Lampertheim. „Das Grundgesetz ist ein großes Versprechen. Für seine Einlösung bleiben wir selbstverantwortlich.“ So schreibt es Georg M. Oswald im Vorwort zu seinem „literarischen Kommentar“ zur deutschen Verfassung. Die Erkenntnis des 1963 geborenen Autors und Juristen bildet den Ausgangspunkt für eine „mahnende Liebeserklärung an das deutsche Grundgesetz“. 200 Besucherinnen und Besucher kamen am Samstagabend bei freiem Eintritt in die Domkirche, um das 75-jährige Jubiläum des am 23. Mai 1949 verkündeten Gesetzeswerks zu feiern.
Musikalische Lesung mit Schauspieler Roman Knizka
Ungewöhnlich lebendig war die Form in Lampertheim gewählt. Die zweistündige musikalische Lesung inszenierte Schauspieler und Hörspiel-Sprecher Roman Knizka, bekannt aus Film und Fernsehen, im Zusammenspiel mit fünf klassischen Musikern: Das Bläserquintett „Opus 45“ ist benannt nach dem „deutschen Requiem“ von Johannes Brahms und besteht aus Mitgliedern der Hamburgischen Staatsoper, dem Beethoven Orchester Bonn, der NDR Radiophilharmonie Hannover sowie dem BBC Symphony Orchestra Glasgow.
„Wir werden das Grundgesetz in seiner gesamten Entstehungsgeschichte in den Mittelpunkt rücken“, versprach Janine Klingler zur Eröffnung. Die Mitarbeiterin der Regionalen Diakonie Bergstraße hat das Projekt gemeinsam mit Thomas Bartelsen initiiert. Innerhalb der Koordinations- und Fachstelle der „Partnerschaft für Demokratie“ setzt sich das Duo für demokratiefördernde Projekte ein, die über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert werden. Als Kooperationspartner fungierte erneut die Stadt, Jennifer Fröhlich ist für die Partnerschaft für Demokratie zuständig.
Dass das Grundgesetz vieles, nur nicht trocken ist, verdeutlichten die Künstler mit ihrem Ansatz: „Die Würde des Menschen ist unbegreiflich, ungewöhnlich oder unantastbar?“, wollten sie vom „Publikum“ wissen. Antwort „C“ rief die Mehrheit und schaffte den spielerischen Einstieg. Mitunter brachte das „Quiz“ Erkenntnisgewinn: Dass Kinderrechte nicht explizit normiert sind, dürfte nicht jedem bewusst gewesen sein - im Gegensatz zur Meinungsfreiheit, die in Artikel 5 postuliert ist und unabhängig vom Alter gilt.
Mit der Frage, wo 1948 die konstituierende Sitzung des Parlamentarischen Rats stattfand, leitete Knizka zu den Wurzeln des Regelwerks über: Im Bonner Museum Koenig hatte die „Erfolgsgeschichte“ ihren Anfang genommen. 22 000 Wörter und 197 Artikel seien im Text enthalten, und auch die Begriffe wurden quantifiziert: acht Mal „Volk“, 16 Mal „Pflicht“, 24 Mal „Freiheit“ und 76 Mal „Recht“.
Die wirkmächtige Sprache der Verfassung gelobt
Doch was macht den „unfassbaren Erfolg“ des Grundgesetzes aus? „Nicht zuletzt die literarische Qualität des Textes“, meinte Knizka und nahm Bezug auf Navid Kermani. Der in Siegen geborene Publizist hatte am 23. Mai 2014 vor dem Bundestag zum 65-jährigen Bestehen der Verfassung gesprochen. Besonders deren Sprache hatte er als „wirkmächtig“ gelobt, allerdings auch auf ein Paradoxon verwiesen: Wäre die Würde des Menschen tatsächlich, wie in Artikel 1 erklärt, unantastbar, dann bedürfte sie gar keines Schutzes. Dennoch werde durch die Wortwahl der Staat zum „Diener aller Menschen“.
Fragen ergeben sich für Roman Knizka auch aus der Präambel des Grundgesetzes: „Wer spricht hier für wen?“, „Wo wollen wir hin?“ Grundsätzliches wurde indes geklärt: „Die Präambel ist die feierliche Erklärung als Einleitung einer Verfassungsurkunde.“
Wie bedeutsam das Grundgesetz gestern wie heute ist, illustrierte Knizka anhand von Beispielen. Aktuell zeige sich in den USA, aber auch hierzulande, dass die Demokratie bewahrenswert sei.
Besonders schmerzlich geriet jedoch der Rückblick: „Als man sich in Bonn an die Arbeit machte, war niemandem zum Feiern zumute.“ Am 1. September 1948 war der Kriegsbeginn exakt neun Jahre her, 60 Millionen Tote und immense Verwüstungen waren zu beklagen.
Was das „erste gesamtdeutsche Nachkriegsparlament in den Westzonen“, so die Einordnung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, geleistet hat, beeindruckt auch Gottfried Störmer: „Das Grundgesetz hat mich mein Leben lang begleitet“, bekannte der Bürgermeister.
Das Buch begeistere ihn, zumal trotz mancher „Nachschärfung“ der Kern stets erhalten geblieben sei. Einen anderen Blick auf das juristische „Geburtstagskind“ gewährte Sabine Sauerwein: „Am 15. Mai 1944 ist unsere Kirche fast vollständig zerstört worden“, erinnerte die Pfarrerin der Lukasgemeinde. „Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, haben die Kinder in Lampertheim noch in den Ruinen der Domkirche gespielt.“ Auch deswegen fühle man sich der Bewahrung des Friedens in besonderem Maße verpflichtet.
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