Lockdown - Friseurmeister Fabian Krämer kämpft wie viele seiner Branche um die Existenz – mit offenem Visier und einer gehörigen Portion Wut im Bauch

„Ich bin pleite, aber nicht am Ende“

Von 
Alexandra Hoffmann
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Seit Wochen sind die Friseursalons verwaist. Fabian Krämer will seinen Laden in der Ernst-Ludwig-Straße auf jeden Fall wieder eröffnen, wenngleich er fürchtet, sich über Monate aus den Schulden herausarbeiten zu müssen. © Berno Nix

Lampertheim. Sie sind viele, aber im Moment nimmt man sie kaum wahr: Die rund 143 000 Beschäftigten im deutschen Friseurhandwerk, die seit mehr als sieben Wochen nicht arbeiten dürfen. Fabian Krämer (kleines Bild / Bild: Krämer) ist einer von ihnen. Auch sein Salon in der Lampertheimer Ernst-Ludwig-Straße ist seit Mitte Dezember geschlossen. Auch Krämer hat seitdem keine Einnahmen mehr – kein Geld. „Außer dem, was mir meine Oma zusteckt.“ Krämers Fixkosten laufen wie bei jedem anderen weiter, auch er leidet. Der 33-Jährige sagt: „Ich bin pleite, aber nicht am Ende.“

Vor allem schäme er sich nicht, in Erscheinung zu treten – im Gegenteil. Der Sohn des Lampertheimer Krimiautors Manfred Krämer möchte nicht, wie so viele, still und im Verborgenen leiden, sondern auf die Zustände für Friseure im zweiten Lockdown aufmerksam machen. Sein Credo: „Wenn man uns schon nicht hilft, dann soll man uns zumindest sehen.“

Dafür hat er einen „Brandbrief“, wie er sein Schreiben nennt, nicht nur auf seine Facebookseite gestellt, sondern sich damit auch an den „Südhessen Morgen“ gewandt. Krämer möchte „es nicht so stehen lassen, dass alle schon irgendwie durchkommen“. Den Ausschlag, an die Öffentlichkeit zu gehen, habe ein Fernsehbeitrag gegeben, in dem eine Friseurin vor laufender Kamera weinend zusammenbrach. Der Grund: „Sie hatte nur noch fünf Euro – für Brot und Butter.“

Appell an Kleinunternehmer

Krämer, seit fünf Jahren selbstständig, hofft, dass durch seine Initiative auch andere Kleinunternehmer den Mut finden, ihre schwierige und oft auch aussichtslose Lage offen zu benennen. Er appelliert: „Hängt ein Foto von eurem Gesicht ins Schaufenster, teilt es auf sozialen Netzwerken! Man vermisst uns, man braucht uns, wir sind nicht Schuld an dieser schwierigen Situation und wir dürfen uns nicht schämen und nicht aufgeben!“

„Unsere Existenzgrundlage wurde uns entzogen, und die versprochenen staatlichen Hilfspakete bleiben uns verwehrt“, fasst Krämer die Misere seiner Zunft zusammen. Mit Abschlagszahlungen rechnet Krämer frühestens ab März. Er schätzt: „Wenn die Regierung die Insolvenzantragspflicht nicht ausgesetzt hätte, wären 95 Prozent von uns schon insolvent.“ Wer Sozialleistungen beantragt, müsse zunächst hohe bürokratische Hürden überwinden und dann wochenlang auf Geld für das Nötigste warten. „Im Klartext“, sagt Krämer, „sind wir auf Familie und Freunde angewiesen.“

Um laufende Kosten zu begleichen, blieben ihm derzeit nur überzogene Dispositionskredite. Die Kredite seien teuer, und „der Batzen wird immer größer, je länger es dauert“. Er weiß von Friseuren, die aus blanker Not schwarzarbeiteten. Manche Kunden seien bereit, sehr gut zu bezahlen – „da ist dann auch schon mal eine Mahlzeit dabei“, ergänzt er trocken. „Und wenn ich mich beim Einkaufen so umschaue, sehe ich wirklich viele Leute mit frisch gemachten Haaren.“

Krämers Befürchtung: Irgendwann machten die Friseure wieder auf, ohne dass es sich für sie lohne. „Ich werde mich über Monate aus den Schulden herausarbeiten“, ist er sicher. Seine langen Öffnungszeiten und dass er, wenn er wollte, nahezu rund um die Uhr arbeiten könnte, kämen ihm zumindest zu Gute.

Ärger über Heuchelei

Der Friseur und Visagist hat keine Kinder und keine Angestellten. „Aber wir sind auch Väter und Mütter“, verweist er auf viele andere seines Berufsstandes. Und dann wird Krämer noch mal sehr deutlich: „Wir arbeiten jahrelang hart, wir sind das offene Ohr für unsere Kunden, wir leisten unseren Beitrag an der Gesellschaft – denn vor allem sind wir eins: über 80 000 Steuerzahler, die keinen Cent vom Staat bekommen, wenn sie ihn benötigen.“ Dass man sich in Deutschland „als Sozialstaat rühmt und Betroffenheit heuchelt“, ärgert den Lampertheimer.

Der 33-Jährige betont: „Wir geben alles. Die Regierung gibt uns nichts!“ Was er sich von ihr wünschen würde? Krämer denkt kurz nach: Unbürokratische, kleinere Zahlungen für das Nötigste – Soforthilfen, die diesen Namen auch verdienten, statt langwieriger, prüfungsintensiver Pauschalen, die sich am Ende bloß als „Steuerfalle unseres Lebens“ herausstellten.

Noch eines ist Krämer wichtig zu betonen: „Neben uns Friseuren gibt es zahlreiche Selbstständige, denen es nicht anders geht: Kosmetiker, Gastronomen oder auch in der Kultur.“ Er wünscht sich: „Dass wir alle Gesicht zeigen!“

Innung: Verzweiflung treibt Friseure in die Schwarzarbeit

Der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bergstraße Dietmar Schott berichtet von zahlreichen Mitglieder-Anfragen bei der Friseur- und Kosmetiker-Innung in diesen Tagen – und von „purer Not“ vieler Anrufer. Denn die Rücklagen, sofern überhaupt vorhanden, seien bereits in der ersten Schließungsphase im März/April 2020 vollständig aufgebraucht worden.

Die private Existenz von Saloninhabern sei bedroht und die Bedrohung werde mit jedem Tag der Schließung stärker. Denn Überbrückungshilfen für Dezember würden Friseuren nicht gewährt, weil ihr Umsatzrückgang dafür nicht hoch genug gewesen sei. „Die meisten haben nach Bekanntwerden der erneuten Schließung in den beiden letzten Tagen bis zum Anschlag Kundentermine nach vorne gezogen“, erklärt Schott, „damit ist derjenige benachteiligt, der fleißig war, den Umsatzverlust im Dezember so gering wie möglich gehalten hat und viele Stammkunden noch zufriedengestellt hat.“ Viele Coiffeure fühlten sich regelrecht bestraft.

Für den Monat Januar, in dem alle Salons durchgehend geschlossen werden mussten und somit überhaupt keine Einnahmen erzielt wurden, könnten Anträge auf überlebensnotwendige Hilfen bislang nur aufwendig über einen Steuerberater gestellt werden.

Aus Verzweiflung wanderten manche Friseure nun in die Schwarzarbeit ab. „Darauf erhalten wir vermehrt Hinweise“, bestätigt Schott und betont: „Das wollen wir natürlich nicht.“ Die Innung plädiert nicht nur deshalb für eine schnellstmögliche Öffnung der Friseurläden. Vielen Kunden sei wegen ihres Gesundheitszustandes die selbstständige Haarpflege gar nicht möglich. Hier drohten Verwahrlosung und Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes, gibt der Geschäftsführer der Handwerkerschaft zu bedenken. Dabei sei die psychosoziale Komponente noch nicht einmal berücksichtigt.

Laut Berufsgenossenschaft ging die Inzidenz im Friseurhandwerk bis Dezember gegen null. Deshalb und aufgrund der umfangreichen Hygienekonzepte stellt die Öffnung der Betriebe aus Sicht der Innung „keine außerordentliche Gefahr für eine Ausbreitung des Virus dar, auch nicht unter Berücksichtigung der Mutante des Virus“.

Der Friseur-Innung gehören rund 80 Betriebe und Ketten im Kreis an. lex

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