Bärbel Jakob
Lampertheim. Die Aufnahme, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstand, zeigt einen Blick auf den südlichen Teil der Bürstädter Straße, von den Lampertheimern kurz und bündig auch "die Schossee" genannt.
Das beherrschende Gebäude hier, das Amtsgericht, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zehn Jahre. Die Bürstädter Straße war damals ohnehin nur bis auf Höhe des Bäumelgewannweges bebaut, der 1913 in Blücherstraße umbenannt wurde. Auf dem bekannten Stadtplan von 1899 sieht man an- stelle des heutigen Amtsgerichts noch eine große, unbebaute Fläche eingezeichnet.
Auch das gegenüberliegende Haus von Lehrer Friedrich Petry war erst kurz vor der Aufnahme errichtet worden. Auf dem Foto gut erkennbar ist sein Gartenpavillon. Heute befindet sich an der Stelle des Gartens das Optik-Fachgeschäft Blickpunkt Radtke. Ganz links ist das Gasthaus "Kaiserhof" zu sehen, das schon vor 120 Jahren von einem Lampertheimer Maurer erbaut worden war, der es aber nach drei Jahren wieder weiterverkaufte.
Ende des 19. Jahrhunderts befand es sich zeitweise auch einmal im Besitz der bekannten Werger'schen Brauereigesellschaft aus Worms, die 1886 aus der Brauerei "Zu den zwölf Aposteln" hervorgegangen war. Heute bietet der "Kaiserhof" vor allem griechische Spezialitäten an. Hauptinitiator für die Errichtung des Amtsgerichts war der Lampertheimer Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Adam Seelinger IX., dem das Grundstück damals auch gehörte. Mehrere Jahre lang arbeitete Seelinger im hessischen Landtag darauf hin, Lampertheim zum Sitz eines Amtsgerichts zu machen und fand schließlich mit seinem Anliegen auch Gehör. Erschwerend hinzukam, dass nahezu zeitgleich, nämlich im Mai 1902, auch in Bensheim ein Amtsgericht seine Arbeit aufgenommen hatte. Nichtsdestotrotz sprach sich der Landtag wenige Monate später für die Einrichtung eines weiteren Amtsgerichtes in Lampertheim aus.
Schon einmal war Lampertheim Standort eines Justizamtes gewesen, das sich von 1803 bis 1821 im sogenannten Rentamt befand. Seelinger verkaufte das über einen Morgen umfassende Grundstück für damals 20.000 Mark an das Land. In zweijähriger Bauzeit entstanden darauf das Hauptgebäude, das Nebengebäude sowie das Haftlokal. Der Baustil ist neobarock. Dieser Stil, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Mode gekommen war, fand besonders häufig für solche repräsentativen Gebäude Verwendung.
Treppe als Blickfang
Ein besonderer Blickfang mit ihren Sandsteinbalustern ist die Treppe, die zum Hauptgebäude hinaufführt. Am 1. April 1905 wurde bekannt gegeben, dass der Großherzog Ernst Ludwig die Errichtung eines Amtsgerichtes in Lampertheim "allergnädigst zu genehmigen geruht". Zwei Monate später nahm es offiziell seine Arbeit auf. Mit einem Festkommers im Saal des gegenüberliegenden "Kaiserhof" wurde das Gericht seiner Bestimmung übergeben. Zu Anfang umfasste dessen Einzugsbereich nur die Gemarkungen Lampertheim mit Hüttenfeld und Neuschloss, Biedensand (Feldgemarkung), Seehof (Feldgemarkung), Viernheim sowie Wildbahn (Waldgemarkung).
Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Zuständigkeitsbereich jedoch unter anderem durch die Schließung des Amtsgerichts Lorsch im Jahre 1934 sukzessive erweitert.
Heute steht das Amtsgericht, wie der Lampertheimer Stadtarchivar Hubert Simon berichtet, sowohl aus geschichtlichen wie auch aus städtebaulichen Gründen unter Denkmalschutz.
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