekt beteiligten Jugendlichen und die Erkenntnis für die Stadtverwaltung, dass mündliche Absprachen mit der Bahn leider nichts wert sind.“

Dass die autoritär anmutende Beseitigung des Bildes für die jungen Graffiti-Sprayer wie ein Schlag ins Gesicht sein dürfte, ist für Graffiti-Künstler Tobias Kilian ausgemacht. „Junge Menschen engagieren sich für die Stadt und versuchen, die Stimmung am Bahnhof zu verbessern – und dann werden ihre Bemühungen einfach zunichte gemacht“, ärgert sich der Lampertheimer Künstler. Für ihn ist klar, dass die bunte Bemalung verhindert hat, dass die Unterführung während der vergangenen Monate erneut zu einem vermüllten und verschmierten Angstkorridor mutierte. „Die Bahn ist selbst schuld, wenn es wieder so kommt“, sagt Kilian.

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