Lampertheim. Er hatte so gehofft, aufs Gymnasium zu dürfen. In der Grundschule hatte der Junge bislang gute Noten. Jetzt kam seine Mutter vom Elternabend zum anstehenden Schulwechsel zurück, dem er lange entgegengefiebert hatte. „Es tut mir leid, aber die täglichen Busfahrten zum Gymnasium nach Gernsheim können wir uns einfach nicht leisten. . .“
Bürgermeister Gottfried Störmer erinnert sich noch heute an diese Situation. „Meine Enttäuschung war riesig. Doch meine Mutter hatte trotzdem noch eine gute Nachricht für mich: Ab jetzt kann man auch in Lampertheim Abitur machen. Es wird eine Gymnasiale Oberstufe aufgebaut, die sich nach der zehnten Klasse an die hiesige Gesamtschule anschließt.“
„Echte Chane auf Aufstieg durch Bildung“
Wie Störmer ging es vielen Jungen und Mädchen Ende der 1960er Jahre. Der Vater war Briefträger. Alleinverdiener. Und die Störmers hatten fünf Kinder. „Da war es finanziell nicht so toll und die neue Gymnasiale Oberstufe in Lampertheim war für mich eine echte auf Chance auf Aufstieg durch Bildung“, erklärt Störmer im Gespräch mit unserer Redaktion.
Am 1. August 1974 nahm die Gymnasiale Oberstufenschule – auch GOL genannt – in Lampertheim ihren Betrieb auf. Schon auf dem Biedensand. „Sie befand sich im Ursprungsgebäude des heutigen Lessing-Gymnasiums“, berichtet Schulleiterin Silke Weimar-Ekdur. Nicht nur deshalb zählt die GOL zu den Wurzeln des Gymnasiums.
Den meisten Schülern und der inzwischen recht jungen Lehrerschaft sei das allerdings gar nicht mehr so präsent, sagt Weimar-Ekdur. Das Jubiläum 50 Jahre Abitur in Lampertheim, das Stadt und Schule bei einer Feierstunde am 10. Oktober begehen wollen, könnte daran etwas ändern.
„Tatsächlich ist das Thema GOL wie ein weißer Fleck in der Lampertheimer Schulgeschichte“, meint auch Stadtarchivarin Carmen Daramus. Derzeit allerdings arbeitet ein kleines Team daran, mehr darüber öffentlich zu machen. Zwei ehemalige Lehrer der GOL – Norbert Hofmann und Walter Pfeiffer. Letzterer ist Sohn des früheren Bürgermeisters Hans Pfeifer (1923 - 1981), der während seiner Amtszeit das Ziel verfolgte, auch in der Spargelstadt gymnasiale Bildung zu ermöglichen.
„Lampertheim litt darunter, kein Gymnasium zu haben. Schülerinnen und Schüler, die Abitur machen wollten, mussten bis Mitte der 1970er Jahre nach Gernsheim, Viernheim, Mannheim, Worms oder Heppenheim pendeln“, erläutert Norbert Hofmann, ehemaliger Landrat des Kreises Bergstraße, der als Lehrer arbeitete, bevor er beruflich in die Politik einstieg.
An der frisch gegründeten GOL bestand eine seiner Aufgaben darin, für die neue Schulform zu werben – etwa bei Elternabenden, wie dem, den Störmers Mutter besuchte. Dabei war mitunter eine gute Portion Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn die neu geschaffene Bildungseinrichtung brachte einige Besonderheiten und Neuerungen mit sich.
„Zum einen standen wir hinter dem Konzept der Integrierten Gesamtschule, unterrichteten auch in der Oberstufe schülerzentriert, wollten, dass möglichst kein Schüler und keine Schülerin zurückbleibt“, macht Hofmann deutlich. Zum anderen wurde an der GOL schon von Beginn an ein System aus wählbaren Haupt- und Nebenfächern in der Oberstufe eingeführt. Diese Art der Reformierten Oberstufe hatte die Kultusministerkonferenz 1972 beschlossen. Im weiteren Verlauf der 70er Jahre wurde das System bundesweit umgesetzt – allerdings mit eigenen Ausprägungen in den einzelnen Bundesländern. „Wir gehörten da zu den ersten – hatten als Schule eine Vorreiterrolle in Hessen“, erinnert sich Norbert Hofmann nicht ohne Stolz.
Zunächst entschieden sich viele Schülerinnen und Schüler für die GOL. „Etliche Gymnasiasten kamen sogar von den Umlandschulen zurück“, schildert Hofmann. Doch Mitte der 1980er verringerten sich die Schülerzahlen. „Die Leute hier wollten ein ,wirkliches’ Gymnasium“, so der ehemalige Lehrer.
Nach mehr als zehn vollständig abgeschlossenen Abiturjahrgängen entwickelte sich die GOL schließlich zu einem grundständigen Gymnasium – also einem Gymnasium ab der fünften Klasse. Seit 1987 besteht dieses als Lessing-Gymnasium.
Gottfried Störmer, der zum zweiten GOL-Abiturjahrgang gehört, findet, dass die Gymnasiale Oberstufe in Lampertheim – trotz ihres Verschwindens – für die Stadt bis heute ein Gewinn ist. Lampertheim ist einerseits zu einem Schulstandort mit großem Einzugsbereich geworden. „Andererseits können nun seit 50 Jahren Kinder hier Abitur machen“, sagt Störmer, „ganz unabhängig davon, wie das Einkommen der Eltern ist.“
Die Feierstunde
Im Rahmen des Jubiläums gibt es am Donnerstag, 10. Oktober, um 19 Uhr eine Feierstunde in der Mensa des Lessing-Gymnasiums.
Neben den Schülerinnen und Schülern des ersten Jahrgangs der GOL (Abitur 1977), ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern sowie politischen Wegbegleitern der Schule haben ehemalige „GOL-ianer“ die Möglichkeit, daran teilzunehmen.
Eine Anmeldung ist nötig per Mail an 50JahreGOL@ lampertheim.de. Die Plätze werden nach zeitlichem Eingang der Anmeldung vergeben.
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