Musik

Ein Meisterstück des geistlichen Grooves

Die Dekanatskantorei Ried präsentierte mit der L.A. Reed Big Band eine furiose Interpretation von Ellingtons „Sacred Concert“ in der Lampertheimer Domkirche

Von 
Markus Mertens
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Die Dekanatskantorei Ried und die L.A. Reed Big Band. © Markus Mertens

Lampertheim. Wer Heike Ittmann kennt, der weiß, dass die Kantorin und Organistin kaum je vor einem musikalischen Großprojekt zurückschreckt. Gefeierte Aufführungen zahlloser Festkonzerte und Messen, Oratorien und Orgelkompositionen in der Lampertheimer Domkirche sind Zeugen dieses Wagemuts.

An diesem Abend ist in der Spargelstadt dennoch einiges anders – und das nicht nur, weil ein sattes „I Am What I Am“ von Gloria Gaynor schon einmal vorausschickt, dass in diesem Gotteshaus die Authentizität stets vor einem starren Regelkorsett steht. Nein, es ist auch ein Akt des Wagemuts, mit Duke Ellingtons „Sacred Concert“ die Hohelieder genuin nicht geistlicher Musik auch heute wieder auf die große Bühne zu bringen. Denn bei allem, was Recht ist: Bei Ellington scheppert und posaunt es, dass es nur so kracht. Dagegen klingt „Ave Maria“ wie ein braves Lied vor dem Schlafengehen.

Ittmann freut sich daher schon vor dem ersten Ton über die „glücklichen Fügungen“, dank derer sie solche Experimente tatsächlich in die Tat umsetzen darf. Zum einen: Rainer Heute. Als Protagonist der hr-Bigband längst bekannt, gibt der Leiter der L.A. Reed Big Band schon bei Frank Sinatra am Saxofon sein Bestes. Doch auch am Pult lässt er den Ellington swingen, die Tutti grooven und atmet bisweilen auch einmal zu einer Blues-Pause durch, ehe die perkussive Macht schließlich wieder übernimmt.

Glückliche Fügungen

Was schon zu den glücklichen Fügungen zwei und drei führt: dem Gesangsensemble und seinen Technikern. Schon für sich genommen wären die Tenöre und Bässe, die Altistinnen und der Diskant den Eintritt alleine wert gewesen. Denn so passioniert und präzise, wie der Chor ein Zeugnis des eigenen Variantenreichtums vorlegt, imponiert das in jeder Minute gespielter Musik. Ob nun die zarte Ballade „Heaven“ auf sich aufmerksam macht oder die fast schon suitenartig angelegte Nummer „Freedom“ einem unmissverständlichen Willen zur Freiheit Ausdruck verleiht: Fehler in Intonation, Synchronität, Lautstärke oder Ausdruck muss man hier schon mit der Lupe suchen.

Ganz ähnlich wie bei der glücklichen Fügung Nummer vier: Annette Ehrlich. Rainer Heute hatte die Solo-Sopranistin in seinem Vorwort mit Vorschusslorbeeren geadelt, und Annette Ehrlich spann mit dem feinen Faden ihrer engelsgleichen Stimme jenes Garn, das Lautstärke und Emotion, Wucht und Subtilität, Geistliches und Weltliches ganz organisch miteinander verwebt.

Wer demnach in diesen gut 90 Minuten in Lampertheim persönlich mit dabei ist, erlebt einen Ellington, der so und nicht anders genau die Kraft erzeugt, die beim Publikum nach einer bewegenden Vorstellung zu Jubelstürmen der Begeisterung führt. Was direkt zur fünften glücklichen Fügung überleitet, für die Ittmann einfach nur danken möchte: das treue Publikum. Denn in der Tat ist es der Kantorin sowohl gelungen, Stammhörer an sich zu binden, als auch stetig neue Neugierige von sich zu überzeugen. Das muss Heike Ittmann erst einmal jemand nachmachen.

Was nicht zuletzt Rainer Heute dazu animiert, ans Mikrofon zu schreiten und die sechste glückliche Fügung zu nennen: Heike Ittmann selbst. Dass die sich, trotz all ihrer Innovationskraft, in ihrer Demut nicht selbst ins Zentrum stellen will, kann man verstehen. Doch wer weiß, wie viele Projekte wie diese sie erst initiiert hat, der ahnt, wie verdient der Beifall am Ende dieses großen musikalischen Abends tatsächlich ist. Bitte mehr davon.

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