Altlasten

Arsen und Spitzenforschung in Neuschloß

Die Grundwassersanierung in Neuschloß kommt mit einem neuen Verfahren voran. Für das weltweit einizige Projekt dieser Art interessieren sich mittlerweile auch andere Institutionen

Von 
Stephen Wolf
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Birgit Schmitt-Biegel, Leiterin im Bereich Altlastensanierung der HIM-ASG. © Berno Nix

Lampertheim. Es zischt, brummt und vibriert zwischen den riesigen Tanks. Während Bereichsleiterin Birgit Schmitt-Biegel durch die Anlage zur Grundwassersanierung in Neuschloss führt, arbeitet die technische Wasseraufbereitung auf Hochtouren.

Wie lange die Fachleute der Hessischen Industriemüll Altlastensanierungsgesellschaft (HIM-ASG) noch in dem Lampertheimer Stadtteil zu tun haben, das ist unklar. Denn unter der Erde ist tonnenweise Arsen an das Gestein gebunden und belastet in verschiedenen Abschnitten das Grundwasser. Bis zu zehn Tonnen Arsen sollen im Erdreich unterhalb des früheren Fabrikgeländes lagern – zwischen fünf und 15 Meter tief unter der Erde. Der Großteil davon soll gebunden sein, doch etwa 3,7 Tonnen, so die Schätzung von Experten, gelten als mobilisierbar. Das bedeutet, dass dieser Stoff sich lösen und ins Grundwasser und in Richtung Wasserwerk im Bürstädter Wald gelangen kann.

Neben dem Arsen haben die Experten auch Zink, Kupfer, Sulfat und andere Schadstoffe im Grundwasser nachgewiesen. Dass sich darin überhaupt solche Stoffe befinden, dafür ist die 1828 gegründete „Großherzögliche Hessische Konzessionierte Chemische Fabrik Neuschloß, Worms“ verantwortlich. Das Unternehmen stellte bis 1927 erst Soda, Glaubersalz sowie Salz- und Schwefelsäure her, später dann auch Superphosphat und Sprengstoffe.

Phosphat löst Schadstoff

  • Starke Pumpen ziehen seit dem Jahr 2003 Tag und Nacht Grundwasser über ein verzweigtes Leitungsnetz aus zahlreichen Brunnen im Stadtteil an, reinigen es und drücken es im Wald zurück unter die Erde. Übrig bleibt mit Arsen angereicherter Schlamm für die Sondermülldeponie.
  • Die frühere chemische Fabrik hat das Grundwasser in Neuschloß massiv mit dem giftigen Stoff belastet; Fachleute gehen von bis zu zehn Tonnen aus. Eine Größenordnung, an der zunächst jegliche bisherige Sanierungstechnik scheiterte.
  • Ein Forschungsteam der Universität Heidelberg entwickelte deshalb für Neuschloß ein weltweit neues Verfahren – das hinzugegebenes Phosphat hilft, die weitgehend immobilen Arsenverbindungen zu lösen. 

Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Produktion nicht mehr in Schwung, das Werk stellte 1928 den Betrieb ein. Mit den chemischen Abfallprodukten wurde sorglos verfahren. Die Schlacke kam in irgendwelche Gruben und versickerte dort vor sich hin, wie es in Zeiten des Frühkapitalismus nicht ungewöhnlich war.

Für die Qualität des Grundwassers hat dieses Vorgehen noch immer – beinahe 100 Jahre später – massive Folgen. Die Belastung hat die Sanierer bei der Bestandsaufnahme vor Jahren am meisten erschreckt. Alle Brunnen im Ort wurden sofort geschlossen und eine eigene Reinigungsanlage für das Grundwasser gebaut. Die Anlage im Akazienweg wurde 2003 in Betrieb genommen und acht Jahre später erweitert, um das Grundwasser von dem giftige Schwermetall zu befreien. Nachdem zunächst etwa 50 Kilogramm Arsen im Jahr gelöst werden konnte, liegt diese Zahl mittlerweile bei 150 bis 200 Kilogramm, berichtet die Betriebsleiterin.

Ein Verfahren der Universität Heidelberg habe sich seit 2020 als gut geeignet erwiesen, den Giftstoff vom Gestein zu lösen. „Mit der Zugabe von Phosphat lässt sich das Arsen wesentlich rascher aus dem Untergrund lösen“, sagt Schmitt-Biegel. Das bedeute, dass sich der Sanierungszeitraum von ursprünglich berechneten 150 Jahren auf einen wesentlich geringeren Zeitraum senken lasse. „Wie lange das aber genau dauern wird, lässt sich momentan nicht seriös sagen“, räumt die Diplom-Ingenieurin ein. Schließlich arbeite man an einem Verfahren, das bisher beispiellos ist. Klar aber sei nun, dass das neue Verfahren erheblich besser Schwermetall löse, als Versuche in den Jahren zuvor.

Bundeswehr interessiert

Und das Verfahren findet Beachtung. „Wir erhalten Anfragen von ganz unterschiedlichen Institutionen“, sagt Schmitt-Biegel. So habe sich mittlerweile auch das Militär bei den Experten der HIM gemeldet. Man habe etwa im vergangenen Winter an einer Veranstaltung zum Altlastenprogramm der Bundeswehr teilgenommen und über die Sanierung des Grundwasserschadens in Neuschloß berichtet.

„Mit Blick auf Truppenübungsplätze und weitere Liegenschaften ist auch die Bundeswehr an Fragen zum Thema Altlasten interessiert“, sagt Schmitt-Biegel.

Zumal die Lampertheimer Praxis ein weltweit beachtetes Projekt sei. Daher werden die Fachleute im Oktober auch an einer Veranstaltung der Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie teilnehmen und über ihre Erfahrungen berichten.

Redaktion

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